2014 war ein belebtes Jahr für die italienische
Mafia: Immer wieder musste sie Rückschläge einstecken; und doch bewies
sie durch neue Sektoren, wie den Handel mit gefälschten Medikamenten oder
gar durch neue Formen, wie jene in Rom, dass das organisierte Verbrechen in
Italien anpassungsfähig bleibt. Wir blicken auf die fünf wichtigsten
Momente aus dem letzten Jahr zurück.
Der europaweite Medikamentenschmuggel
Der
Glaube, der deutsche Medikamentenhandel werde streng kontrolliert, wurde dieses
Jahr erschüttert. Seit März kamen immer mehr Fälle ans Licht, bei denen
italienische Krankenhäuser, Großhändler und Medikamententransporte ausgeraucht
wurden. Betroffen waren vor allem hochwertige Arzneimittel zur Behandlung von
Krebs. Diese wurden dann manipuliert und so lang gestreckt, dass kaum noch
Wirkstoffe enthalten waren. Schließlich wurden sie über illegale Großhändler in
Osteuropa in die legale Lieferkette eingeschleust und über Europa verteilt. Die
Akten der italienischen Arzneimittelbehörde zeigen, dass die meisten dieser
gefälschten Medikamente für Deutschland bestimmt waren.
Doch
der Pfusch flog auf: Die Europäische Arzneimittel-Agentur gab Mitte April eine
Warnung heraus. Das Paul-Ehrlich-Institut und das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte verschickten Rote-Hand-Briefe an Ärzte und
Apotheker. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern richten eine
Arbeitsgruppe gegen Medikamentenfälschung ein. Im Oktober gab dann die
italienische Arzneimittelbehörde Entwarnung. Alle Medikamente, die nach dem 1.
Juni exportiert wurden, seien sicher, hieß es.
Hinter
allem soll laut italienischen Ermittlern die Mafia stecken.
Medikamentenschmuggel gilt als besonders lukatriv, lukrativer als Drogen- oder
Waffenhandel. Auch zeigt sich hier, die ständige Weiterentwicklung der mafiosen
Machenschaften: Sie passen sich dem Markt an. Die Medikamentenfälschungen sind
somit ein Paradebeispiel für den Begriff der liquiden Mafia.
Operation Archimedes
Europol
versetzt der organisierten Kriminalität Ende September einen harten Schlag. Mit
der “Operation Archimedes” gelingt die bisher größte Aktion gegen kriminelle
Banden und deren Infrastruktur in Europa. Europol Direktor Rob Wainwright
spricht von einem “Meilenstein” in der Geschichte der europäischen Polizei.
Insgesamt konnten 1146 Menschen wegen Menschenhandel, Betrug, Drogen- oder
Waffenhandel festgenommen werden.
italienischer Abgeordneter in Deutschland wegen Waffenschmuggels verhaftet |
20.000
Polizisten aus 34 Ländern haben bei dem internationalen Großeinsatz mitgewirkt.
Acht Tage lang attackierten sie die Banden, vor allem an Flughäfen und Häfen,
Grenzübergängen und einschlägigen Orten in Großstädten, die bereits zuvor
aufgefallen waren. 1,8 Tonnen Cannabis, fast 600 Kilogram Kokain und 200 Kilogramm
Heroin sind sichergestellt worden. 30 rumänische Kinder wurden vor
Menschenhändlern gerettet.
“Es
handelt sich um die bedeutendste koordinierte Aktion, die jemals in Europa
gegen das organisierte Verbrechen geführt wurde”, sagte Europol-Direktor Rob
Wainwright. “Das Ergebnis ist eine Warnung auch an die schlimmsten
Verbrecherbanden, dass die internationalen Justizbehörden entschlossen sind,
ihre illegalen Aktivitäten zu bekämpfen.“
In
Deutschland wurden insgesamt 17 Personen festgenommen, teilte das
Bundeskriminalamt in Wiesbaden mit. Elf davon wegen der Einschleusung von
Ausländern, wobei auch 241 illegal eingereiste Personen festgestellt wurden.
Drei Personen wurden des Rauschgifthandels verdächtigt. In Berlin wurden drei
Italiener bei einem Einbruch erwischt.
Papst exkommuniziert Mafiosi
“Jene,
die in ihrem Leben dem Pfad des Bösen in solch einer Form folgen wie es die
Mafiosi tun, leben nicht in Verbundenheit mit Gott. Sie sind exkommuniziert.”
Mit diesen Worten verbannt Papst Franziskus im Juni bei seinem ersten Besuch in
Kalabrien die Mafiosi aus der katholischen Kirche. Er kündigte an, dass die
Kirche mit allen Mitteln versuchen würde der organisierten Kriminalität die
Stirn zu zeigen. Die Mafia sei lediglich die “Anbetung des Bösen und die Verachtung
des Gemeinwesens.” Es war die vermutlich schärfste Kritik die ein Papst je
gegen die Mafia geäußert hat.
