Dienstag, 27. Januar 2015

Koksende Drogenfahnder und die Mafia in Kempten

Stockbetrunken und auf Antidepressiva wurde letztes Jahr im Februar der Chef der Drogenfahndung im Allgäu festgenommen. Er saß am Steuer seines Audi und war gerade von zu Hause geflüchtet, wo er kurz zuvor seine Frau lebensgefährlich gewürgt, zu sexuellen Handlungen gezwungen haben soll und ihr wohl auch noch drohte, sie umzubringen.



Um den Wahnsinn komplett zu machen, gestand er seinen verdutzten Kollegen noch während der Festnahme, dass er Drogen in seinem Spind in der Polizeiwache in Kempten gebunkert hätte. „Das reicht bis zur Rente", soll er gesagt haben. Mehr als eineinhalb Kilo Koks fanden die Beamten dann, als sie seinen Spind aufbrachen. Marktwert: bis zu 250.000 Euro.

Am Montag begann der Prozess gegen den Mann vor dem Landgericht Kempten. Jetzt brauchte er natürlich jede Menge Chuzpe, um sein Pulver direkt vor der Nase einer Horde eifriger Drogenfahnderkollegen zu verstecken. Denen hätte ja auch mal auffallen können, dass er immer in der Toilettenkabine verschwand, statt aufs Pissoir zu gehen. Aber der Schock bei den Beamten, Angehörigen und so ziemlich jedem, der in Kempten eine Meinung hat, sitzt tiefer:

Wer 1,6 Kilo Kokain hat, muss ganz nah an der Quelle sein,“ kommentierte der  Mafia-Experte Claudio Michele Mancini den Fall laut Zeitungsberichten. „Und diese Quelle ist die Ndrangheta." Aber von vorne - Armin N. - seinen Nachnamen dürfen wir nicht nennen, weil das gegen seine Persönlichkeitsrechte verstoßen würde, wie überhaupt vieles in diesem Prozess nicht geschrieben werden darf, berechtigt oder unberechtigt - wurde jedenfalls im Jahr 2000 zum Chef-Drogenfahnder von Kempten befördert. Das heißt, er war etwa für verdeckte Ermittlungen, Razzien und Festnahmen zuständig und durfte beschlagnahmtes Rauschgift vernichten. Soll heißen: 

Er warf es im Beisein eines Staatsanwalts in die Müllverbrennungsanlage. Privat lief es nicht so gut. Im gemeinsamen Haus sollen der Fahnder und seine Frau sich zwar ausschweifenden Nächten mit Koks, Sex-Spielzeug und BDSM hingegeben haben, die aus der Serie „KinK „stammen könnten, berichten Eingeweihte.

Die Ermittlungsergebnisse dazu sollen aber ebenfalls nicht veröffentlicht werden - zum Schutz besonders von Armins Frau. Verständlich. Wer jahrelang mit einem kokainsüchtigen Polizisten zusammenlebt, der auf harten Sex steht und scheinbar unerschöpfliche Kokain-Vorräte hat, hat es schwer genug. In solchen Nächten soll Armin seine Frau immer wieder geschlagen und misshandelt haben, nicht nur einvernehmlich. Einmal floh sie in so einer Situation vor ihm, stürzte vom Balkon und brach sich einen Lendenwirbel. 

Am Abend des 14. Februar 2014 war Sex vermutlich nur Nebensache. Es war Valentinstag und irgendwie muss es Streit gegeben haben. Nach dem gemeinsamen Abendessen trat Armin seiner Frau in Kampfanzug und Erkennungsmarke um den Hals entgegen, drohte, sie umzubringen, und versuchte, sie zu vergewaltigen. Armin war stockbetrunken, seine Frau konnte sich aus seinem Griff befreien, floh in den Garten und holte per Telefon Hilfe.

Als Nächstes soll Armin sich im Auto Richtung Kempten aus dem Staub gemacht haben, bis er schließlich von der mittlerweile verständigten Polizei gestoppt wurde und die Koks-Bombe platzen ließ.

Man könnte fast meinen, er wollte geschnappt werden. Im Gerichtssaal am Montag gab er an, seit Jahren kokainabhängig zu sein. Das Kokain will er aus der Asservatenkammer gehabt haben, wo die Polizei ihre Drogenfunde bis zur Vernichtung lagert. Ein Staatsanwalt soll es ihm überlassen haben - damit er andere im Erkennen von Drogen schult. Aber das glaubte ihm von Anfang an keiner. Woher das Koks stammt, ist bis heute völlig ungeklärt. Das riesige Interesse der Medien an dem Fall rührt aber wo anderes her: Kempten gilt als die Hochburg der italienischen Ndrangheta in Deutschland und als Logistik-Zentrum im Koks-Handel.

Stand Armin N. auf der Gehaltsliste der Mafia oder war er womöglich erpressbar? Schon in den 60er Jahren warb Deutschland in großem Stil Gastarbeiter im Ausland an, damals noch aus Italien. Auch nach Kempten wurden sie geschickt, um die dortige Industrie mit aufzubauen. Wohl mehr zufällig kamen die meisten der Kemptener Italiener ausgerechnet aus Kalabrien, aus der Umgebung eines kleinen, in Deutschland unbekannten Dorfes namens San Luca. Was man damals nicht wusste oder für irrelevant hielt: San Luca ist die Geburtsstätte der Ndrangheta, hier liefen und laufen die Fäden dieser international tätigen kriminellen Vereinigung zusammen, meinen Experten. Die Gastarbeiter aus San Luca wollten der Armut Kalabriens entfliehen. Es gibt keinen Grund, ihnen schlechte Absichten zu unterstellen. Aber im Gepäck hatten sie eben auch zahlreiche Kontakte und Familienbande zur Ndrangheta.

Als dann in den 80er Jahren die Mafia in Italien massiv bekämpft wurde, machten sich viele eingefleischte Mafiosi auf nach Kempten. Sie bauten dort eine sogenannte Relais-Station auf, für den Drogen- und Waffenhandel zwischen Nord- und Südeuropa. Ihren Höhepunkt erreichte die Mafia-Präsenz in Kempten Ende der 90er Jahre, als eine korrupte Schreibkraft bei der Staatsanwaltschaft eingeschleust werden sollte und ein gefürchteter Auftragsmörder am Kemptener Bahnhof festgenommen wurde.
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