Montag, 29. Juni 2015

EUROPOL - Mega-Coup gegen Drogen-Mafia

Dabei wurden allein 2,8 Tonnen Kokain in mehreren Ländern beschlagnahmt.
Im Rahmen einer internationalen Anti-Drogenrazzia unter der Koordination von Europol sind im Zeitraum zwischen 4. Mai und dem 24. Juni in 260 Ortschaften der Welt 500 Personen festgenommen worden. Dabei wurden 2,8 Tonnen Kokain und 390 Fahrzeuge konfisziert, teilte die italienische Polizei am Montag bei einer Pressekonferenz in Rom mit. In Österreich wurde der Schwerpunkt auf Schlepperei gelegt.


"Blue Amber"

Alle 28 EU-Staaten waren an der Aktion namens "Blue Amber" beteiligt. Im Visier der Fahnder stand der Kokainhandel zwischen Südamerika und Europa, sowie der Heroinhandel zwischen Afghanistan und Pakistan in Richtung Westen. Verfolgt wurden neben Drogen- und Waffenschmuggel auch der Handel mit Plagiatprodukten und mit gestohlenen Autos, berichtete die italienische Polizei.


Europol-Direktor Rob Wainwright


Wie das Bundeskriminalamt (BK) in einer Aussendung mitteilte, wurden unter dessen Leitung und mit Unterstützung der Landespolizeidirektionen Wien, Burgenland, Niederösterreich und Oberösterreich Aktionen gegen die Schlepperkriminalität durchgeführt. Auf der Schlepperroute, die vom Burgenland ausgehend auf die Ostautobahn (A4) in Richtung Wien und weiter auf der Südautobahn (A2) bzw. Wiener Außenringautobahn (A21) über Niederösterreich und Oberösterreich nach Deutschland führt, gab es 150 Aufgriffe.


Weltweites Netzwerk

Die Personen stammten vor allem aus Syrien, Irak und Afghanistan. Ebenfalls kam es in zwei Tagen zu insgesamt 14 Festnahmen von Schleppern und der Fahndung nach zwei flüchtigen Verdächtigen. Die Schlepper stammen aus Bulgarien, Rumänien, Serbien und Ungarn, aber auch aus der Türkei und Tunesien. Als Schlepperfahrzeuge wurden Pkw und Kleintransporter aus Bulgarien, Rumänien, Ungarn sowie in einem Fall Großbritannien verwendet.

Im Rahmen der Operation wurde am 16. und 17. Juni auch gegen sogenannte Airline-Betrüger vorgegangen, die mit gestohlenen Kreditkartendaten Flugtickets bestellen. Auf 140 Flughäfen in 49 Ländern wurden 130 Personen, die im Besitz solcher Flugtickets waren, angehalten und festgenommen. In Österreich wurde ein pakistanischer Staatsbürger am Flughafen Wien-Schwechat aufgrund einer Flugbuchung mit einer nicht autorisierten Kreditkartentransaktion belangt. Bei einem zweiten Fall handelte es sich um einen polnischen Staatsbürger mit einem derartig ergaunerten Flugticket, hieß es vom BK.


Internationale Zusammenarbeit

An der Razzia beteiligten sich neben Polizisten aus den 28 EU-Mitgliedstaaten auch andere internationale Partner. "Wir haben bewiesen, dass die internationale Kooperation eine riesige Rolle im Kampf gegen das organisierte Verbrechen spielen kann", betonte Europol-Direktor Rob Wainwright.

.

Rom versinkt knietief im Müll

Roms Straßen ersticken im Dreck und Abfall - eine der Folgen eines riesigen Skandals, der schon diverse Lokalpolitiker in den Knast gebracht hat. Nun wird das römische Desaster sogar für Premier Renzi gefährlich.




Mitten in Rom. Berge von Müll. Eine Gruppe amerikanischer Touristen. «Wie das hier aussieht!», sagt einer. «Wie in Afrika», sagt die Frau neben ihm. Dann gehen sie weiter. Zigarettenschachteln, Limo-Flaschen und Cola-Dosen am Straßenrand werden sie auch weiter begleiten, denn in Rom wird viel weggeworfen und wenig weggeräumt. 

