Recherche: Anna Neifer / David Schraven
Nahezu alle Polizeibehörden in Deutschland glauben, die italienische Mafia stelle hierzulande kein ernsthaftes Problem dar. Und folgt man den Statistiken, die von offizieller Seite vorgelegt werden, schenkt man der Aussage erstmal Glauben. Erst bei genauerer Hinsicht erkennt man, wie ungenau die Statistiken sind und wie zufällig die Auswahl. Das Gegenteil ist wahr. Die Mafia ist in Deutschland stark, so wie die Zeugen berichten.
Nahezu alle Polizeibehörden in Deutschland glauben, die italienische Mafia stelle hierzulande kein ernsthaftes Problem dar. Und folgt man den Statistiken, die von offizieller Seite vorgelegt werden, schenkt man der Aussage erstmal Glauben. Erst bei genauerer Hinsicht erkennt man, wie ungenau die Statistiken sind und wie zufällig die Auswahl. Das Gegenteil ist wahr. Die Mafia ist in Deutschland stark, so wie die Zeugen berichten.
In den offiziellen Statistiken ist die Rede von lediglich 482
Mitgliedern der Mafia, die in Deutschland festgestellt werden konnten. Davon
sollen der Cosa Nostra 77 Männer angehören, der Camorra 88, der Apulischen OK
14 und der `Ndrangetha 283. Das hört sich auf den ersten Blick nicht viel an.
Insgesamt soll es die Mafia auf über 26.000 Mitglieder bringen. Doch dazu muss
man wissen, dass auf jedes Mitglied der Mafia in Deutschland etliche
Bandenmitglieder kommen, die dem einzelnen Mafioso zuarbeiten oder ihn
unterstützen.
Das tatsächliche Bild wird schon größer, wenn man nur die
Ergebnisse aus Ermittlungsverfahren gegen die Italienische Mafia, sowie geheime
Berichte der italienischen Anti-Mafia-Behörde und des deutschen
Bundeskriminalamtes (BKA) ausgewertet. Dabei kommt heraus, dass weit über 1200
Mafiosi, sowie Unterstützer und Sympathisanten der organisierten Kriminalität
in Deutschland festgestellt werden können. Menschen, die zur Mafia gehören,
oder mit ihr Geschäfte gemacht haben. In nahezu jeder Stadt sind sie zu finden.
Das Netz ist groß. Und die Organisation straff organisiert. Jede
Ebene weiß nur so viel, wie sie wissen muss, um ihre Arbeit erledigen zu
können. In einem vertraulichen Bericht des Landeskriminalamtes NRW zu allen
bekannten Großfällen von strukturierter Schwarzarbeit auf dem Bau seit 2000
heißt es, „in allen Fällen“ gab es Hinweise auf „eine Gruppierung, die
hierarchisch über der agierenden Ebene angesiedelt ist.“ Sprich: es gab die
niedrigen Chargen, die vor Ort die Schwarzarbeit gesteuert haben. Und im
Hintergrund, eine zweite Ebene, die die Strippen gezogen hat.
Das LKA schreibt: „Die Hinweise legen die Vermutung nahe, dass
diese Gruppierung sich aus dem Cosa-Nostra-Clan in der Herkunftsprovinz der
überwiegend aus Sizilien stammenden Täter zusammensetzt“. Die Umsätze die
getätigt werden, gegen in den Milliardenbereich. Festgestellt werden immer nur
zweistellige Millionenbeträge. Die Schäden werden in den Strafverfahren nach
unten gerechnet, nur den unteren Ebenen werden Prozesse gemacht.
Abschreckend sind die Strafen kaum, wie ein Staatsanwalt im
Hintergrundgespräch feststellt. Die Täter müssen mit Strafen um die vier Jahre
rechnen, wenn sie geständig sind. Davon fällt ein Drittel weg, wenn sie sich in
Haft gut benehmen. Ein Jahr geht für die Untersuchungshaft drauf. Bleibt ein
gutes Drittel, dass die Täter tatsächlich in Haft müssen. Doch schon nach
kurzer Zeit können sie mit Freigang rechnen und müssen nur noch zum Übernachten
in den Knast. „Für Berufskriminelle ist das ein hinnehmbares Risiko“, sagt der
Staatsanwalt.
