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die Top-Clans auf dem Festland 2015
Früher hantierte die sizilianische Mafia mit Dynamit, heute regelt sie ihre kriminellen Geschäfte online. Die Cosa Nostra bekämpft den Staat nicht mehr, sondern geht in ihm auf.
Früher hantierte die sizilianische Mafia mit Dynamit, heute regelt sie ihre kriminellen Geschäfte online. Die Cosa Nostra bekämpft den Staat nicht mehr, sondern geht in ihm auf.
Die Hochzeit zu
verschieben hätte nichts gebracht. Theoretisch kommt Ciavarellos Schwiegervater
ums Jahr 3500 frei. Zwanzig lebenslängliche Haftstrafen muss er, von Italiens
Karikaturisten sinnigerweise Godot genannt, wegen mehrerer Dutzend Morde
absitzen. Bis zu seiner Verhaftung im Januar 1993 galt er als capo dei
capi, als oberster Boss der sizilianischen Mafia, welche die Paten selbst
Cosa Nostra nennen, "unsere Sache". Salvatore Riina - für Freunde
schlicht Onkel Totò oder Totò u' curtu, Totò der Kurze, geheißen - war in den
Augen der Strafbehörden der Gewalttätigste von allen. Sowohl das Bombenattentat
auf Richter Giovanni Falcone im Mai 1992 als auch jenes auf Richter Paolo
Borsellino wenige Wochen danach gehen auf sein Konto. Ganz zu schweigen von
unzähligen Mordanschlägen in Zusammenhang mit internen Machtkämpfen
rivalisierender Mafiaclans.
Die Fahnder sind
überzeugt, dass auch Ciavarello, der Schwiegersohn des Paten, früher oder
später in den Sog der Cosa Nostra gezogen wird - wenn dies nicht schon lange
geschehen ist. Viele in Italien glauben, das Geld sei der Grund, sich der Mafia
anzuschließen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Antonio Ciavarello wurde
ein Ehrenmann, weil er zuvor in Palermo ein Herr Niemand war. Nachher hätten,
wo auch immer er hinging, die Leute ehrfürchtig den Kopf gesenkt. Für ihn habe
dieser Respekt keinen Preis gehabt. Ciavarello nennt heute niemand mehr Baccalà
e salsiccia, Stockfisch und Wurst, obwohl er nach wie vor 150 Kilo wiegt.
Jetzt ist er der Schwiegersohn des Paten, stellt sich als Tony vor und nicht
mehr als Tonino.
Das Haus von Toto Riina in der Nähe von Corleone |
"Ich kann
nicht für die Fehler anderer büßen", sagt er im
Black & White-Pub, der am Dorfeingang von Corleone liegt. Vor
acht Jahren hat er seine Frau, Maria Concetta, in ebendiesem Pub kennen
gelernt, wo er jetzt für das Gespräch - "ohne Aufnahmegerät" -
bereitsteht.
Zum Interview bringt er einen Freund mit; Tony sei ein guter Junge, sagt der gleich ungefragt, ohne dass klar wäre, wer er ist. Die wahren Mafiosi, so der Freund weiter, seien die Politiker, die es Tony verbieten, ein normales Leben zu führen. "Ich habe nichts verbrochen, außer die Tochter Riinas zu heiraten", ergänzt Ciavarello, der zuckerfreien Eistee bestellt. Keines der Getränke, die er während des einstündigen Gesprächs am Tisch konsumiert, bezahlt er. Ein souveräner Blick Ciavarellos zum Mann hinter dem Tresen genügt, und auch der Versuch des Besuchers, wenigstens seine Zeche zu begleichen, scheitert. "Ich regle das mit Tony", sagt der Kassierer standhaft.
Zum Interview bringt er einen Freund mit; Tony sei ein guter Junge, sagt der gleich ungefragt, ohne dass klar wäre, wer er ist. Die wahren Mafiosi, so der Freund weiter, seien die Politiker, die es Tony verbieten, ein normales Leben zu führen. "Ich habe nichts verbrochen, außer die Tochter Riinas zu heiraten", ergänzt Ciavarello, der zuckerfreien Eistee bestellt. Keines der Getränke, die er während des einstündigen Gesprächs am Tisch konsumiert, bezahlt er. Ein souveräner Blick Ciavarellos zum Mann hinter dem Tresen genügt, und auch der Versuch des Besuchers, wenigstens seine Zeche zu begleichen, scheitert. "Ich regle das mit Tony", sagt der Kassierer standhaft.
Mafia-Boss Ciavarello mit Frau Concetta Riina |
Als Ciavarello die
Tochter des Paten erstmals zum Sonntagsspaziergang ausführen durfte, wusste er,
dass dies Konsequenzen haben würde. Nicht nur die Blicke der famiglia
weiß er seither auf sich gerichtet, sondern auch die der Polizei. Ciavarello
studierte am Musikkonservatorium in Palermo und war der Einzige seiner Klasse,
der eine persönliche "Eskorte" besaß - immer zwei Zivilfahnder im
Gleichschritt mit ihm. Inzwischen hat Tony die Trompete an den Nagel gehängt.
Er arbeitete als Gelegenheitsmechaniker und ließ sich zum Informatiker
ausbilden.
Vor zwei Jahren
hat er mit Schwager Giuseppe Riina, dem jüngeren von Totòs zwei Söhnen, ein
Ersatzteillager für Traktoren in Corleone übernommen. Das Geschäft lief ganz
ordentlich, bis die Handelskammer Anfang dieses Jahres den beiden
Jungunternehmern die Lizenz entzog. Sie hätten ein Antimafiazertifikat
vorweisen müssen, das ihnen die Behörden verweigerten. Doch ein Geldkoffer beseitigte das kleine Problem.