660 Kilo Müll produziert ein durchschnittlicher Römer pro Jahr, zu viel für die städtische Müllabfuhr. Die Container quellen über, rechts und links liegen aufgeplatzte Säcke. Die tagelang nicht geleerten Biomülltonnen sind ein Eldorado für Möwen: Sie verstreuen die Fisch- und Obstreste auf dem Bürgersteig.

Mehr als zehn Millionen Besucher kommen pro Jahr in die vielleicht schönste Stadt der Welt. Sie sind begeistert von den Kultur- und Kunstschätzen, aber entsetzt über den maroden Zustand der italienischen Metropole: Straßen und Bürgersteige voller Löcher, brüchiger Beton in Unterführungen ohne Licht, Abfall an fast jeder Ecke.

Wo die Römer wohnen, ist es noch viel schlimmer als im Centro Storico, wo die Touristen flanieren. «Ich fahre nicht mehr mit der Vespa», sagt Loredana. Sie ist hier geboren, ihr Leben lang mit dem Motorino gefahren, wie die meisten Römer. «Es geht nicht mehr», sagt sie, «ich bin dreimal gestürzt, weil man die tiefen Schlaglöcher im Dunklen nicht sieht».




Die gefährlichen Löcher sind Ergebnis der Profitgier: Die Kiesschicht und die Asphaltdecke auf den Straßen sind allenfalls halb so hoch, wie sie sein müssten, dadurch erhöhen sich die Gewinne der Unternehmer. Die Fahrbahnen sind natürlich gleich wieder kaputt. Eine der Folgen: Rom ist die Stadt mit den meisten Verkehrstoten in Italien.

Loredanas Ehemann, Roberto, fährt nicht mehr Bus. «Zu Fuß bin ich schneller», sagt er. Die Busse bleiben ständig im Verkehrsgewühl hängen. Aus Verzweiflung suchen Busfahrer mitunter aufs Geratewohl Ausweichstrecken. Die Menschen an den regulären Haltestellen warten dann vergeblich.

Die demoskopische Talfahrt von Renzi und seinen Sozialdemokraten hat viel mit dem Zustand in der ewigen Stadt zu tun. Und der wiederum ist das Ergebnis eines rigiden Netzwerks aus Politik und Mafia. Nicht der bekannten süditalienischen Gangster-Syndikate, sondern der hausgemachten römischen «Mafia Capitale». 

Dass es die überhaupt gibt, wollten die meisten Römer lange nicht glauben. Bis im vorigen Dezember über 40 Lokalpolitiker und Unternehmer verhaftet wurden und ein Geflecht sichtbar wurde, in dem Stadträte und Behördenchefs mit Zigtausenden Euro geschmiert wurden. Ob bei der Müllabfuhr, dem öffentlichen Nahverkehr oder der Unterbringung von Immigranten: überall mischte die römische Mafia mit. Deshalb wurde für schlechte Arbeit besonders viel Geld bezahlt.

Damals im Dezember schob man noch alles der rechtsextremen Seilschaft des früheren Bürgermeisters Gianni Alemanno zu. Da die zu dem Zeitpunkt jedoch bereits abgewählt war, wähnten die Römer sich am Ende des Skandals. Doch weit gefehlt.

Jetzt verhaftete die Polizei weitere 44 ehrenwerte Bürger, darunter bekannte Namen der inzwischen in Rom regierenden Sozialdemokraten. Offenbar haben auch Amtsleiter und Stadträte der PD mit den Mafia-Bossen Massimo Carminati und Salvatore Buzzi kooperiert, die jahrelang Italiens Hauptstadt mitregierten



.
Damit ist PD-Chef Renzi direkt involviert. Bei seinem Aufstieg hatte er versprochen, die alte, korrupte Politikergarde zu «verschrotten». Nun verfolgt Italien sehr genau, was er mit seinen eigenen Leuten macht.

Lieber heute als morgen würde Renzi den römischen Bürgermeister, seinen Parteifreund Ignazio Marino, in die Wüste schicken. Aber so einfach ist das nicht. Denn Marino will nicht gehen. «Das Volk liebt mich», ist er überzeugt, «nur die Parteibosse hassen mich».