Es ist auffällig, dass fast alle Mafiosi auspacken, wenn sie vor
Gericht stehen. Geständnisse geben Strafnachlass. Betrachtet man ihre Aussagen
allerdings aufmerksam, stellt man fest, dass die Kriminellen nur sehr selten
etwas über die Struktur ihrer Organisation nach oben berichten. Dort tun sich
Löcher auf.
Und so bleibt vieles im Dunkeln. Wer ist dafür verantwortlich,
dass die Bau-Mafia zum Einsatz kommt? Wer sorgt dafür, dass sich keine anderen
Gruppen einmischen. Nur ganz selten werden Gewalttaten bekannt. Wenn
Strohmänner unter Todesdrohungen gezwungen werden, die Scheingeschäfte
aufrechtzuerhalten. Wenn Männer aus dem Immobiliengewerbe in die Wohnungen von
Geschäftspartner eindringen und die Einrichtung zerschlagen, wie in Dortmund.
Wenn sie die Fenster zerschießen und Familienangehörigen Pistolen an die
Schläfe setzen.
Die Mafia ist da. In die Statistiken kommt sie erst, wenn man
nach ihr sucht.
Im Fall der Duisburger Morde 2007 war das etwa so. Das Flutlicht
wurde auf die Mafia gerichtet. Ermittler nahmen die Spur auf. Innerhalb weniger
Jahre konnten die Strukturen der in Duisburg involvierten `Ndrangetha
weitgehend aufgeklärt werden. Die vielen festgestellten Täter, die
spektakulären Verhaftungen ihrer Bosse in ganz Deutschland, von Singen bis
Oberhausen, haben dazu geführt, dass die Bedeutung der ´Ndrangetha in der
Statistik wuchs, tatsächlich aber wurde ihre Organisation durch den
Verfolgungsdruck geschwächt, weil sie ans Licht gezehrt wurde.
Die Cosa Nostra dagegen gibt sich ruhig. Nur ganz selten fallen
ihre Beziehungsmuster auf. Ein Kriminalbeamter aus NRW berichtet, dass selbst
schwere Gewalttaten nicht der Cosa Nostra oder der mit ihr verwandten Stidda in
den Statistiken zugerechnet werden. In Gevelsberg etwa wurden einem Mann von
einem mutmaßlichen Verbindungsmann der Cosa Nostra in den Unterleib geschossen.
Das Opfer sagte später bei der Polizei aus, der Schuss habe sich „aus Versehen“
gelöst, als ihm ein Freund die illegale Waffe zeigen wollte. Der Fall wurde in
der Kriminalstatistik als fahrlässige Körperverletzung aufgenommen. Der
Kriminalbeamte vermutet, es könnte sich vielmehr um Schutzgelderpressung
gehandelt haben, da sich ähnliche Fälle rund um Gevelsberg häuften.
Ein anderer Ermittler berichtet, dass die Cosa Nostra versucht
Morde in Deutschland zu vermeiden, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Die Opfer würden stattdessen nach Sizilien gelockt und dort getötet.
Ein Beispiel ist der Mord an Giuseppe Condello und seinem Fahrer
Vincenzo Priolo. Nach Aussagen italienischer Behörden galt Condello als
Mafiaboss von Palma die Montechiaro in der Provinz Agrigento, ein Nachbarort
von Licata. Die italienischen Ermittler sagen, Condello sei vermutlich
ebenfalls der Boss der Cosa Nostra in Mannheim gewesen. Darüber hinaus soll er
Kontakte nach NRW unterhalten haben. Nach Angaben der Ermittler ist Condello
ständig zwischen Deutschland und Sizilien gependelt.
Ein Zeuge sagt, Condello habe zu viel Drogen genommen und die
Geschäfte des obersten Mafiapaten Matteo Messina Denaro in Deutschland gestört.
Der Zeuge sagt, Denaro habe den Bossen aus der Provinz Agrigento eine Nachricht
überbringen lassen: Dessen Inhalt sinngemäß: „Entweder ihr löst das Problem,
oder ich“. Ob das stimmt oder nicht, lässt sich bis jetzt nicht sicher sagen.
