1970 gründeten einige Camorristi unter der Führung von Raffaele
Cutolo die Nuova Camorra Organizzata (NCO), die sich in den Folgejahren
erfolgreich gegen die alten Familien durchsetzen konnte.
Die Camorra - auch in Deutschland
Raffaele Cutolo - Gründer der Nuova Camorra Organizzata |
Die Finanzkraft der
NCO stieg derart an, dass Cutolo sich nun auch Politiker kaufen konnte. Damit
konnte er sich die Kontrolle über das Baugeschäft und die damit verbundenen
kommunalen Aufträge sichern. Das große Erdbeben (Terremoto dell’Irpinia)
vom November 1980 tat sein Übriges: es flossen rund 3 Milliarden Euro für den
Wiederaufbau aus Rom und aus dem Ausland nach Kampanien. Der daraufhin
ausbrechende Bandenkrieg innerhalb der Camorra um die Verteilung dieser Gelder
forderte allein bis zum Mai 1983 ca. 795 Todesopfer, was die Position der
Camorra allerdings keineswegs schwächte.
Das Wort „Camorra“ existiert als solches
überhaupt nicht. Es handelt sich vielmehr um einen Polizeibegriff, der von
Beamten, Journalisten und Drehbuchautoren verwendet wird. Ein Wort, das die
Involvierten selbst übrigens zum Lachen bringt. Die Mitglieder eines Clans
benutzen zu dessen Charakterisierung eher den Begriff „System“ („Ich gehöre zum
System von Secondigliano“) – ein sehr sprechender Ausdruck, der vielmehr einen
Mechanismus denn eine Struktur umschreibt. Denn die kriminelle Organisation
ruht direkt auf der Wirtschaft, und die geschäftliche Dialektik ist das
Knochengerüst eines Clans.
Nach den Aussagen eines Kronzeugen
während der Ermittlungen der Antimafia-Einheit im Jahr 2004 werden etwa 50
Prozent der Geschäfte allein in Neapel aus dem Hintergrund von der Camorra
gesteuert.
Seit Mitte der 1980er Jahre totgesagt, hat sich die Organisation
wieder zusammengefunden und operiert nun auch außerhalb ihres angestammten
Territoriums. Trotz der blutigen Auseinandersetzungen zwischen den
verschiedenen Clans hat die Camorra bis heute weite Teile der Politik und
Wirtschaft Süditaliens unterwandert. In den letzten Jahren forderte ein Krieg
zwischen dem Clan Di Lauro und einer Gruppe von Abtrünnigen, den
„Scissionisti“, viele Opfer (allein 2004/2005 über 100 Straßenmorde). Die
Polizei konnte diesen Krieg nur durch ein Großaufgebot von 13.000 Beamten
eindämmen.
Cosimo Di Lauro - unzählige Morde gehen auf sein Konto |
Am 27. Februar 2005 wurde in Spanien der Führer der Scissionisti, Raffaele
Amato, festgenommen. Ein weiterer Schlag gelang der Polizei und zivilen
Fahndern am 16. September 2005, als mit Paolo Di Lauro einer der wichtigsten
Anführer verhaftet werden konnte.
Clanchef Raffaele Amato - erbitterter Gegner von Di Lauro |
Die Camorra kontrolliert ihr Territorium mit Drohungen, Gewalt und
dank einer stillschweigenden Duldung durch die Einwohner. Gegenwärtig wirken in
ihr etwa 111 Familien und über 6.700 Mitglieder, alle diesbezüglichen
Zahlenangaben sind immer nur Schätzungen.
ermordeter Clanchef in den Straßen Neapels |
Mitte der 1990er saßen die meisten großen Bosse im Gefängnis und man
hatte die Camorra erneut totgesagt. Doch seit jüngster Zeit ist die Organisation in Neapel aktiv wie nie zuvor und hat die Stadt weitgehend unter
ihrer Kontrolle. Jährlich gehen zurzeit mehr als 100 Morde in Neapel auf ihr
Konto, die in der Regel unter rivalisierenden Clans verübt werden. In erster
Linie profitiert die Camorra von der Armut in der Stadt Neapel, da sie sehr
lukrative Jobs vergeben kann: Ein Kleindealer verdient ohne großen Aufwand das
Zehnfache eines Pizzabäckers (20 - 30 tausend Euro im Monat).