Zwar gibt es keinen Hinweis, dass der Bürgermeister Teil des Mafia-Systems gewesen ist. Aber er hat offenbar auch nicht viel dagegen unternommen. Vielleicht hat er nicht einmal davon gewusst. Auch das spräche freilich nicht unbedingt für ihn.

Marino ist gelernter Chirurg, hat als Spezialist für Lebertransplantationen viele Jahre in den USA gearbeitet. Zurück in Italien kam er 2006 als Parteiloser auf der Liste der Sozialdemokraten in den italienischen Senat, zuständig natürlich für Gesundheitsfragen. 

Erst seit er im Juni 2013 zum Bürgermeister Roms gewählt wurde, musste er sich in die Niederungen großstädtischer Probleme wagen. Auffallend erfolgreich war er da nicht. Er habe bislang, verteidigt er sich, die Straßen nur von dubiosen Firmen reparieren lassen können. Erst jetzt sei das anders.

Trotzdem will ihm Renzi die Zuständigkeit für das nächste bevorstehende Großereignis nehmen: das Heilige Jahr. Es wird laut Papst Franziskus im Dezember 2015 beginnen und bis November 2016 dauern. Es verspricht Millionen anreisenden Pilgern den Sündenerlass – und den Römern eine bessere Infrastruktur. Etwa 1.5 Milliarden Euro sollen verbaut werden. 

Geld und Arbeit soll Ex-Geheimdienstchef Franco Gabrielli lenken. Er hat sich mit dem weitgehend korruptionsarmen Wiederaufbau der vom Erdbeben zerstörten Stadt L'Aquila einen Namen gemacht und mit der Bergung der gesunkenen «Costa Concordia».

Roms Bürgermeister mitsamt Gemeinderat und Verwaltungsspitze droht die Entlassung. Entscheidend dafür ist ein Bericht aus dem Innenministerium. Aber womöglich wird Renzi den gar nicht mehr abwarten wollen.
.

Sonntag, 28. Juni 2015

Die langen Schatten der Cosa Nostra

Eine Rundreise auf Sizilien zeigt die Konsequenzen der Mafiaherrschaft – und den erfolgreichen Kampf gegen die Paten

Claudio Michele Mancini
© Copyright


Fortunata sitzt mit ihren Mitstudenten am Dorfplatz von Corleone. Sie albern herum, starren auf ihre Handydisplays. Corleone! Man denkt an die Mafia und an den Film "Der Pate" von Francis Ford Coppola. Die Titelmelodie von Ennio Morricone und Nino Rota kommt einem in den Sinn. Tatsächlich: Corleone war Namensgeber der dreiteiligen Familiensaga "Der Pate" und eine Hochburg der Mafia – viele bekannte Bosse des organisierten Verbrechens stammen aus dem 11.000-Einwohner-Ort, mehr als eine Stunde von Palermo entfernt.

Claudio Michele Mancini
© Copyright


Fortunata, die 20-jährige Studentin und ihre Freunde sind wie Hunderte anderer Schüler und Studenten an diesem Sonnabend in Corleone, um an die Ermordung des Antimafia-Staatsanwaltes Giovanni Falcone am 23. Mai 1992 und an die seines engsten Mitarbeiters Paolo Borsellino zwei Monate später zu erinnern. Auf dem Dorfplatz hängen Zettel und Briefe mit Worten wie "Mafia no" an einem Baum, an Balkonen prangen Poster mit den Porträts der beiden Mafiajäger. Jedes Jahr am 23. Mai reisen Zehntausende Schüler und Studenten aus Italien nach Sizilien, um ein Zeichen im Kampf gegen die Mafia und für die "legalità", die Rechtsstaatlichkeit, zu setzen.

Claudio Michele Mancini
© Copyright



Alle Fensterläden sind geschlossen

"Wir wollen an die Ermordung von Falcone und Borsellino erinnern und zeigen, dass wir gegen die Mafia sind", sagt Fortunata auf Englisch und wird von ihrem Mitstudenten angestupst. Das Wort "Mafia" nimmt man hier nicht gern in den Mund. "Pssst", sagt der junge Mann neben ihr auf der Parkbank.