Der Grund für die
Ablehnung ist im letzten Semesterbericht der nationalen Antimafiabehörde DIA
nachzulesen, der im Dezember 2001 der parlamentarischen Sicherheitskommission
zur Prüfung vorgelegt wurde. "Die Mafia", steht darin, "setzt
seit geraumer Zeit auf eine neue Strategie. Ziel ist es, die totale
Unsichtbarkeit der Organisation zu erreichen. Keine Gewaltakte, die Aufsehen
erregen. Kein Verhalten, dass Verdacht schöpfen lässt." Um diese Strategie
zu verfolgen, hält der Bericht fest, umgebe sich die Mafia immer häufiger mit
Leuten, die von den Sicherheitsorganen nicht erfasst werden, weil sie in keinem
Strafregister aufgeführt seien. "Diese Strohmänner sind meistens gebildet,
haben beste Kenntnisse der modernen Technologie, führen ein unauffälliges
Leben", heißt es weiter. Ganz normale Leute also. Leute wie Antonio
Ciavarello.
In Palermos Altstadt - Hochburg der Cosa Nostra |
Drei Jahre lang
wurde Ciavarello von der Staatsanwaltschaft in Palermo unter Hausarrest
gestellt. Er durfte morgens nicht früher als um sieben aus dem Haus und abends
nicht später als um acht wieder zurückkehren. Bei jedem Ortswechsel musste er
die Polizei benachrichtigen. Die Behörden waren sich sicher, dass er als
Postbote Informationen an untergetauchte Mafiamitglieder der Riina-Familie
weiterleiten würde. Deshalb griffen sie zu dieser Präventivmassnahme, die
rechtlich gesehen zweifelhaft ist, die aber die italienischen Antimafiagesetze
durchaus zulassen.
Nichts haben die
Fahnder entdeckt. Auch die Wanzen, die sie in Ciavarellos Auto, in seiner
Wohnung und im Black & White-Pub installierten, brachten nichts.
Bei Ciavarellos Vermählung waren die Beamten mit Kameras und Mikrofonen dabei -
es war das erste Mal, dass die Familie eines Mafiapaten eine Hochzeit öffentlich
feierte. An jenem 6. September letzten Jahres, als in der Dorfkirche zu
Corleone Antonio Ciavarello der Tochter des Paten das Jawort gab, fehlte neben
Schwiegerpapa Riina auch Giovanni, sein älterer Schwager. Schon mit 18 war er
straffällig geworden: Schlägereien, Erpressung, Hehlerei. Heute ist er 25 und
sitzt eine lebenslängliche Haftstrafe ab. Knapp 20 war Giovanni, als er seinen
ersten Mord verübte. Den Körper des Opfers löste er in Säure auf. Die anderen
drei Morde hat er "nur" in Auftrag gegeben. Beim Prozess plädierte
sein Anwalt deshalb für Strafmilderung - ohne Erfolg. Vor drei Monaten
entsprach das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft und sperrte Giovanni
für den Rest seines Lebens weg.
Hochzeitsfoto Antonio Ciavarello mit der Tochter des Paten Toto Riina Sein Spitzname unter den Mafiosi: Baccalà e salsiccia - Stockfisch und Wurst |
Die Zeit der
großen Ballerei ist in Corleone vorbei. Zwischen 1943 und 1961 wurden noch 52
Morde begangen und eine unbestimmte Anzahl Verbrechen, die als lupara
bianca bezeichnet werden, als "weiße Schrotflinten". Das sind
Morde, bei denen die Leiche nie gefunden wird. Dem Dorf brachte es den Beinamen
Tombstone (Grabstein) ein, und den Hollywood-Regisseuren und Mafiaromanciers
lieferte der Ort farbige Vorlagen.
Heute ist
Corleone, das man von Palermo aus über eine gewundene Landstraße in einer
halben Stunde erreicht, zumindest dem Anschein nach ein Dorf wie jedes andere.
In den Vitrinen der Geschäfte liegen die neuesten Gucci-Brillen, und die
Buchhandlung an der Piazza legt selbstbewusst Bücher zur Mafia aus. Nur hinter
der Fassade stimmt die Idylle nicht. Jedes Haus, bestätigen Fahnder hinter
vorgehaltener Hand, ist direkt mit dem Polizeikommando verkabelt - es gibt hier
mehr Wanzen als Menschen.
"Die Mafia
ist ein historisches Phänomen, das einen Anfang hat, eine Entwicklung und ein
Ende. Heute sind wir fast am Ende angelangt." Mit diesen Worten eröffnete
UN-Vizegeneralsekretär Pino Arlacchi im Dezember 2000 den UN-Kongress zur
Organisierten Kriminalität in Palermo. Am Tag nach seiner Rede korrigierte er
sich. Die Mafia sei vorübergehend inaktiv, könne aber jederzeit wieder
aufblühen. Einen weiteren Tag später korrigierte er sich abermals. Die Mafia
habe gar nie aufgehört zu existieren, sondern sei lediglich ruhiger geworden.
Inzwischen hat Arlacchi sein UN-Mandat abgegeben, und der Streit um die wahre
Natur der Mafia ist seither nicht abgeklungen. Für die einen ist die Ruhe ein
klares Zeichen für die Krise, in der sich die Mafia befindet. Für die anderen
bedeutet es das Gegenteil: Die Mafia hat gemerkt, dass sie auf Samtpfoten mehr
erreicht als mit Dynamitstangen.
Für Palermos
Oberstaatsanwalt Piero Grasso steht fest: "Die Mafia fühlt sich heute
stark wie nie. Sie muss nicht mehr zur Gewalt greifen, um ihre Geschäfte zu
tätigen." Die neue Mafia besinne sich, paradoxerweise, auf alte Werte: Sie
verschwinde vordergründig aus dem öffentlichen Leben, weil sie gemerkt habe, dass
die großen Attentate vor allem ihr selbst geschadet haben. Der Wille der
Bevölkerung, sich gegen die Mafia aufzulehnen, sagt Grasso, sei nie so groß
gewesen wie nach der Ermordung der beiden Richter Falcone und Borsellino vor
zehn Jahren. "Heute erleben wir eine Rückkehr zur Antike, ein Revival der
alten Strategien, der alten Denkmuster, des alten Verhaltenscodex: Infiltrieren
und koexistieren statt von draußen den Staat und die Gesellschaft frontal zu
bekämpfen - so lautet das Losungswort des neuen Jahrtausends."
