Der Chef der Frauenfelder 'Ndrangheta-Zelle wurde verhaftet. Aber 16
weitere Verdächtige bewegen sich noch immer frei – trotz einem Haftbefehl aus
Italien. Dafür gibt es nur zwei mögliche Erklärungen.
Seit dem vergangenen
22. August ist bekannt, dass die Anti-Mafia-Behörde von Reggio Calabria einen
Haftbefehl gegen 18 Mitglieder einer 'Ndrangheta-Zelle in Frauenfeld erlassen
hat. Zwei davon, unter ihnen der Anführer der Zelle, konnten in der Nacht zuvor
in Kalabrien verhaftet werden. Die übrigen 16, die sich allesamt in der Schweiz
aufhalten sollen, seien von den Schweizer Behörden lokalisiert worden und
würden verhaftet, sobald die Auslieferungsformalitäten geklärt seien, teilte
damals die Anti-Mafia-Behörde mit.
Abgelehntes Gesuch
Seither sind zwei
Wochen vergangen. Die Männer im Alter zwischen 36 und 71 Jahren sind aber immer
noch alle auf freiem Fuß. Folco Galli, der Informationschef des Bundesamts für
Justiz (BJ), bestätigt auf Anfrage: «Von den 16 Mitgliedern der Frauenfelder
'Ndrangheta-Zelle wurde bisher niemand verhaftet.» Das ist bemerkenswert. Denn
die Schweizer Behörden sind gemäß Zusatzabkommen zwischen der Schweiz und
Italien zur Erleichterung der Rechtshilfe dazu verpflichtet, bei Eingang eines
Fahndungsersuchens rasch zu handeln.
Zu möglichen Gründen,
die ein Abwarten rechtfertigen könnten, will sich Galli mit Verweis auf die
Vertraulichkeit solcher Ersuchen grundsätzlich nicht äußern. Dass Verhaftungen
bisher ausgeblieben sind, lässt aber nur zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder
ist das entsprechende Gesuch beim BJ bisher nicht eingegangen, oder das
eingegangene Gesuch war unvollständig.
Chef des Bundesamtes für Justiz |
Gegen die erste These
spricht eine Mitteilung der Bundesanwaltschaft (BA), in der es bereits am 25.
August hieß, dass die Anti-Mafia-Behörde ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz
gestellt habe. Gleiches bestätigte auch der zuständige italienische
Staatsanwalt Nicola Gratteri auf Anfrage der NZZ. Dass ein Gesuch gestellt
wurde, heißt zwar freilich noch nicht zwingend, dass dieses beim BJ
eingetroffen sein muss. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass die Akten für
den Weg in die Schweiz mehr Zeit benötigt haben sollen als eine Postkarte aus
einem süditalienischen Badeort.
Für die zweite These
gibt es indes mindestens einen Präzedenzfall. Bei einer weltweit konzertierten
Großrazzia gegen die 'Ndrangheta im Jahr 2011, bei der auch ein Verdächtiger in
der Schweiz hätte verhaftet werden sollen, lehnte das BJ ein Fahndungsgesuch
aus Italien ab, weil der dargelegte Sachverhalt zu knapp formuliert gewesen
war, wie Galli damals sagte. Insbesondere ging aus dem damaligen Gesuch nicht
hervor, was dem Tatverdächtigen konkret vorgeworfen wurde.
Facebook-Profil gelöscht
Formelle Mängel
könnten auch im vorliegenden Fall durchaus der Grund für die ausgebliebenen
Verhaftungen sein. Das BJ ist verpflichtet, zu prüfen, ob ein Ersuchen alle
erforderlichen Angaben enthält und ob eine Auslieferung grundsätzlich infrage
kommt, bevor sie das zuständige Polizeikorps anweist, eine Person festzunehmen.
Unzulässig sind Auslieferungen zum Beispiel, wenn es um Schweizer Bürger (auch
Doppelbürger) geht oder wenn die vorgeworfene Handlung in der Schweiz nicht
strafbar ist. Letzteres dürfte im vorliegenden Fall aber kaum der Fall sein, da
auch die Bundesanwaltschaft eine Strafuntersuchung wegen Mitgliedschaft in der
'Ndrangheta führt.
Dass die Verhaftung
ihres Chefs auf manche Mitglieder der Frauenfelder Zelle einen Einfluss hatte,
zeigt derweil ihr Verhalten im Internet. Eines der Mitglieder, die ein
Facebook-Profil haben, hat seines in der Zwischenzeit gelöscht. Fünf haben sich
auf diesem Kanal nicht mehr geäußert. Nur einer postet noch regelmäßig
Nachrichten und scheint nicht sonderlich beunruhigt zu sein. Und das, obschon
im Hintergrund seines Profilbilds eindeutig der Bocciaklub in Wängi zu sehen
ist, in dem die Zelle bei einem Clantreffen gefilmt wurde.
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