Der Zeuge allerdings war ein enger Vertrauter von Condello.
Auch grenzüberschreitender Versicherungsbetrug gehört zu den
Geschäftsfelder der Cosa Nostra. In einem spektakulären Verfahren ist die
Zürich Versicherungs-Gesellschaft einem Ring von Autocrashern auf die Schliche
gekommen. Das besondere an den vielen hunderten Fällen von zerstörten PKW:
immer waren an den angeblichen Unfällen Männer und Frauen aus dem italienischen
Palma die Montechiaro beteiligt.
Die Versicherung stellte mit einer komplexen Software die
beteiligten Personen in einer dreidimensionalen Grafik dar und konnte
feststellen, dass innerhalb des Netzwerkes nur einige, wenige Männer die
Strippen in den Händen hielten. Sie verursachten hunderte Versicherungsschäden
in der Schweiz, in der Gegend von Mannheim und rund um München. Die Mafia-Bande
konnte so Millionensummen einnehmen die für Waffen und Drogen wieder ausgegeben
wurden. Der Beteiligte Finanzermittler der Zürich Versicherung sagt: „Wir haben
den Fall nur durch Zufall entdeckt.“ Im darauf folgenden Strafverfahren konnten
Verbindungen zu nahezu alle bekannten Mafiagruppen ermittelt werden.
In die Statistiken aufgenommen werden die Taten nur, wenn sie
einen eindeutigen Mafiabezug haben. Das ist selten. Im BKA-Bericht aus dem Jahr
2013 ist die Rede von nur 22 Verfahren gegen italienische Gruppen der
organisierten Kriminalität. Davon 19 mit Verbindungen zur Mafia. Die Verfahren
nehmen ständig ab.
In einem Bericht des BKA zu den Finanzermittlungen gegen
Mafiagruppen werden ständig sinkende Schäden kolportiert. Nur rund 3,7
Millionen Euro Schaden sei dem deutschen Staat durch die Mafia im Jahr 2012
zugefügt worden, heißt es. Im Jahr 2003 lag der festgestellte Schaden noch bei
33,2 Millionen Euro.
Hat der Staat gegen die Mafia gesiegt, wie es die Statistiken
glauben machen wollen?
„Nein“, sagt der Mafia-Killer: „Die Mafia existiert! Und wie!
Ihr seht sie bloß nicht, weil sie sich so gut tarnt.“
Ein deutscher Ermittler sagt: Seine Behörde könne kaum noch
etwas gegen die Mafia tun. Alleine die Dolmetscher seien so teuer, dass er eine
Telefonüberwachung kaum noch durchführen kann. Und nur mit diesen Maßnahmen
seien schwere Delikte aufklärbar. Der Ermittler sagt: schon wenige Tage
Lauschangriff auf die Mafia würden schnell über 100.000 Euro kosten. „Das
bewilligt heute doch keiner mehr.“
´Ndrangheta
Hauptverbreitungsgebiet:
Kalabrien
Mitglieder: etwa 8000
6 Tote Italiener vor der Pizzeria „Da Bruno“ in Duisburg. Das Ergebnis einer blutigen Fehde, deren Spur sich von Italien bis nach Nordrhein-Westfalen zieht. Durch das Massaker konnten deutsche Behörden die Augen nicht länger verschließen. Die Mafia ist längst angekommen in Deutschland und tötet, wie in Italien.
Organisation:
Die ´Ndrangheta ist die stärkste Mafia-Organisation in Deutschland. Während andere Organisation hierarchisch strukturiert sind, setzt die ´Ndrangheta
auf ein föderales System. Das bedeutet, dass alle Clans gleiche Kompetenzen besitzen. Jeder Clan in sich ist allerdings streng organisiert.
In der Regel sind die Mitglieder eines Clans eine richtige Familie, also Blutsverwandte.
Verbreitung in Deutschland:
Laut Ermittlungsbehörden halten sich 283 mutmaßliche Mitglieder der ´Ndrangheta in Deutschland auf. Außerdem werden bundesweit etwa 300 Pizzerien der Mafia-Organisation zugeordnet. Die ´Ndrangheta hat sich vor allem in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen angesiedelt.