Piero Grasso - Staatsanwalt |
Keiner
verdeutlicht diesen Wandel besser als Bernardo Provenzano. Das mag erstaunen,
Provenzano ist 69 Jahre alt. Seit der Verhaftung Riinas 1993 ist er die Nummer
eins der sizilianischen Mafia. Wie Riina gehört er der alten Garde an, wie
dieser stammt er aus Corleone.
Im Gegensatz zu
Riina hat er aber dazugelernt, gilt heute als moderat, soweit dies in der Cosa
Nostra möglich ist. In den fünfziger Jahren war er ein zuverlässiger Killer,
der sich mit seiner Skrupellosigkeit beim Mafiaclan von Luciano Liggio Ruhm und
Respekt verschafft hatte. Provenzano wurde "'u tratturi" genannt,
weil er wie ein Traktor funktionierte. Kein Hindernis, das ihn aufhielt, kein
Pflaster, auf das er sich nicht wagte. Sein letzter Mordanschlag, der aktenkundig
ist, reicht fast vierzig Jahre zurück. Seither war der Traktor erfolgreich auf
der Flucht - selbst für italienische Verhältnisse ein Rekord.
An jenem 9. Mai
1963, als er das letzte Mal öffentlich gesehen wurde, sollte Provenzano im
Auftrag Liggios ein Mitglied des rivalisierenden Navarra-Clans umbringen. Der
Anschlag misslang. Vier Monate später starb der Mann bei einem anderen
Anschlag. Die Fahndung konzentrierte sich auf Provenzano. Obwohl er in den
folgenden Jahren heiratete, zwei Kinder zeugte, die in einem öffentlichen
Spital zur Welt kamen und beim Geburtenregister in Corleone ordnungsgemäß
eingeschrieben wurden, fehlte von Provenzano jede Spur. Das letzte
Fahndungsfoto stammt aus dem Jahre 1959. Selbst sein Bruder Sergio, der seit
über dreißig Jahren in Nordrhein-Westfalen lebt, behauptet, er würde ihn nicht
mehr erkennen. "Ich habe ihn nie mehr gesehen, seit ich Sizilien verlassen
habe."
Zur Silvesterparty
waren Provenzanos Frau und ihre beiden erwachsenen Kinder aus Corleone
angereist. Eingeschleuste Spitzel hatten zuvor gemeldet, auch der Traktor wolle
nach Deutschland kommen. "Gesetzt den Fall, dass er sich nicht als
Tischbombe verkleidet hat", erklärte einer der italienischen
Untersuchungsrichter später lakonisch, "haben wir nicht den geringsten
Hinweis gefunden, dass Bernardo Provenzano sich bei seinem Bruder aufgehalten
hätte." Nicht wenige sahen sich in ihrer Überzeugung bestätigt, dass der
flüchtige Mafiaboss gar nicht mehr lebt und der Mafia wie auch manch korruptem
Politiker als Alibi diene, um die Fahndungen in die falsche Richtung zu leiten.
Der ehemalige Pate
Tommaso Buscetta, der große Kronzeuge bei den Maxiprozessen von 1986, erklärte
schon vor Jahren: "Ich glaube nicht, dass der italienische Staat wirklich
die Absicht hat, die Mafia zu bekämpfen."
Pate Tommaso Buscetta |
Immer wieder haben
sich die verschiedenen Sicherheitsorgane, die sich um die Mafia kümmern, selbst
bekriegt, was Buscettas Verdacht bestärkt. Es gab Suspendierungen vom Dienst,
mysteriöse Todesfälle von Informanten und manch undurchsichtiges Veto aus dem
Innenministerium. Zuletzt sorgte ziemlich genau vor einem Jahr die Verhaftung
Benedetto Speras für interne Querelen. Dieses Mal war es die Spezialeinheit der
Polizei, DIA, die Provenzano auf den Fersen war.
Als die Agenten
das Bauernhaus in Mezzojusto bei Corleone stürmten, waren neben Spera, der
rechten Hand des Paten, zwei weitere hochkarätige Mafiosi anwesend. Nur der
Chef selber fehlte. Die Carabinieri-Einheit ROS beschuldigte ihre Kollegen von
der Polizei, ihnen mit der überhasteten Aktion monatelange Arbeit vermasselt zu
haben. Innenminister Enzo Biano musste abermals als Schlichter intervenieren.
Immerhin konnten die Fahnder neben der Verhaftung der drei flüchtigen Mafiosi
verschiedene Briefe sicherstellen, die für Provenzano bestimmt waren.
Hier versteckte sich Bernardo Provanzano |
Die Briefe hatten
Provenzanos Ehefrau Saveria sowie der ältere Sohn Angelo geschrieben. Während
sich die Frau des Paten um die Gesundheit ihres an den Nieren schwer erkrankten
Gatten kümmerte und ihn ermahnte, "immer warme Wollsocken zu tragen",
erläuterte Angelo verschiedene Investitionen, die er tätigen wollte. "Wenn
du einverstanden bist, rede ich mit 512151522 191212154 darüber." Die
ältere Mafia-Generation sprach bei ihren verschlüsselten Gesprächen von
"Filet" und "Hammelkeule"; der Nachwuchs verwendet schlichte
Zahlenkombinationen. Aber auch kryptische Nachrichten mit unerklärlichen Zeichen wurden von ihm weitergegeben.
Als erste Reaktion auf die Briefe wurde der Familie Provenzano die Wäscherei geschlossen, die sie im Zentrum Corleones, gleich neben dem Polizeikommando, betrieb. Nach Erkenntnissen der Behörden sollen dort nicht nur Leinentücher und Bettlaken gewaschen worden sein. Wer hinter den Zahlenkombinationen steckt, bleibt allerdings ein Rätsel.