Die Mafia, Cosa Nostra (italienisch für "unsere Sache") wie der Zweig auf Sizilien heißt, ist auf der größten Mittelmeerinsel nicht nur Klischee und Touristenfolklore – auch wenn es T-Shirts mit Marlon Brandon als "Der Pate" in den Souvenirläden zu kaufen gibt, und in machen Gassen touristischer Orte wie Taormina die Titelmelodie des "Paten" aus Lautsprechern erklingt. Ja, das auch. Aber nicht nur. Vor allem ist der Widerstand gegen das Organisierte Verbrechen allgegenwärtig. Das lässt sich auf einer mehrtägigen Busreise über die Insel erleben. Corleone ist eine Station der Tour "Legende und Gegenwart – auf den Spuren der Cosa Nostra".

Claudio Michele Mancini
© Copyright


Ganz offen spricht Maurizio di Palermo vom Kulturverein über die Mafia in Corleone. Wichtig ist dem Architekten, auf den Widerstand gegen die "ehrenwerte Gesellschaft" hinzuweisen. Hier und in der Inselhauptstadt Palermo sei das Zentrum der Auflehnung. Bernadino Verro heißt der Mann, der hier vor 100 Jahren von der Mafia getötet wurde. Er war der erste sozialistische Bürgermeister im Ort, der sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft eingesetzt hatte. Zum Missfallen der Paten.

Maurizio führt die Reisegruppe durch Corleone, vorbei an ockerfarbenen Häusern, an deren schmiedeeisernen Balkonen Wäsche zum Trocknen hängt. Die Fensterläden sind grundsätzlich geschlossen. Auch wenn es noch angenehme 20 Grad sind, kann es im Sommer bis zu 40 Grad heiß werden. Maurizio berichtet: "Die beste Waffe gegen die Mafia sind Informationen und Kultur."


Claudio Michele Mancini
© Copyright


Nach einem Gang durch die Gassen geht es in ein Eckhäuschen oberhalb der Ortsmitte. In einer Ausstellung erzählen Gemälde von der Geschichte, von Tätern und Opfern der Mafia. Im Erdgeschoss werden Pasta, Olivenöl und Käse verkauft – Produkte, die von konfiszierten Mafia-Gütern stammen. Toto Riina, Auftraggeber zahlreicher Morde, stammt aus der Stadt. 1993 wurde er festgenommen. Im April 2006 hat man Bernardo Provenzano, auch ein Mafia-Boss aus Corleone, verhaftet. Das Eckhäuschen, Geburtshaus des Paten Provenzano hat vor Jahren die Polizei beschlagnahmt. Nun führen Maurizio und seine Mitstreiter wie Annalisa Salpietra von der Organisation "Libera Terra" ("Freies Land") durch die Ausstellung. "Mein Ziel ist es , Corleone nicht länger als Stadt der Mafia zu zeigen, sondern der Menschen, die ehrenhaft sind", sagt die 27-Jährige.


Claudio Michele Mancini
© Copyright


Mit dieser Haltung steht sie nicht allein. Überall auf Sizilien setzen die Menschen Zeichen gegen das Organisierte Verbrechen und für den Rechtsstaat. Bestellt man einen Cappuccino, gibt es stets einen Beleg – und zwar auch als Beweis dafür, dass der Cafébetreiber seine Steuern ordentlich zahlt. In der Hauptstadt Palermo haben sich mehr als 800 Ladenbesitzer unter dem Namen "Addio Pizzo" (Adieu Schutzgeld) zusammengetan. Aufkleber an den Türen zu den Bars, wie in der "Antica Focacceria", machen deutlich, dass sie kein Schutzgeld zahlen.

Ungefährlich ist das nicht, sagt Stadtführerin Maria Denaro. Deshalb zahlen 80 Prozent der Geschäfte eben weiterhin pizzo, Schutzgeld. "Die meisten Sizilianer haben nichts mit der Mafia zu tun, aber wer ein erfolgreiches Geschäft hat, spürt die Mafia", sagt Maria. In der Antica Focacceria essen die zehn Teilnehmer der Busreise Mittag. Häufig besteht das aus mehreren Gängen mit Weiß- und Rotwein.