Francesco Schiavone, der in Camorrakreisen Sandokan und Cicciariello
genannt wird, gilt als der Chef des Casalesi Clans, eines der stärksten
Clans innerhalb der Camorra, der sich vor allem auf Drogenhandel spezialisiert
hat. Schiavone, der Sohn eines Kleinbauern, entschied sich schon in jungen
Jahren der Camorra beizutreten, um der Armut zu entfliehen. 1972, im Alter von
18 Jahren, wurde er zum ersten Mal verhaftet. Er war an diversen Mafia-Kriegen
und Blutfehden beteiligt und wurde schließlich einer der einflussreichsten
Clan-Chefs. Das Vermögen der Familie von Francesco Schiavone aus seinen
Mafia-Aktivitäten wird auf knapp 800 Mio. USD geschätzt, er versuchte vor allem
durch Immobilien-Geschäfte das Geld reinzuwaschen.
Im Juni 2008 wurde Francesco Schiavone nach mehreren
Gefängnisaufenthalten und Gerichtsverhandlungen schließlich zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe verurteilt
Touristen sind normalerweise nur von Kleinkriminalität wie Diebstahl
bedroht, vor allem in der historischen Altstadt um den Dom. Dort werden auf
Weisung der Camorra keine Motorradhelme getragen, da sich darunter Mitglieder
feindlicher Clans mit Attentatsabsichten zu verstecken pflegen.
Ende Oktober 2006 begann in Neapel erneut eine Mordserie zwischen 20
konkurrierenden Clans, die in 10 Tagen 12 Todesopfer forderte. Italiens
Innenminister Giuliano Amato kündigte die Entsendung von 1.000 zusätzlichen
Polizisten und Carabinieri auf nunmehr über 10.000 Polizeikräfte für die
Ermittlungen und die Sicherheit der Touristen an.
Innenminister Giuliano Amato |
Die Bürgermeisterin Rosa
Russo Iervolino rief die Bürger zu einer Massenmobilisierung gegen die Camorra
auf, als deren Nährboden sie die wachsende Armut sieht, und forderte
Wirtschafts-Initiativen von der Regierung. In Neapel betrage die Arbeitslosenrate
25 %, unter Jugendlichen sogar 50 %. So werde „das organisierte
Verbrechen zum Brotgeber für Tausende von Verzweifelten.“
Ein großes Problem bei der Bekämpfung stellen die mangelnden
finanziellen Aufwendungen seitens des Staates dar. Im Jahre 2006 wurden bis zum
Oktober schon über 700 Morde verübt. Als Ende Oktober 2006 mit zwölf Morden in
zehn Tagen ein offen ausgetragener Bandenkrieg eskalierte, ließ das Italiens
Regierungschef Romano Prodi öffentlich erwägen, Truppen in Neapel stationieren
zu lassen. Kurzfristige polizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Camorra
können aber wegen des Personalmangels bei der neapolitanischen Justiz nicht
bewältigt werden.
Regierungschef Romano Prodi |
Im Gegensatz zur Fehde zweier Teile des Di-Lauro-Clans 2004/2005 geht
die Mordserie Ende 2006 auf das Konto drogensüchtiger, junger Kleinkrimineller,
so Staatsanwalt Corona. Seiner Ansicht nach ist Neapel im Norden und Nordosten
eine No-Go-Area geworden. Hoffnung auf Besserung bestünde allein in der
Verbesserung der sozialen Lage, alle anderen Maßnahmen seien vergebliche
Bemühungen. Die Haupteinnahmequellen der Camorra sind allgemein und in dieser
Reihenfolge: Drogenhandel, Produktpiraterie von Luxusgütern, durch Korruption
und Erpressung erlangte Großaufträge im Baugewerbe, Waffenhandel, illegale Müllentsorgung
und Schutzgelderpressung.
Staatsanwalt Corona und sein Bodyguard |
Nach einer Untersuchung von «Confesercenti», dem zweitgrößten
italienischen Handels- und Unternehmerverband, vom 22. Oktober 2007 im Corriere
della Sera, werden in Neapel die Fischerei, die Milchproduktion, der
Kaffeehandel und 2.500 Bäckereien nahezu vollständig von der Camorra
kontrolliert.