Als erste Reaktion auf die Briefe wurde der Familie Provenzano die Wäscherei geschlossen, die sie im Zentrum Corleones, gleich neben dem Polizeikommando, betrieb. Nach Erkenntnissen der Behörden sollen dort nicht nur Leinentücher und Bettlaken gewaschen worden sein. Wer hinter den Zahlenkombinationen steckt, bleibt allerdings ein Rätsel.
Bernardo Provenzano |
Mitte Januar
dieses Jahres schließlich nahm die Squadra Mobile in Palermo 28 Personen fest,
die, so die Staatsanwaltschaft, zum engeren Kreis von Provenzano gehören. Alle
Verhafteten haben einen tadellosen Leumund. Der eine besitzt die Autofahrschule
Primavera im Zentrum der Stadt, ein anderer ist Krankenpfleger im städtischen
Spital, eine Dritte arbeitet als selbstständige Anwältin, deren Vater pensionierter
Vermessungsingenieur des nationalen Straßenamtes ANAS und deren Mutter Hausfrau
ist. Die mamma war es auch, die durch eine Unachtsamkeit die
Verhaftungswelle auslöste. Zermürbt von der ständigen Angst, entdeckt zu
werden, sprach sie zu ihrem Ehegatten, ohne zu wissen, dass sie abgehört wurde:
"Wenn Santa Barbera ein Mann mit Eiern wäre, würde sie sich der Polizei
stellen. Sie hat nichts mehr zu verlieren, sie liegt im Sterben. Damit würde
sie viele Familienväter entlasten, die durch sie in Gefahr sind."
Santa Barbera ist
einer der Codenamen für Provenzano. Der pensionierte Ingenieur Pino Lipari hat
über Jahre für den Paten die so genannten appalti kontrolliert, die
Vergabe öffentlicher Bauaufträge. Das System ist so einfach wie effizient:
Beteiligt ist ein Softwarespezialist, der die Ausschreibung manipuliert, ein
Postbeamter, der die eingeschriebenen Briefe zurückhält, ein Funktionär, der
das "richtige" Anforderungsprofil definiert - am Ende sind nur
Bauunternehmen in der Auswahl, die mit der Mafia zusammenarbeiten. Die
Provision beträgt 30 Prozent des Auftragsvolumens. Um den Verlust zu
kompensieren, werden die Rechnungen aufgeblasen und erstklassige Preise für
drittklassige Qualität bezahlt. Zement, Eisen, Stahl kaufen diese
Bauunternehmen bei Firmen, die ebenfalls von der Mafia kontrolliert werden.
"Ich habe oft
mit irritierender Bewunderung und Neid feststellen müssen", schrieb
Richter Giovanni Falcone kurz vor seiner Ermordung, "wie ungemein
funktional und effizient die Ehrenwerte Gesellschaft im Vergleich zu unserem
Staat funktioniert." Zwischen 1988 und 1998 ging über die Hälfte der
gesamten Unterhaltsarbeiten für Siziliens Straßen an die Mafia. Die A 19
von Palermo nach Catania und die A 29 von Palermo nach Trapani wurden komplett
von ihr gebaut. In den nächsten Jahren will Rom fünf Milliarden Euro in
Siziliens Infrastruktur investieren, und die Agenda 2000 verspricht
weitere Geldströme aus der EU-Kasse. Provenzano, den sie inzwischen auch
Buchhalter nennen, hat klare Order durchgegeben: Abtauchen und ruhig bleiben.
Die so genannte legale Mafia muss alles vermeiden, was die Öffentlichkeit
aufschreckt und den Staat zur Repression zwingt.
Und auch der Staat
scheint sich mit der Mafia zu arrangieren. Im August vergangenen Jahres
erklärte Pietro Lunardi, Italiens Minister für Infrastrukturen: "Wir
müssen mit der Mafia zusammenleben." Viele sahen in dieser Aussage die
Absicht der Regierung Berlusconi, den Kampf gegen die Mafia aufzugeben. Lunardi
selbst erklärte einer empörten Öffentlichkeit, dass er nicht zynisch sein
wollte, sondern ehrlich. Es stellte sich heraus, dass sogar der Bau der
modernen Glas-Stahl-Konstruktion in Palermo, in welcher die Uno über die Mafia
beriet, von ebendieser kontrolliert worden war. Und nicht nur dies. Von
Anwaltsprüfungen über die Zulassung an Universitäten und Spitälern bis zur
Einstellung von Theaterkomparsen hat die Cosa Nostra alles in der Hand. Das
Teatro Greco in Syrakus konnte bis zum April letzten Jahres, als die Polizei
den Vorhang zog, keine Glühbirne kaufen ohne das Einverständnis der Paten. Die
Maskenbildner, die Hostessen, die Parkwächter, die Putzequipe - alles wurde von
der Ehrenwerten Gesellschaft organisiert. Selbst die Kissen, auf die sich die
Gäste setzten, um den Hexametern Ovids zu lauschen.
Den größten Erfolg
hat die Mafia gegenwärtig mit einem neuen Geschäftsbereich. Nicht mehr die
klassischen Wirtschaftszweige wie Drogenhandel, Waffenschieberei und
Menschenschmuggel allein, sondern die so genannte Ecomafia bringt Geld:
illegale Mülldeponien, der Transport hoch toxischer Abfälle und der Handel mit ungenormten
oder verbotenen Baumaterialien. Während eines abgehörten Gesprächs zwischen
zwei Mafiosi fällt der sinnige Satz: "Trasi munnizza e nasci oro"
- "Aus Abfall wird Gold". Dazu kam in den letzten Jahren noch der
illegale Handel mit exotischen Tieren und geraubten Kunstgegenständen. Von 1996
bis 2000 betrug das geschätzte Handelsvolumen dieser neuen Aktivitäten, an
denen die sizilianische Mafia maßgeblich beteiligt ist, 60 Milliarden Euro.
