Der Berliner Hells-Angels-Boss zuckt am
ganzen Körper und scheint sich nur mühsam beherrschen zu können. Kadir P. sitzt
im Saal 500 des Berliner Landgerichts hinter Panzerglas. Mit dem 30-Jährigen
sitzen noch zehn weitere Mitglieder des Rockerclubs auf der Anklagebank. Männer
mit bulliger Statur, Boxernasen, Tätowierungen und kahl rasierten Köpfen, statt
Rockerkutte tragen sie Trainingsjacke und kariertes Oberhemd.
Kadir P. ist der
einzige, der eine Brille trägt, eine mit dickem schwarzen Rand. Den Männern wird
gemeinschaftlicher Mord an Tahir Ö. vorgeworfen. Einer von ihnen ist Kassra Z.
– und aus Sicht der Hells Angels begeht er Hochverrat. Es gehört zum Ehrenkodex
der Rocker, niemals mit Polizei und Justiz zu kooperieren. Wer auspackt, gilt
als Verräter. Kassra Z. packt aus.
Laut Anklage soll
Rockerboss Kadir P. den Mord an dem 26-jährigen Tahir Ö. im Januar dieses
Jahres in einem Wettcafé in Auftrag gegeben haben. Die Anklage geht von einem
Racheakt aus. Hintergrund sei eine Messerstecherei vor einer Diskothek am
Berliner Alexanderplatz im Oktober 2013 gewesen, bei der ein Hells Angel
verletzt worden war. Kassra Z. berichtet, Kadir P. habe seine Hells Angels am
10. Januar aufgefordert, zu dem Wettcafé Expekt in Berlin-Reinickendorf zu
fahren: „Fahrt mal hin ins Expekt, zeigt mal Präsenz und guckt, ob Tahir da
ist.“
Vor dem Café habe
Kassra Z. sich die Kapuze über den Kopf gezogen und sei mit den anderen
hineingegangen. „Ja, und dann habe ich es knallen gehört“, verliest sein Anwalt
die Worte von Z. vor Gericht. Der Todesschütze schießt achtmal, sechs Schüsse
treffen Tahir Ö. Er stirbt noch am Tatort. Der Täter flieht durch die
Hintertür. Die anderen Rocker verschwinden durch den Vordereingang, unter ihnen
Kassra Z. Er sagt, er habe die Todesschüsse nicht gesehen. Als er den Knall
gehört habe, sei er hinausgerannt.
Im Gerichtssaal sitzt
Kassra Z., genannt „der Perser“, direkt gegenüber von Kadir P. Als einziger im
Saal darf Z. eine Sonnenbrille tragen. Zu seinem Schutz sitzt der 27-Jährige in
einer eigenen Panzerglaskabine, wird von bewaffneten Personenschützern bewacht
und trägt eine schusssichere Weste unter dem weißen Sweatshirt. Kassra Z. muss
um sein Leben fürchten. Seine Verteidiger tragen seit drei Verhandlungstagen
vor, was er über die Hells Angels alles verraten hat. Stunde um Stunde muss
sich Hells-Angels-Boss Kadir P. anhören, was sein einstiger Rockerbruder dem
Landeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft alles erzählt hat. Und das hat es
in sich: Kassra Z. erklärt Aufbau und Struktur der Hells Angels, nennt Namen
und weitere mutmaßliche Taten.
Der Mafia Knüller - die großen Clans - Droemer Knaur |
Wer Hells Angels ist
oder werden will, müsse einen monatlichen Mitgliedsbeitrag in Höhe von 110 bis
130 Euro zahlen, bar und pünktlich zum Ersten eines Monats, berichtet Kassra Z.
den Ermittlern. Jedes neue Mitglied werde per E-Mail allen Clubs weltweit
bekannt gegeben. Der Besitz einer Harley Davidson sei Pflicht, „das ist eine
Weltregel“, sagt er. Denn: „Als Hells Angels fährt man nicht Bahn oder Bus.“ Es
gebe Schriftführer, Logistiker und Schatzmeister. Der „Sergeant at Arms“ sei
zuständig für Waffen. Die Bibel der Hells Angels, in der die Regeln der
Rockergruppe geschrieben stehen sollen, nennt Kassra Z. schlicht: „das Buch“.
Kadir P. jedoch habe nach seinen eigenen Regeln gehandelt. „Kadir hat immer
völlig selbstständig und alleine entschieden.“ Niemand habe sich getraut, ihm
zu widersprechen: „Kadir hatte die absolute Führung.“
Anfangs lächelt Kadir
P. noch, als die Verteidiger die Protokolle der Aussage von Kassra Z. verlesen.
Doch bald beginnt er, angespannt mit dem Kopf zu wippen. In der Anklageschrift
wird Kadir P. als „Gastronom“ bezeichnet. Der Hells-Angels-Boss betreibt eine
Shisha-Bar. Kassra Z. aber nennt noch ganz andere Einnahmequellen. Er spricht
von Prostituierten, die dem Rockerboss „Standgeld“ zahlten, von Drogen- und
Anabolikahandel und von Schutzgelderpressung. Er sagt auch: „Kadir war schon
immer sehr vorsichtig, schon fast paranoid.“ Deswegen glaube er auch nicht,
dass P. jemals vor anderen zum Mord auf Tahir Ö. aufgerufen hat. „Kadir ist kein
Doofer. Der würde sich nicht vor 30, 40 Mann stellen und sagen: Bringt den mal
um."
Wenige Stunden nach der
Tat aber habe Kadir P. zu den Rockern, die bei der Tat dabei waren, gesagt: „Es
ist das erste und letzte Mal, dass ich darüber rede. Es ist so, wie es ist.
Nehmt euch einen Zettel und schreibt euren Anwalt darauf.“ Niemand solle jemals
wieder über die Tat reden. Sein Anwalt kümmere sich fortan um alles. Kassra Z.
hat schon damals nicht auf seinen Boss gehört. „Warum wurde da geschossen?“,
habe er einen anderen Hells Angel gefragt. Dieser habe ihm Recep O. als
Schützen genannt.
Im Gerichtssaal winkt
Recep O., genannt Richy, seiner Familie im Zuschauerbereich zu und lächelt sie
herzlich an. Der 25-Jährige wirkt vergnügt, nicht so, als leide er unter der
Untersuchungshaft oder den Vorwürfen. Er ist der Einzige der elf Angeklagten,
der keine Vorstrafen hat. Die Todesschüsse auf Tahir Ö. aber hat er gestanden.
Er habe gedacht, Tahir Ö. ziehe eine Waffe, da habe er „Panik“ bekommen und
geschossen, schrieb Recep O. der Staatsanwaltschaft in einem Brief. Hat
Rockerboss Kadir P. also doch keinen Mord in Auftrag gegeben?
„Ich weiß nichts von
einem solchen Auftrag“, sagt auch Kronzeuge Kassra Z. Die Ermittler haken nach.
„Können Sie sich vorstellen, dass Recep aus eigenem Antrieb geschossen hat?“
Kassra Z. schaut sich während der Vernehmung das Video der Überwachungskameras
an. Dann sagt er, er sei davon überzeugt, „dass Richy auf keinen Fall alleine
gehandelt hat“.
Es
ist erst der Anfang. Noch mehrere Hundert Seiten seiner Aussagen werden in den
kommenden Wochen verlesen. Wegen Kassra Z. sind inzwischen weitere
Strafverfahren gegen Hells Angels eingeleitet worden. Vor Kurzem hat ein
Prozess wegen Mordes an einem Türsteher begonnen. Auch in dem Verfahren ist Kassra
Z. der Kronzeuge.
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