Antonio Menetta - erpresste fast alle Bäckereien Neapels |
Am 14. Dezember 2007 wurde der Clan-Chef Edoardo Contini bei einer
großangelegten Anti-Mafia-Operation in Neapel von Carabinieri verhaftet.
Clan-Chef Edoardo Contini |
Auch am Stadtrand von Neapel war die Polizei erfolgreich: Michele
Catalano, rechte Hand von Camorra-Boss Salvatore Lo Piccolo, bei seiner
Festnahme im November 2007 in Palermo. Italienische Beamte stürmten seine
Wohnung, als Catalano gerade eine TV-Serie ansah - über den "Boss der
Bosse", Toto Riìna.
Michele Catalano |
Nach dem Abschluss des zehn Jahre andauernden Processo Spartacus (Spartacus-Prozess) wurden am 19. Juni 2008 36 Mitgliedern des Casalesi-Clans aus Casal di Principe wegen Mordes und weiteren Delikten zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die beiden flüchtigen Anführer des Clans, Antonio Iovine und Michele Zagaria, bekamen lebenslange Strafen.
Michele Zagaria |
Das Urteil wurde am 15. Januar 2010 vom Obersten
Kassationsgerichtshof in Rom bestätigt. Am 17. November 2010 konnte Antonio
Iovine in einem Haus in Casal di Principe gefasst werden. Am 31. Oktober 2009
gelang der italienischen Polizei dann die Verhaftung des seit 1995 flüchtigen Salvatore
Russo, der gemeinsam mit seinem Bruder als einer der führenden Clan-Chefs galt,
denen der Wiederaufbau der Organisation nach den Rückschlägen der frühen 1990er
Jahre zugeschrieben wird.
„Familie“ nennt die Camorra einen mit
verbrecherischen Absichten gegründeten Clan, in dem die absolute Treue Gesetz
ist, eigenständige Entscheidungen ausgeschlossen sind und nicht nur Verrat,
sondern auch die Rückkehr zu ehrenhaftem Verhalten als todeswürdiges Vergehen
angesehen wird. Die Camorra versucht mit allen Mitteln, dieses Modell einer
„Familie“ zu verbreiten und zu etablieren; sie bedient sich dazu sogar der
kirchlichen Sakramente. Für einen Christen, der dem Wort Gottes folgt, ist
jedoch die Familie nichts anderes als eine in Liebe geeinte Gemeinschaft von
Menschen, die in selbstlosem und fürsorglichem Dienst füreinander eintreten,
einem Dienst, der den Gebenden und den Empfangenden adelt. Die Camorra
beansprucht eine eigene Religiosität, und bisweilen gelingt es ihr sogar, nicht
nur die Gläubigen, sondern auch ahnungslose oder arglose Seelenhirten zu
täuschen.
Auch die Frauen beginnen in Sachen
zahlreicher Verhaftungen und Mordanschläge eine zunehmend wichtigere Rolle zu
spielen.
Tätigkeitsbereiche
- Erpressung: Die Camorra erhält Gelder von der
Mehrzahl der Unternehmen aus der Region über eine Art Steuer, die „pizzo“
genannt wird.
- Prostitution
- Kontrolle unterschiedlichster legaler Aktivitäten
wie Blumen- und Fleischhandel
- Müllabfuhr
- Spielhallen und Discotheken
- Schmuggel aller Art: gestohlene und gefälschte
Waren
- Der Zigarettenhandel hat seit den jüngst
gestiegenen Tabakpreisen wieder zugenommen.
- Drogenhandel aus dem Maghreb, der Türkei (Heroin,
Opium) und Südamerika (Kokain): Er bringt der Camorra bis zu 500.000
Dollar pro Tag ein.
- Betrug: Wie alle italienischen Mafias
zweckentfremdet die Camorra europäische Subventionen, die für den
Wiederaufbau auf dem Land bestimmt sind. Nach dem Erdbeben von 1980 hat
die Camorra das mit Millionen von Euro getan, die von der Europäischen
Union für neue Wohnungen und Häuser gedacht waren.
- Öffentliche Angebote von Bauplätzen
- Giftmüllmanagement: Das hat zur Vergiftung
zahlreicher bäuerlicher Gebiete geführt und gleichzeitig die Anzahl der
Krebserkrankungen in die Höhe schnellen lassen.
- Auf ein Mitglied der ‘Ndrangheta kommen fünf
Camorristi.
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