Besonders
entrüstet zeigte sich das Oberhaupt der katholischen Kirche über den Schaden,
den die Mafia Kindern anrichtet. Vor der Exkommunikation hatte er ein Gefängnis
besucht, in dem Angehörige des ermordeten drei-jährigen Nicola Campolongo wegen
Drogenschmuggel inhaftiert sind. Letzterer war einige Monate zuvor von Mafiosi
gemeinsam mit seinem Großvater in einem Auto hingerichtet worden. Sein Tod hat
in ganz Italien für Aufruhr gesorgt. “Niemals wieder darf ein Kind solche
Qualen erleiden”, sagte der Papst.
Die neue Mafia: Mafia Capitale
Seit
Anfang Dezember ist bekannt, dass Rom eine eigene Mafia hat: die Mafia
Capitale. Sie hat alle Ebenen der Stadtpolitik unterwandert. Die Bürger sind
verunsichert. Es dauerte zwei Jahre bis die Anti-Mafia-Behörde in Rom zuschlug:
38 Personen wurden verhaftet, gegen hunderte laufen Ermittlungen, darunter auch
der ehemalige Bürgermeister von Rom Gianni Alemanno. Die Staatsanwälte
beschlagnahmten Güter und Vermögen in Höhe von 200 Millionen Euro.
Die
Mafia Capitale ist eine neue Mafia, gegründet am 13. Dezember 2012 und
losgelöst von den großen Mafia-Organisationen des Landes. Sie ist weniger
konservativ als Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta, benutzt weder Ehrenkodex
noch Rituale.
Die
Hauptstadtmafia lebt durch Korruption. Zu sagen, die Mafia Capitale habe in Rom
mitregiert ist keine Übertreibung. Durch Bestechung von hohen Beamten und
Politikern sicherte sie sich öffentliche Aufträge. Dabei ging es vor allem um
die Unterbringung von Flüchtlingen, Einwanderern und Roma, um den öffentlichen
Nahverkehr, die Müllabfuhr und die Pflege städtischer Grünanlagen. Der Pate der
römischen Mafia ist Massimo Carminati. Der heute 56 Jahre alte Mann nennt sich
selbst „König von Rom.“ Die Carabinieri nahmen Carminati am Morgen des 30.
November vor seinem Haus fest.
Es
bleibt die Frage, wie es für Rom weitergehen kann. Die Bürger haben den ersten
Schock überwunden, nun kommt die Wut. Jegliches Vertrauen in die Politik ist
weg. Der Präsident der nationalen Anti-Korruptions-Behörde Raffaele Cantone
sagt, er spüre in der Bevölkerung den Wunsch nach Lynchjustiz.
Polizei filmt erstmals
Aufnahmeritual der ‘Ndrangheta
Das
Video ist nur eine Minute und 14 Sekunden lang. Zu sehen sind vier Männer, die
sich in einem Restaurant in Castello di Brianza in Norditalien, über den Tisch
beugen. “In der Stille der Nacht, unter dem Licht der Sterne und dem Schein des
Mondes, forme ich die heilige Kette. Im Namen von Garibaldi, Mazzini und
Lamormora mit Worten der Demut forme ich die heilige Gesellschaft”, leitet
einer von ihnen das Ritual ein.
Das
Video ist das Herzstück der Operation “Insubria”, für die Polizisten der
Spezialeinheit ROS unter der Leitung der Mailänder Staatsanwältin Ilda
Boccassini drei Jahre ermittelten. 35 Mafiosi wurden nun in der Region Mailand,
in Verona und in Caltanissetta auf Sizilien verhaftet, drei weitere unter
Hausarrest gestellt.
Garibaldi,
Mazzini und Lamormora sind die Namen dreier Führer der italienischen
Unabhängigkeitsbewegung, die hier, so vermutet es Staatsanwältin Boccassini,
für drei Mafiabosse aus Italien stehen. Daraufhin bittet der Mafioso die
anderen mit ihm einen Treueschwur zu wiederholen. “Ich schwöre, alles zu
leugnen bis zur siebten Generation. Die gesamte kriminelle Gesellschaft von
Anfang bis heute anzuerkennen. Um die Ehre meiner Brüder zu schützen.”
Italienische
Medien schreiben von “einmaligen und historischen Aufnahmen”, weil hier zum
ersten Mal Rituale dokumentiert wurden, die typisch für die ‘Ndrangheta seien.
Es gibt Einblick in einen Moment, der sonst nur im Geheimen stattfindet, aber
durch den sich die ‘Ndrangheta identifiziert.
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