Mafiöse Gruppierungen im Tessin sind
diskrete Akteure mit gefährlicher Weltläufigkeit. Über sie sprachen am
Mittwochabend die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion von "Ticino Sicuro"
in Lugano, bei der auch der Tessiner Generalstaatsanwalt anwesend war.
Kriminelle Organisationen, die im Tessin aktiv sind, kommen
längst nicht mehr nur aus dem benachbarten Italien. Die Schattenwirtschaft habe
sich ebenfalls globalisiert, sagte der Tessiner Generalstaatsanwalt John
Noseda. Osteuropäische Gruppierungen würden versuchen den Markt der
Prostitution im Südkanton zu kontrollieren - die chinesische Mafia nutze den
Bankenplatz Lugano zur Geldwäsche.
Das Verbrechen hätte sich mit den Kapitalströmen beschleunigt
und sei deshalb immer schwerer zu kontrollieren. Und dies trotz einer in den
vergangenen 30 Jahren verstärkten Regulierung bei Banken und Treuhändern, die
schwarze Schafe stärker sichtbar gemacht hätten, sagte der Generalstaatsanwalt.
FINDIG UND FLORIEREND
Diese suchten sich jedoch "Nebenkanäle", wie jüngst
Bankschließfächer, die von privaten Firmen von geschlossenen Bankfilialen
angemietet würden. Sie entzögen sich so dem geltenden Regelwerk - ihre Klienten
parkten dort Schmiergelder und Einnahmen aus dem Drogenhandel zwischen, sagte
Noseda.
Doch auch außerhalb des Banken- und Finanzsektors sei die
Wirtschaft von kriminellen Organisationen unterwandert - und diese seien dabei
äußerst wandlungsfähig: Bedienten sie in den 1970er Jahren noch den
Drogenhandel, drangen sie in der Folgezeit in das boomende Bauwesen im Tessin
vor.
"Bei aktuelleren Ermittlungen konnten wir auch mafiöse
Verstrickungen im Unterhaltungs- und Freizeitbereich nachweisen", sagte
Noseda. Hier endeten jedoch die Parallelen zum südlichen Nachbarn.
VERWALTUNG BLEIBT NOCH AUSGEKLAMMERT
Das organisierte Verbrechen habe in der Schweiz keinen direkten
Einfluss auf die politische Verwaltung und öffentliche Einrichtungen.
"Hier bezahlt niemand Schutzgeld", sagte der Mitorganisator der
Diskussionsrunde im Anschluss gegenüber der Nachrichtenagentur sda.
Der Tessiner Strafanwalt Edy Salmina, der ebenfalls als
Podiumsgast geladen war, warnte davor, die Gefahr aus dem organisierten
Verbrechen für eine zu starke Regulierung, zu instrumentalisieren. Ansonsten
drohe dem Wirtschaftsstandort Tessin, beispielsweise bei der
Unternehmensgründung, gegenüber anderen Regionen der Schweiz weiter ins
Hintertreffen zu geraten.
Nicht die Summe der Gesetze und Regeln bewirke einen
wirkungsvollen "Schutz" vor der Mafia, sagte Salmina. Das zeige das
Beispiel Italien, wo seit mehr als 30 Jahren Anti-Mafia-Gesetze erlassen würden
- trotzdem seien vier große Mafia-Netzwerke weiterhin einflussreich.
HÜRDEN FÜR MAFIA-VERFOLGUNG IN DER SCHWEIZ
Eines von ihnen ist die 'Ndrangheta, gegen die im vergangenen
Jahr auch in der Schweiz durch die Bundesanwaltschaft ermittelt wurde. Dabei
erschwerte die bestehende Rechtslage ihnen eine Strafverfolgung: Die
Anforderungen für eine Verurteilung wegen Beteiligung an einer kriminellen
Organisation seien in der Schweiz sehr hoch, sagte Bundesanwalt Michael Lauber
in einem Interview mit der "NZZ am Sonntag".
"Die reine Mitgliedschaft reicht für eine Verurteilung
nicht aus, darin ist sich die herrschende Lehre einig." Es brauche den
Nachweis, dass jemand die Organisation in ihrer kriminellen Aktivität konkret
unterstützt habe - beispielsweise indem jemand als Anwalt, Treuhänder oder
Berater tätig war, sagte der Bundesanwalt.
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