Ihre vier wichtigsten Clane sind die Carelli, die Critelli, die Farao und die Nirta-Romeo-Pelle.
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Cosa Nostra
Hauptverbreitungsgebiet: Sizilien
Mitglieder: etwa 5500
500 Kilogramm Sprengstoff um zwei Staatsanwälte zu töten. Im Jahr 1992 werden
kurz hintereinander die Symbolfiguren der Mafia-Bekämpfung in die Luft
gesprengt: Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Italien steht unter Schock
und die älteste Mafia-Organisation fühlt sich allen überlegen. Es ist
vielleicht der schwächste Moment Siziliens, doch dies führt zu schärferen
Mafia-Gesetzen. Ein kleiner Schritt auf einem langen Weg. Heute ist die Cosa
Nostra (it. unsere Sache) eine international agierende kriminelle Organisation.
Die Mitglieder eines Clans werden ausgewählt, nachdem sie sich als treu und loyal
gegenüber der Organisation erwiesen haben. Es besteht nicht zwingend eine
Blutsverwandtschaft zwischen den Mitgliedern, wie es etwa bei der ´Ndrangheta
üblich ist.
Organisation:
Seit etwa 1975 legen die Mitglieder der „cupola regionale“ die Leitlinien für die Cosa Nostra fest. Die cupola bilden die Anführer der jeweiligen Clans. Die bekanntesten Bosse der Cosa Nostra waren Salvatore Riina und Bernardo Provenzano. Die Nummer Eins der Cosa Nostra und Anführer der cupola ist der seit 20 Jahren gesuchte Matteo Messina Denaro.
Verbreitung in Deutschland:
Laut Ermittlungsbehörden halten sich 77 mutmaßliche Mitglieder der Cosa Nostra in Deutschland auf. Vor allem in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg.
Stidda
Hauptverbreitungsgebiet: Südsizilien
Mitglieder: etwa 5000
Die Stidda ist eine Abspaltung der Cosa Nostra. Vermutlich in den 1970er Jahren gründeten einige Clans um Palma di Montechiaro und Agrigento (Südsizilien) eine eigene Mafia-Organisation. Die Stidda, was soviel wie Pech oder Stern bedeutet. Der Stern ist auch das Erkennungszeichen der Stiddari, wie die Mitglieder der Stidda genannt werden. Das Symbol wird häufig als Tattoo auf der rechten Hand getragen, zwischen Zeigefinger und Daumen.
Organisation:
Trotz der Abspaltung ist die Stidda der Cosa Nostra sehr ähnlich. Die Stidda ist jedoch eher netzwerkartig strukturiert und arbeitet weniger mit Hierarchien.
Verbreitung in Deutschland:
Bislang liegen zur Stidda wenige Zahlen vor. Ihr Hauotverbreitungsgebiet ist in Baden-Württemberg. Ein Schwerpunkt bildet Pforzheim.
Camorra
Hauptverbreitungsgebiet:
Neapel und Umland
Mitglieder: etwa 6.500
„Gomorrha“, das Buch über die Machenschaften der Mafia rund um Neapel wurde millionenfach verkauft.
Organisation:
Die Camorra besitzt keinen Kopf an ihrer Spitze. Sie setzt sich aus vielen Familien zusammen, die allerdings in Konkurrenz zueinander stehen. Daher gibt es häufig mehrere Familien, die sich zusammenschließen für gemeinsame Geschäfte.
Verbreitung in Deutschland:
Laut Ermittlungsbehörden halten sich 88 mutmaßliche Mitglieder der Camorra in Deutschland auf. Vor allem in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen.
Sacra Corona Unita
Hauptverbreitungsgebiet:
Region Apulien
Mitglieder: etwa 1600
Auch bekannt als „Apulische Mafia“ oder „Apulische OK“, da in Apulien das Territorium der Organisation liegt. Die Mafia besteht aus etwa 50 Clans. Das Hauptgeschäft macht die Apulische Mafia vermutlich mit Drogenschmuggel zwischen Montenegro und Italien.
Verbreitung in Deutschland:
Laut Ermittlungsbehörden halten sich 14 mutmaßliche Mitglieder der Apulischen Mafia in Deutschland auf. Vor allem in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz.
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