Blutige Klingen, verquaste Rhetorik: Die
italienische Mafia praktiziert archaische Aufnahmeriten. Römische Ermittler
haben jetzt eine schriftliche Anleitung für "Taufen" der kalabrischen
'Ndrangheta gefunden.
Trügerisches Idyll: 'Ndrangheta-Hochburg San Luca im Aspromonte |
Ein erfolgreicher Tag für die Mafiajäger
in Italien: Beamte der italienischen Finanz- und der Kriminalpolizei nahmen 31
mutmaßliche Mitglieder der kalabrischen `Ndrangheta fest. 600 Kilogramm Kokain
und Haschisch wurden sichergestellt, außerdem zahlreiche Waffen.
Die Behörden in Rom gehen in letzter Zeit verstärkt
gegen die 'Ndrangheta vor, die den Kokainhandel in der Hauptstadt in der Hand
hat.
Der herausragende
Fund allerdings ist ein anderer: Die Ermittler gaben bekannt, dass sie
bereits vor Monaten ein kleines Heft mit Notizen gefunden hätten. Die drei
Seiten langen Aufzeichnungen haben es in sich - sie beschreiben die Initiationsriten der kalabrischen Mafia aus
San Luca, einem abgelegenen Bergdorf im Aspromonte, das als Hochburg der ‚Ndrangheta
gilt.
Von hier stammen Opfer und Täter des Blutbades in
Duisburg, das aus einer Fehde der Familien Strangio-Nirta und Pelle-Romeo
resultierte. Am 15. August 2007 wurden sechs Menschen vor einem italienischen
Restaurant erschossen. Der Haupttäter Giovanni Strangio wurde im Juli 2011
zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der "Kodex
von San Luca" beschreibt den Aufnahmeritus der 'Ndrangheta, jenen
für manchen Mafioso geradezu heiligen Moment, in dem er Teil der kriminellen
Organisation wird. Zu einer solchen Zeremonie sind in der Regel die wichtigsten
Clanchefs geladen, das Gelöbnis des Neulings folgt einer immer der gleichen
Dramaturgie mit traditionellen Leitsätzen.
"Wie erkennt man einen jungen Ehrenmann?",
zitiert ein italienisches Onlineportal. "An einem goldenen Stern auf
der Stirn, einem Ritterkreuz auf der Brust und einer goldenen Palme in der
Hand. Und wie kommt es, dass ihr diese schönen Dinge habt und man sie nicht
sieht? Weil ich sie im Fleisch, auf der Haut und in den Knochen trage."
Experten
zufolge wird hier Bezug genommen auf den Gründungsmythos der 'Ndrangheta. Der handelt von drei spanischen
Rittern Osso, Malosso und Carcagnosso, welche die Ehre ihrer Schwester
retteten, indem sie einen Mann töteten. Dafür wurden sie auf die sizilianische
Insel Favignana verbannt. Am Ende ihrer Haft verfassten sie den ersten
Verhaltenskodex sowie das Gesetz der "Omertà" und gründeten die
Geheimgesellschaften - Osso die Cosa
Nostra in Sizilien, Mastrosso die ‚Ndrangheta in Kalabrien, Carcagnosso di
Camorra in Neapel.
Im
aktuellen Fall haben sich die Mafiosi - wie es seit Langem üblich ist - Mühe
gegeben, das Dokument für fremde Augen unlesbar zu machen: Auf den ersten Fotos
der drei Seiten sind
handschriftlich verfasste Zeichen zu erkennen, die an Hieroglyphen erinnern. "Der Inhalt ist alphanumerisch
verschlüsselt", sagte der Chef der römischen Kriminalpolizei, Renato
Cortese. Die Codierung erfolgte demnach nicht nur über Ziffern, sondern auch
über beliebige Zeichen eines Alphabets.
Den
Ermittlern in Rom sei es gelungen, den Code zu entschlüsseln - was sich als
bedeutsam auch für andere Fälle erweisen könnte. Gefunden wurden die
Aufzeichnungen bei Gianni Cretarola, einem Ex-Mafioso, der inzwischen mit den
Strafermittlungsbehörden zusammenarbeitet.
Laut
dem abtrünnigen Cretarola sind in der Regel fünf Personen bei einer Taufe
anwesend. Man begrüße sich mit der Formel "Buon vespro", dann
werde der Ort der Taufe zunächst vom "profanen" zum "heiligen,
unantastbaren, unverletzlichen" erklärt, sagte Cretarola im August 2013 im
Gespräch mit der Staatsanwaltschaft
.
"Wer immer diesen Ort verletzt, wird mit drei bis fünf Dolchstößen in den Rücken bestraft", so die
Drohung.
Es
folge der traditionelle Blutzoll des Neulings, der seinen Finger in ein Messer
drücken müsse, um das Blut fließen zu lassen. Dann werde die formale Taufe
vorgenommen. Die Anweisungen für das Ritual erteile ein dafür abgestellter
Mafioso, "puntaiolo" genannt. Eine Taufe im Gefängnis durchzuführen sei logistisch
weitaus schwieriger als in Freiheit, beklagte der Pentito.
400
Einsatzkräfte haben an diesem Dienstagmorgen in Rom und anderen Regionen
Italiens Wohnungen und Häuser durchsucht. Ins Netz gingen namhafte Bosse, die
sich neben der Zugehörigkeit zu einer mafiösen Gruppe wegen zahlreicher Delikte
verantworten müssen, darunter Körperverletzung, Erpressung - und der Mord an einem gewissen Vincenzo Femia.
Der kalabrische Drogendealer war am 24. Januar 2013
von einem vierköpfigen Killerkommando erschossen wurden. Er war einer der
wichtigsten Vertreter der mächtigen 'Ndrangheta-Familie Nirta und soll den
gleichnamigen Clan aus San Luca angeführt haben. Auseinandersetzungen mit der
rivalisierenden Familie Pizzata soll zu dem Mord geführt haben.
Bereits im August vergangenen Jahres hatten Ermittler
das Video eines geheimen Mafiatreffens in der Schweiz veröffentlicht. Die
archaischen Aufnahmeriten sind weiter fester Bestandteil der organisierten
Kriminalität. Der erste schriftlich verfasste Kodex wurde bereits 1888 in
Italien gefunden.
Die 'Ndrangheta gilt als die derzeit mächtigste
italienische Mafiagruppierung. Sie agiert nicht nur im Norden Italiens, sondern
weltweit. Schätzungen zufolge macht sie alleine (ohne die Cosa Nostra in
Sizilien) im Jahr einen Umsatz von über 53 Milliarden Euro - etwa 2,5 Prozent des italienischen
Bruttosozialprodukts.
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/mafia-ndrangheta-polizei-entdeckt-den-kodex-von-san-luca-a-1014008.html
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