Claudio Michele Mancini
© Copyright


Verglichen mit Deutschland, muss jedes italienische Restaurant dort angesichts dieser Köstlichkeiten einpacken. Allerdings hat sich niemand an die Spezialität Siziliens herangewagt, an den Panino con la milza, einen Vorfahr des Hamburgers: Zubereitet mit Milz, aber auch mit der Lunge vom Kalb, wird er mit Zitrone beträufelt und mit Ricotta bestreut. Zum Nachtisch gibt es wie immer auf dieser Reise Cannoli, mit Ricottacreme gefüllte Teigröllchen. Die Antica Focacceria liegt an der Via Alessandro Paternostro im Stadtteil La Kalsa.


Palermo als Anti-Mafia-Hauptstadt

Palermo ist eine morbide Schönheit mit heruntergekommenen Häusern, und dichtem Autoverkehr, der sich durch Straßen und Boulevards frisst. Als Fußgänger muss man den Mut haben, einfach auf die Straße zu gehen, um sie zu überqueren. Freiwillig hält kein Autofahrer. Und dann die Überraschung: Stehen Touristen in den Gassen, um Fotos zu machen, warten die Autofahrer und lassen sie zu Ende fotografieren. Palermo ist auch eine Stadt der Widersprüche.


Claudio Michele Mancini
© Copyright


Dass die 655.000-Einwohner-Stadt so heruntergekommen ist, hängt auch mit der Mafia zusammen, erklärt Stadtführerin Maria. Die 1943 durch Bomben und 1968 durch ein Erdbeben zerstörte Altstadt drohte durch Bauspekulationen der Mafia und korrupter Politiker vollends zerstört zu werden. Die Altstadtbewohner verließen die Gegend, am Stadtrand entstanden Neubauviertel, an denen die Mafia verdiente. Seit 1993, nach den Attentaten, erholt sich die Stadt langsam. "Man versucht, Palermo als Anti-Mafia-Hauptstadt zu etablieren", sagt Maria und führt die Gruppe durch La Kalsa. "Beide, Giovanni Falcone und Paolo Borselino, stammen aus diesem Viertel", erzählt sie.

Auf der Tour durch Palermo sind die beiden getöteten Cosa-Nostra-Widerstreiter allgegenwärtig. Mit 500 Kilogramm Sprengstoff wurde Falcones Fahrzeug auf der Flughafenautobahn in die Luft gesprengt. Er und sein Kollege Borsellino, waren die Initiatoren des "Maxi-Prozesses", des Gerichtsverfahrens gegen die Mafia von 1986 und 1987 in Palermo. Von 475 Angeklagten wurden 360 verurteilt. Vor dem Haus von Borsellinos Mutter, wo der Staatsanwalt ermordet wurde, steht ein 170 Jahre alter Baum, der als Mahnmal dient. Schulklassen haben Zettel, Briefe und Zeichnungen angehängt.


Claudio Michele Mancini
© Copyright


Der Bus fährt vorbei am Ätna-Gebirge. Um den Vulkan herum reifen Mandarinen und Pfirsiche, Mandeln und Feigen, Pistazien und Oliven. Die Straßen sind häufig Buckelpisten – funktioniere die Infrastruktur nicht, sagt Reiseführerin Maria, stecke die Mafia dahinter. Die Mafia war und ist immer dort im Spiel, wo wirtschaftliche Interessen herrschen. Waren es im 19. Jahrhundert die Orangen- und Zitronenplantagen und die Landwirtschaft, für die sich die Paten interessierten, übt das Organisierte Verbrechen heute Einfluss aus im Baugewerbe und in der Infrastruktur.

Claudio Michele Mancini
© Copyright


"Sizilien ist nicht nur Mafia", sagt der 79-Jährige Salvatore. Der Alte versucht, dem Thema die Schwere zu nehmen und philosophiert über blühenden Ginster, und Mandelbäume. "Ich bin Mafioso", sagt er lachend. "Meine Waffe ist die Liebe." Ach, Salvatore.