Giuseppe Morabito - einer der größten Drogen- und Müllhändler auf sein Konto geht die Entsorgung von mehr 1Million Tonnen Giftmüll |
"Der ständige
Wandel ist die eigentliche Konstante der Mafia", sagt Umberto Santino, der
sich seit 30 Jahren mit den sozialen und ökonomischen Metamorphosen der Cosa
Nostra beschäftigt. Zusammen mit seiner Frau führt Santino in Palermo das
Centro Impastato, das größte Privatarchiv zum Thema Mafia. Der Name des Archivs
stammt von Giuseppe "Peppino" Impastato, dem Sohn eines Mafioso und
Enkel eines Paten. Peppino Impastato wollte beweisen, dass es auch anders geht.
Er hatte sich von seinem Umfeld emanzipiert und in Cinisi, seinem Heimatdorf,
mit der Ehrenwerten Gesellschaft angelegt - zuerst via Privatradio, dann mit
Flugblättern und Umzügen. Für die linksradikale Partei Democrazia Proletaria
kandidierte Pippino fürs Regionalparlament, um den Kampf gegen die Mafia innerhalb
der Institutionen weiterzuführen, und wurde am 9. Mai 1978 auf Befehl seines
Onkels Tano Badalamenti umgebracht.
Giuseppe "Peppino" Impastato |
"Der Name
Impastato ist Programm", sagt Umberto Santino. Die Wandregale in seinem
Arbeitszimmer quellen über von Büchern über die Mafia und Antimafia; einige
dieser Werke hat er selber verfasst. Obwohl er als unbestrittener Fachmann
gilt, hat Santino Mühe, Verleger und Sponsoren zu finden. Das
Dokumentationszentrum Impastato finanziert sich durch die freiwilligen Beiträge
von rund hundert Gönnern. Von der öffentlichen Hand hat er bis heute keine
Unterstützung bekommen. "Ich bin keiner für Cocktailpartys", sagt er.
Wer sich die Zeit
nimmt, seine Bücher zu lesen, wird merken, dass es wohl kaum jemanden gibt, der
so detailliert Bescheid weiß über die Mafia wie Santino. Aber vermutlich auch
keinen, der so rigide und unversöhnliche Positionen vertritt wie er.
"Wahrheiten kann man verdrehen, Fakten nicht", sagt Santino. Wenn man
der Mafia heute den Puls fühlen wolle, sagt er weiter, müsse man mehr denn je
den Politikern auf die Finger schauen, vor allem Regierungschef Berlusconi. Der
habe den Italienern während des Wahlkampfs das Paradies versprochen -
geschaffen habe er ein Paradies nur für Mafiosi. Das sei, so Santino, keine
Meinung, sondern Tatsache. "Was heute in Italien geschieht, ist die
Legalisierung der Illegalität." Die Attacken der Regierung auf die Justiz,
die Einführung neuer Gesetze, die den illegalen Geldtransfer ins Ausland unter
Amnestie stellen und Bilanzfälschung nur noch als einfaches Vergehen ahnden,
sowie die Erschwerung der internationalen Rechtshilfe legten einen Humus, auf
dem sich in erster Linie das Organisierte Verbrechen wohl fühle: "Der
ethische Standard ist mit Berlusconi klar nach unten gedrückt worden."
Das innige
Verhältnis zwischen Mafia und Politik ist nicht neu. Heute aber wird dieses
Verhältnis weniger durch Interaktion als vielmehr durch Vereinnahmung bestimmt
- die Mafia bekämpft den Staat nicht mehr, sondern geht in ihm auf. Die
Regierung ihrerseits bewegt sich inzwischen so, dass sie der Mafia nicht mehr
in die Quere kommt. Es scheint eine Art unausgesprochenes Gentlemen's Agreement
zu sein: Du lässt mich machen, dafür lasse ich dich in Ruhe. Die neue Mafia hat
die alte dabei nicht etwa ersetzt, sondern diese hierarchisch überholt, oben
die neue, unten die alte, wobei das Ziel dasselbe bleibt: der absolute Vorrang
des Eigeninteresses vor dem Gemeinwohl. Genau das also, was die Regierung um
Premier Berlusconi der Bevölkerung bisher vorgelebt habe, wie der ehemalige Bürgermeister
von Palermo, Leoluca Orlando, meint. Die moderne Mafia sei weniger gewalttätig
als die alte, dafür aber schwieriger zu bekämpfen.
Leoluca Orlando |
Umberto Santino
teilt Orlandos Einschätzung, auch wenn er den Politikern, ob von rechts oder
links, grundsätzlich misstraut. Viele Legendenbildungen seien, abgesehen von
den Medien, den professionisti dell'antimafia zu verdanken, den
Berufspolitikern der Antimafia. Den Ausdruck hatte der sizilianische
Schriftsteller Leonardo Sciascia erstmals in den achtziger Jahren verwendet und
damit eine hitzige Debatte über die rechtschaffenen Absichten der
Antimafiapolitiker ausgelöst. Gemäß Sciascia, der mit Mafiaromanen wie Il
giorno della civetta (Der Tag der Eule) und A ciascuno il suo
(Jedem das Seine) internationalen Ruhm erlangte, verfolgten die selbst
ernannten Kämpfer wider das Unrecht in erster Linie nicht das Ziel, die Mafia
zu entlarven, sondern sich selbst ins Rampenlicht zu rücken.
Neben den Wunden,
die diese Polemik in den Reihen der Antimafia nach Sciascias Tod hinterließ,
blieben viele Fragen zurück, auf die das heterogene Volk der Antimafiakämpfer
nach wie vor Antworten sucht: Was ist die Mafia? Wie funktioniert sie? Vor
allem: Wie ist sie zu bekämpfen? Für Santino, den Forscher, steht unzweifelhaft
fest, dass das größte Pfund der Mafia die Ignoranz der Menschen ist. "Nur
Aufklärung und Informationen können den Mythos der Cosa Nostra und somit die
Mafia selbst zerstören", sagt Santino.
