Donnerstag, 15. Januar 2015

Mafia im Tessin unscheinbar und mit langem Atem

Mafiöse Gruppierungen im Tessin sind diskrete Akteure mit gefährlicher Weltläufigkeit. Über sie sprachen am Mittwochabend die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion von "Ticino Sicuro" in Lugano, bei der auch der Tessiner Generalstaatsanwalt anwesend war.




Kriminelle Organisationen, die im Tessin aktiv sind, kommen längst nicht mehr nur aus dem benachbarten Italien. Die Schattenwirtschaft habe sich ebenfalls globalisiert, sagte der Tessiner Generalstaatsanwalt John Noseda. Osteuropäische Gruppierungen würden versuchen den Markt der Prostitution im Südkanton zu kontrollieren - die chinesische Mafia nutze den Bankenplatz Lugano zur Geldwäsche.

Das Verbrechen hätte sich mit den Kapitalströmen beschleunigt und sei deshalb immer schwerer zu kontrollieren. Und dies trotz einer in den vergangenen 30 Jahren verstärkten Regulierung bei Banken und Treuhändern, die schwarze Schafe stärker sichtbar gemacht hätten, sagte der Generalstaatsanwalt.





FINDIG UND FLORIEREND

Diese suchten sich jedoch "Nebenkanäle", wie jüngst Bankschließfächer, die von privaten Firmen von geschlossenen Bankfilialen angemietet würden. Sie entzögen sich so dem geltenden Regelwerk - ihre Klienten parkten dort Schmiergelder und Einnahmen aus dem Drogenhandel zwischen, sagte Noseda.

Doch auch außerhalb des Banken- und Finanzsektors sei die Wirtschaft von kriminellen Organisationen unterwandert - und diese seien dabei äußerst wandlungsfähig: Bedienten sie in den 1970er Jahren noch den Drogenhandel, drangen sie in der Folgezeit in das boomende Bauwesen im Tessin vor.
"Bei aktuelleren Ermittlungen konnten wir auch mafiöse Verstrickungen im Unterhaltungs- und Freizeitbereich nachweisen", sagte Noseda. Hier endeten jedoch die Parallelen zum südlichen Nachbarn.


VERWALTUNG BLEIBT NOCH AUSGEKLAMMERT

Das organisierte Verbrechen habe in der Schweiz keinen direkten Einfluss auf die politische Verwaltung und öffentliche Einrichtungen. "Hier bezahlt niemand Schutzgeld", sagte der Mitorganisator der Diskussionsrunde im Anschluss gegenüber der Nachrichtenagentur sda.

Der Tessiner Strafanwalt Edy Salmina, der ebenfalls als Podiumsgast geladen war, warnte davor, die Gefahr aus dem organisierten Verbrechen für eine zu starke Regulierung, zu instrumentalisieren. Ansonsten drohe dem Wirtschaftsstandort Tessin, beispielsweise bei der Unternehmensgründung, gegenüber anderen Regionen der Schweiz weiter ins Hintertreffen zu geraten.

Nicht die Summe der Gesetze und Regeln bewirke einen wirkungsvollen "Schutz" vor der Mafia, sagte Salmina. Das zeige das Beispiel Italien, wo seit mehr als 30 Jahren Anti-Mafia-Gesetze erlassen würden - trotzdem seien vier große Mafia-Netzwerke weiterhin einflussreich.


HÜRDEN FÜR MAFIA-VERFOLGUNG IN DER SCHWEIZ

Eines von ihnen ist die 'Ndrangheta, gegen die im vergangenen Jahr auch in der Schweiz durch die Bundesanwaltschaft ermittelt wurde. Dabei erschwerte die bestehende Rechtslage ihnen eine Strafverfolgung: Die Anforderungen für eine Verurteilung wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation seien in der Schweiz sehr hoch, sagte Bundesanwalt Michael Lauber in einem Interview mit der "NZZ am Sonntag".

"Die reine Mitgliedschaft reicht für eine Verurteilung nicht aus, darin ist sich die herrschende Lehre einig." Es brauche den Nachweis, dass jemand die Organisation in ihrer kriminellen Aktivität konkret unterstützt habe - beispielsweise indem jemand als Anwalt, Treuhänder oder Berater tätig war, sagte der Bundesanwalt.
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