Mit dem Kleinbus geht es durch die Mittagssonne nach Savoca. Dort wurde in einem rustikalen Steinhaus aus dem 18. Jahrhundert "Der Pate" tatsächlich gedreht, während Corleone nur Namensgeber war. Jeder schlendert für sich durch das malerische Felsennest oberhalb des Meeres. An der Kirche Chiesa Madre (hier heiratet im Film einer der Mafia-Paten) erklingt ein "Ave Maria".

Samstag, 27. Juni 2015

Ein Restaurant wehrt sich gegen die Camorra

Die Stadt Casal di Principe ist in Italien berüchtigt, weil sie von der Camorra, der Mafia der Region Kampanien, verwüstet wurde. Von den Behörden wurde sie mehr oder weniger aufgegeben und mittlerweile dient sie für mehrere Industriebranchen des reichen italienischen Nordens als illegale Deponie für giftige Abfälle.





Ein großer Teil der Gegend ist zerstört und die Zahl der Tumorerkrankungen unter Einheimischen hat extrem zugenommen. Die Lage ist aber weit davon entfernt, sich zu entspannen. „In Castel Volturno [neben Casal di Principe] haben die Behörden kürzlich die größte illegale Mülldeponie Europas entdeckt”, erzählt mir ein Jugendlicher, der mich vom Bahnhof abholt.





Wir brausen durch die Stadt. Die Straßen sind eng und es ist auffallend, dass es voll und ganz an Stadtplanung fehlt. Die meisten Häuser sehen aus, als hätte man sie mit wenig bis keinem Wissen über Bauarbeit erbaut. Viele Gebäude sehen unfertig aus, die Ziegeln und der Beton sind durch die Risse zu sehen. Parks scheint es in Casal di Principe keine zu geben, öffentliche Plätze auch kaum. Die einzigen zwei Plätze, die ich entdecke, sind so wenig grün, dass sie sich irgendwie fehl am Platz anfühlen.



Ich komme um die Mittagszeit bei der Nuova Cucina Organizzata (NCO) an. Auf Deutsch übersetzt würde das so etwas wie Neue, organisierte Küche heißen. NCO ist ein Restaurant, das 2007 von einer Gruppe heimischer Aktivisten eröffnet wurde. In erster Linie ist es aber ein Mittel, um gegen die Camorra zu kämpfen, und ein Hoffnungsschimmer für die ganze umliegende Gegend. 

„Hast du die hier schon gesehen?”, fragt mich Pepe Pagano, Vizepräsident der Nuova Cucina Organizzata und zeigt auf eine Tür, als ich eine große Villa betrete, die damals Mario „Bott” Caterino, einem der Camorra-Bosse von Casal di Principe, gehörte. „Das sind Einschusslöcher”, sagt er, ohne sich ein Lächeln verkneifen zu können. Vor ein paar Jahren schoss die Camorra auf das Restaurant, um uns mitzuteilen, dass wir hier nicht willkommen sind. Wir lassen sie so, wie sie sind, damit sie uns jeden Tag daran erinnern, gegen wen wir kämpfen.”




Hinter der dicken Tür befindet sich eine Villa, die aus einer furchtbaren Mischung aus Stahlbeton und Marmor gebaut ist, die die Camorristi mit Eleganz verwechseln. Wie die meisten Villen der Mafiosi ist auch dieses dreistöckige Gebäude in einer kleinen Seitenstraße am Stadtrand von Casal di Principe von dicken Wänden und weißen Säulen umgeben, die vage an die alten Tage des römischen Reichs erinnern.

Nach einem Besuch des Anwesens werde ich zum Mittagessen eingeladen. „Wir haben gerade renoviert und unsere Wiedereröffnung ist offiziell am 29. Juni. Antonio De Rosa, der Manager von der Agropoli Cooperative, einer NGO, die Teil der NCO-Familie ist, erklärt, dass „einer der bekanntesten Pizzabäcker aus Neapel wird kommen und für alle unsere Gäste kochen” wird. Zum Mittagessen gibt es leider keine Pizza. Stattdessen bekomme ich aber einen unglaublich leckeren Auberginenauflauf, Parmigiana de Melanzane. Ich muss zugeben: Das ist sogar noch besser als das Rezept meiner Großmutter, das sie immer für mich kochte, wenn ich sie besuchte.