Die Geschichte der
Antimafia sei von verklärten Bildern geprägt, von Halbwahrheiten und
Erfundenem. Im Bewusstsein vieler ist die Antimafiabewegung eine neue
Erscheinung, die spätestens nach den Anschlägen von 1992 auf Falcone und
Borsellino richtig aktiv geworden ist. Doch das, sagt Santino, seien alles
Kleinigkeiten im Vergleich zu den großen Bauernaufständen Ende des
19. Jahrhunderts, den fasci siciliani, als sich Hunderttausende
auflehnten und über Jahre hinweg dem mafiosen Landadel Paroli boten. Für das
Selbstbewusstsein der jungen Generation sei diese historische Erkenntnis fundamental.
"Sizilien", meint Santino, "ist nicht nur Mafia. So alt wie die
Ehrenwerte Gesellschaft ist auch die andere Gesellschaft, die ehrliche, die
unsere."
War der Staat
wirklich daran interessiert, die Paten zu fangen, hat er wirklich alles
darangesetzt? Als am 19. Juli 1992 an der Via D'Amelio in Palermo eine
Autobombe explodiert, die ihren Bruder, den Richter Paolo Borsellino, und fünf
seiner Leibwächter tötet sowie vier Wohnblocks niederreißt, weilt Rita
Borsellino auf dem Land. "Ich habe mich bis zu diesem Zeitpunkt nur um
meine Kinder und meine Arbeit gekümmert", sagt die gelernte Apothekerin.
Die Nachbarn informieren sie über den tragischen Vorfall. Ihr Bruder wollte an
diesem Tag noch schnell der Mutter einen Besuch abstatten. Immer weniger fand
er Gelegenheit dazu. Knapp zwei Monate zuvor war Richter Giovanni Falcone
umgebracht worden. Ihm bleibe nicht mehr viel Zeit, hat Richter Borsellino
seiner Schwester Rita nach dem Tod des Kollegen Falcone mit sicherem Instinkt
vorhergesagt.
"Paolo
arbeitete wie ein Wahnsinniger", erinnert sich Rita Borsellino. Er habe
noch möglichst viel erledigen wollen, bevor sich die Mafia auch ihn holen
würde. Sie habe aber nie gedacht, dass es so schnell passieren könnte. Ganz im
Gegensatz zu den beiden ermordeten Richtern, die ihrem Schicksal mit Sarkasmus
entgegensahen. Wenige Monate vor seinem Tod gab Giovanni Falcone dem
Journalisten Marcelle Padovani ein ausführliches Interview, in welchem er
folgende Anekdote erzählt: "Eines Abends kommt Borsellino zu mir nach Hause
und sagt: Giovanni, du musst mir unbedingt die Zahlenkombination deines Safes
geben. Ich frage, wieso? Damit ich das Schließfach aufmachen kann, wenn sie
dich umbringen." Das Interview, in Buchform erschienen, schließt mit dem
Satz: "In Sizilien bringt die Mafia die Diener des Staates um, die dieser
Staat nicht zu schützen imstande war."
Rita Borsellino
hat lange über diesen Satz von Falcone nachgedacht und gemerkt, dass er so
nicht stimmt. "Der Staat hat gar nie versucht, seine Diener zu schützen,
weil er es nicht wollte", sagt sie. Wie sonst sei es zu erklären, dass der
Oberpate Totò Riina, seit 25 Jahren auf der Flucht, nur wenige Monate nach den
von ihm in Auftrag gegebenen Attentaten auf die Richter Falcone und Borsellino
plötzlich geschnappt wird?
Heute ist Rita
Borsellino eine führende Aktivistin im Kampf gegen die Mafia. Ihre Apotheke, wo
sie zum Gespräch geladen hat, ist ein Nebenerwerb geworden. Sie redet mit
ruhiger Stimme, aber dezidiert und hart. Zwischen Schachteln von Antibiotika
und homöopathischen Heuschnupfenmitteln sagt sie Worte, die nicht zu ihrem
sanften Gesicht passen wollen: "Sie haben meinen Bruder umgebracht, aber
nicht seine Ideale." Sie nähre keinen Hass gegenüber den Killern, sondern
fühle Mitleid für Menschen, die derart tief gefallen sind: "Der Hass
schaltet den Kopf aus. Um die Mafia zu bekämpfen, braucht es ihn aber ganz
besonders."
Fast zeitgleich
mit Rita Borsellino hat eine zweite Frau, Maria Maniscalo den Kampf gegen die
Mafia aufgenommen, allerdings aus politischer Überzeugung. Seit 1993 ist die
Sozialdemokratin Bürgermeisterin in San Giuseppe Jato, dem Heimatdorf von
Giovanni Brusca und anderen Mafiapaten. 184 Mafiafamilien gibt es in Sizilien
offiziell, denen insgesamt 3201 Ehrenmänner angehören. 172 dieser Mafiosi
stammen alleine aus diesem Dorf hinter den Hügeln Palermos. Das sagen die
Statistiken. Die Bürgermeisterin sagt: "Die Zahlen sind Unsinn. Es geht
nicht um Ziffern, sondern um Mentalität."
Maria Maniscalo - Bürgermeisterin in San Giuseppe Jato |
In den siebziger
Jahren hat der deutsche Soziologe Heiner Hess die These aufgestellt, bei der
Mafia handele es sich mehr um eine Lebenseinstellung als um eine Organisation.
Heute ist diese These überholt. Die Mafia ist eine international tätige Holding
mit klarer Hierarchie und festen Strukturen.
Der letzte
Semesterbericht der DIA für die parlamentarische Sicherheitskommission gibt
klare Auskünfte über die Wandlung der archaischen Mafia zur Elite-Organisation.