Pagano erklärt: „Als ich NCO gründete, glaubte ich, - und das hat sich auch heute noch nicht geändert - , dass die einzige Möglichkeit für diese Region der Wandel ist.” Einfach sollte es nicht werden. In Casal di Principe hat ein Mitglied der Camorra 1982 Militärpolizisten auf dem Hauptplatz Ohrfeigen verpasst, und ein weiteres hat es 1994 gewagt, Don Peppe Diana, einen Priester der Stadt, der organisierte Verbrechen öffentlich kritisiert hatte, umzubringen.

Das Restaurant befindet sich im ersten Stock. An den Wänden befinden sich Regale aus Stahlstrukturen, die aus dem Stahlbeton, mit dem die meisten nicht genehmigten Gebäude in der Gegend gebaut wurden, freigelegt wurden. „Das ist eine wichtige symbolische Geste”, sagt Raffaele Sermonella, der Architekt, mit ein bisschen Stolz. „Wir wollen zeigen, wie man etwas komplett anders als die ehemaligen Besitzer verwenden kann.”

Pagano erklärt mir, dass zwei Gründe sie dazu bewegten, ein Restaurant zu eröffnen. Der erste hat mit der Rolle von Essen in der Region zu tun, nicht nur was die regionale Küche anbelangt, sondern auch die Zaghaftigkeit der Leute gegenüber Produkten aus der Region, die sie bekämpfen wollen. Der zweite Grund waren die auf Vertrauen basierenden Netzwerke und die Solidaritätsarbeit, die sie den Leuten in die Gegend bringen wollten.




„Die Camorra lebt von Angst und Misstrauen. Wir bieten genau das Gegenteil: ein solidarisches Netzwerk und Bedingungen, die zur Ermächtigung des Einzelnen führen. Das ist etwas Grundlegendes, weil es im Kampf gegen die Mafia nicht nur um einzelne Helden geht, sondern um ein starkes, anonymes Netzwerk. Einen Helden kann man töten, eine veränderte Einstellung bleibt.”

Um noch effektiver agieren zu können, will NCO vom Staat finanziell unabhängig werden. Und deshalb haben Pagano und De Rosa in den letzten Jahren angefangen, die Produkte, die NCO verwendet, selbst zu produzieren, darunter Aprikosen, Pfirsiche, Auberginen und ein Asperino, der im 17. Jahrhundert vom Haus Bourbon erfunden wurde.

Große Mengen des Obsts und Gemüses werden in einem neu gebauten Labor in einer anderen Villa, die früher ebenfalls im Besitz der Camorra war, verarbeitet. Pfirsiche werden zu Marmelade, Trauben zu Wein, Paprika, Auberginen und Zwiebeln werden eingelegt. Ein Teil landet dann in der Küche des Restaurants, der Rest wird an Einzelpersonen oder online verkauft.

Als das Dessert serviert wird - Büffelmozzarella gefüllt mit Biskuitkuchen und Zimt -, erzählt mir Mauro Pagano, der Kommunikationsstratege von NCO, dass der größte kommerzielle Erfolg ein „facciamo un pacco alla camorra” ist, ein Geschenkpaket, das ein Wortspiel basierend auf dem neapolitanischen Ausdruck „fare un pacco” ist, der sowohl „zum Narren machen” als auch „verpacken” bedeutet. In diesem Fall wird das Paket an die Unterstützer und Sympathisanten in ganz Italien verkauft, die die Camorra zum Narren machen.

„Vergiss die Einschusslöcher nie”, sagt Peppe zu mir, als ich mich zum Aufbruch bereit mache. Er glaubt, dass ein Camorristi heute nicht mehr auf NCO schießen würde. „Es gibt zu viele Leute, die uns unterstützen und die Medien verfolgen unser Projekt mit großem Interesse”, sagt er. Das heißt aber nicht, dass die Camorra verschwunden ist. Italienische Gewerkschaften für organisierte Verbrechen machen mehr Geld denn je, aber die Niederlage der Camorra in Casal di Principe hat eine symbolische Bedeutung: Ihre ehemaligen Häuser werden als Hauptquartier für Organisationen, die ihre Macht - unter anderem mit Essen - anfechten.