Immer häufiger, heißt es dort, werden Elemente im Umkreis der Ehrenwerten
Gesellschaft lokalisiert, die einen Universitätsabschluss besitzen und eine
langjährige erfolgreiche Berufskarriere hinter sich haben. Oft treten diese
Kaderleute selbst in den Rang von Paten, was vor wenigen Jahren noch undenkbar
gewesen wäre. Die so genannten colletti bianchi, die Mafiosi im Anzug,
können jahrelang miteinander kommunizieren, ohne sich je zu sehen. Der rituelle
Kuss der Mafiosi ist Geschichte. Die Piazza als Treffpunkt existiert nicht
mehr. Heute ist die Piazza virtuell, und die Bügelfalten-Mafiosi sind online
miteinander verbunden. Der eine sitzt in Palermo, der andere in Frankfurt oder
Zürich.
Die
Bürgermeisterin von San Giuseppe Jato sieht es anders. "Nur in einem
entsprechenden soziokulturellen Kontext", sagt Maria Maniscalo und rückt
ihre feine Brille dezent zurecht, "kann eine solche Organisation überhaupt
funktionieren." Die scheinbar überholten Thesen des deutschen Soziologen
Heiner Hess über die Mafia als Lebenseinstellung stimmen ihrer Ansicht nach im
Grundsatz eben doch. "Die Menschen müssen merken, dass es sich lohnt, für
ihr Recht einzustehen, ohne dabei das Leben zu riskieren." Wie schwierig
das ist, hat sie selber erfahren.
Die Aktenberge auf
ihrem Mahagonitisch, die in rotes Leder gefassten Gesetzesbücher in den
Vitrinen hinter ihrem Rücken, die italienische und europäische Flagge rechts
und links von ihrem Pult - alles scheint eine Nummer zu groß zu sein für die
55-jährige Juristin. Ihre Brille aus feinem Horn, ihr kariertes Deuxpièces,
ihre perfekt gepflegten Hände - so dezent modisch sie aussieht, so fragil
erscheint sie im Kampf gegen das Verbrechen. Doch der Eindruck täuscht.
Alles haben die
Onkel und Paten in den letzten Jahren versucht, um ihren Willen zu brechen.
Maria Maniscalo hat sich nie beugen lassen. Eines Nachts wurde ihr Auto
verbrannt, sie und ihr Ehemann bekamen Morddrohungen. Nachdem in San Giuseppe
Jato sowohl in der Schule als auch im Lebensmittelladen Bombendrohungen für
Massenpanik sorgten, hat sich die Bevölkerung langsam von ihr abgewandt. Alles
sei nur ihre Schuld, wurde hinter vorgehaltener Hand gelästert. Wäre sie nicht
so starrköpfig, heißt es im Dorf, ginge es auch den Bewohnern von San Giuseppe
Jato besser. "Heute versuchen viele meiner Wähler, mir aus dem Weg zu
gehen aus Angst, mit mir gesehen zu werden." Eine Haltung, die sie verstehen
kann, aber dennoch als feige verurteilt.
San Giuseppe Jato |
Angst um ihr Leben
hat die Bürgermeisterin nicht. Sie weiß, dass die Strategie der Mafia heute
eine subtilere ist. Der Gegner wird nicht physisch eliminiert, sondern sozial
isoliert. Dass man sie auf anonymen Plakaten als Dorfnutte bezeichnet, sei das
geringste Übel. Härter seien die Versuche des Rufmords an ihr und ihrer
Familie. Ihr Ehemann Mimmo Giannopolo, ebenfalls Sozialdemokrat, ist
Bürgermeister von Caltavuturo, einem Nachbardorf von San Giuseppe Jato. Letztes
Jahr beschuldigte ihn ein mit der Polizei kollaborierender Mafioso, mit der
Ehrenwerten Gesellschaft zusammenzuarbeiten. Maria Maniscalo weiß, dass dies
nicht stimmt. Und auch viele Bürger von Caltavuturo wissen es. Mimmo Giannopolo
hat sich während seiner Amtszeit durch einen rigorosen Kurs gegen die Mafia
profiliert. Allein der Zweifel aber, dass er vielleicht doch übergelaufen sein
könnte, ist sein und auch ihr politischer Tod und beider soziale Isolation.
Das Mandat von
Bürgermeisterin Maria Maniscalo läuft kommenden Mai definitiv ab. Sie kann sich
nicht mehr zur Wiederwahl stellen. Könnte sie es doch, davon ist sie überzeugt,
würde sie in der jetzigen Situation chancenlos bleiben. Leute wie sie sind
nicht mehr beliebt. "Der Wille, sich aufzulehnen, hat in den letzten
Jahren deutlich nachgelassen", sagt sie. Der Staat lasse im Kampf gegen
die Cosa Nostra die Zügel schleifen, der Bürger habe resigniert. Und doch
scheint die Hoffnung nicht ganz verflogen zu sein, wie gerade das Beispiel der
Kooperativen in San Giuseppe Jato und anderen fünf Gemeinden, darunter
Corleone, zeigt.
Auf Initiative von
Rita Borsellino wurden im Juli 1995 Unterschriften gesammelt für ein Gesetz,
das die kostenlose Nutzung konfiszierter Mafiagüter verlangt. Das Gesetz kam
zustande, und 175 Hektar Land stehen heute verschiedenen Kooperationen
kostenlos zur Verfügung.
Antimafia heißt
vor allem Perspektiven bieten und Arbeitsplätze garantieren. Das Ziel der
Kooperativen ist es, dereinst einen Agro-Tourismus anzubieten. Der Weg dorthin
ist nicht einfach. Als die erste Pachtübergabe konfiszierter Mafiagüter bekannt
wurde, zerstörten in derselben Nacht Unbekannte den ganzen Baumbestand des
betreffenden Gutes. 270 Olivenbäume wurden mit Motorsägen gefällt. Finanziell
fällt der Schaden nicht ins Gewicht: Zwischen 1992 und 2000 wurden in Italien
illegal erworbene Grundstücke im Gesamtwert von 1,5 Milliarden Euro
konfisziert. Die Paten werden deshalb nicht verarmen. So modern und
diversifiziert die neue Mafia heute auch arbeitet, ihre einträglichste Einnahmequelle
ist die alte geblieben.
Der Schraubstock der Mafia hat bewirkt, dass von 2004 bis 2006 rund 165.000
kommerzielle Aktivitäten eingestellt wurden und 50.000 Hotels dichtgemacht
haben.
Zusammensetzungen der Cupola
in den letzten 50 Jahren
Quelle: „Inside Mafia“ von Richter Giovanni Falcone
1963
Name
|
Ort
|
Bemerkung
|
Salvatore Greco
|
Ciaculli (Palermo)
|
natürlicher Tod
|
Antonino Matranga
|
Resuttana (Palermo)
|
ermordet
|
Mariano Troia
|
San Lorenzo (Palermo)
|
ermordet
|
Michele Cavataio
|
Acquasanta (Palermo)
|
ermordet
|
Calcedonia Di Pisa
|
Noce (Palermo)
|
ermordet
|
Salvatore La Barbera
|
Porta Nuova (Palermo)
|
ermordet
|
Cesare Manzella
|
Cinisi
|
ermordet
|
Giuseppe Panno
|
Casteldaccia
| |
Antonino Salamone
|
San Giuseppe Iato
| |
Lorenzo Motisi
|
Pagliarelli (Palermo)
|
natürlicher Tod
|
Salvatore Manno
|
Bocca di Falco (Palermo)
|
ermordet
|
Francesco Sorci
|
Santa Maria di Gesú (
|
ermordet
|
Mario Di Girolamo
|
Corso Calatafimi (Palermo)
|
ermordet
|
Nach dem ersten großen Mafiakrieg löste sich die Cupola 1963 auf
Das „Triumvirat“ von 1970 – 1974
Gaetano Badalamenti
|
Cinisi
| |
Stefano Bontate
|
Santa Maria di Gesú
|
ermordet
|
Salvatore Riina oder
| ||
Luciano Leggio
|
Corleone
|
1974 – 1977
Gaetano Badalamenti
|
Cinisi
|
natürlicher Tod
|
Stefano Bontate
|
Santa Maria di Gesú
|
ermordet
|
Luciano Lecco |
Corleone
|
natürlicher Tod
|
Rosario Di Maggio
|
Passo di Rigano
|
natürlicher Tod
|
Antonino Salamone
|
San Giuseppe Iato
| |
Giuseppe „Pipo“ Calo
|
Porta Nuova (Palermo)
| |
Rosario Riccobono
|
Partanna
|
ermordet
|
Salvatore Scaglione
|
Noce
|
ermordet
|
Filippo Ciacalone
|
San Lorenzo
|
ermordet
|
Michele Greco
|
Ciaculli
| |
Nené Geraci
|
Partinicio
|
1978
Stefano Bontate
|
Santa Maria di Gesú
|
ermordet
|
Salvatore Riina
|
Corleone
| |
Bernardo Provenzano
|
Corleone
| |
Rosario Riccobono
|
Partanna
|
ermordet
|
Salvatore Scaglione
|
Noce
|
ermordet
|
Michele Greco
|
Ciaculli
| |
Salvatore Inzerillo
|
Passo di Rigano
|
ermordet
|
Francesco Madonia
|
Resuttana
| |
Antonino Salamone
|
San Giuseppe Iato
| |
Giuseppe „Pipo“ Calo
|
Porta Nuova (Palermo)
| |
Ignazio Motisi
|
Pagliarelli
| |
Gigino Pizzuto
|
Agrigent
|
ermordet
|
Nené Geraci
|
Partinicio
|
1979 – 1980
Salvatore Riina
|
Corleone
| |
Bernardo Provenzano
|
Corleone
| |
Rosario Riccobono
|
Partanna
|
ermordet
|
Francesco Madonia
|
Resuttana
| |
Salvatore Scaglione
|
Noce
|
ermordet
|
Antonino Salamone
| ||
Bernardo Brusca
|
San Giuseppe Iato
|
ermordet
|
Gigino Pizzuto
|
Agrigent
|
ermordet
|
Giuseppe „Pipo“ Calo
|
Porta Nuova (Palermo)
| |
Michele Greco
|
Ciaculli
| |
Pino Greco
|
Ciaculli
|
ermordet
|
Ignazio Motisi
|
Pagliarelli
| |
Nené Geraci
|
Partinicio
|
ab 1982
Salvatore Riina
|
Corleone
| |
Bernardo Provenzano
|
Corleone
| |
Rosario Riccobono
|
Partanna
|
ermordet
|
Michele Greco
|
Ciaculli
| |
Pino Greco
|
Ciaculli
|
ermordet
|
Francesco Madonia
|
Resuttana
| |
Andrea Di Carlo
|
Altofonte
| |
Bernardo Brusca
|
San Giuseppe Iato
|
natürlicher Tod
|
Giuseppe „Pipo“ Calo
|
Porta Nuova (Palermo)
| |
Giovanni Scaduto
|
Bagheria
| |
Mariano Agate
|
Mazzara del Vallo
| |
Nené Geraci
|
Partinicio
|
1991
Salvatore Riina
|
Corleone
|
Knast
|
Bernardo Provenzano
|
Corleone
|
Knast
|
Michele Greco
|
Ciaculli
|
Knast
|
Pietro Aglieri
|
Santa Maria di Gesú
| |
Bernardo Brusca
|
San Giuseppe Iato
|
natürlicher Tod
|
Giuseppe „Pipo“ Calo
|
Porta Nuova (Palermo)
| |
Francesco Madonia
|
Resuttana
|
ermordet
|
Andrea Di Carlo
|
Altofonte
| |
Mariano Agate
|
Mazzara del Vallo
|
natürlicher Tod
|
Nené Geraci
|
Partinicio
|
Knast
|
Die Zusammensetzung der Cupola aus dem Jahre 1991 basiert auf einer Vermutung der Staatsanwaltschaften...
Cupola 2013
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