Sonntag, 28. Juni 2015

Die langen Schatten der Cosa Nostra

Eine Rundreise auf Sizilien zeigt die Konsequenzen der Mafiaherrschaft – und den erfolgreichen Kampf gegen die Paten

Claudio Michele Mancini
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Fortunata sitzt mit ihren Mitstudenten am Dorfplatz von Corleone. Sie albern herum, starren auf ihre Handydisplays. Corleone! Man denkt an die Mafia und an den Film "Der Pate" von Francis Ford Coppola. Die Titelmelodie von Ennio Morricone und Nino Rota kommt einem in den Sinn. Tatsächlich: Corleone war Namensgeber der dreiteiligen Familiensaga "Der Pate" und eine Hochburg der Mafia – viele bekannte Bosse des organisierten Verbrechens stammen aus dem 11.000-Einwohner-Ort, mehr als eine Stunde von Palermo entfernt.

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Fortunata, die 20-jährige Studentin und ihre Freunde sind wie Hunderte anderer Schüler und Studenten an diesem Sonnabend in Corleone, um an die Ermordung des Antimafia-Staatsanwaltes Giovanni Falcone am 23. Mai 1992 und an die seines engsten Mitarbeiters Paolo Borsellino zwei Monate später zu erinnern. Auf dem Dorfplatz hängen Zettel und Briefe mit Worten wie "Mafia no" an einem Baum, an Balkonen prangen Poster mit den Porträts der beiden Mafiajäger. Jedes Jahr am 23. Mai reisen Zehntausende Schüler und Studenten aus Italien nach Sizilien, um ein Zeichen im Kampf gegen die Mafia und für die "legalità", die Rechtsstaatlichkeit, zu setzen.

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Alle Fensterläden sind geschlossen

"Wir wollen an die Ermordung von Falcone und Borsellino erinnern und zeigen, dass wir gegen die Mafia sind", sagt Fortunata auf Englisch und wird von ihrem Mitstudenten angestupst. Das Wort "Mafia" nimmt man hier nicht gern in den Mund. "Pssst", sagt der junge Mann neben ihr auf der Parkbank.

Die Mafia, Cosa Nostra (italienisch für "unsere Sache") wie der Zweig auf Sizilien heißt, ist auf der größten Mittelmeerinsel nicht nur Klischee und Touristenfolklore – auch wenn es T-Shirts mit Marlon Brandon als "Der Pate" in den Souvenirläden zu kaufen gibt, und in machen Gassen touristischer Orte wie Taormina die Titelmelodie des "Paten" aus Lautsprechern erklingt. Ja, das auch. Aber nicht nur. Vor allem ist der Widerstand gegen das Organisierte Verbrechen allgegenwärtig. Das lässt sich auf einer mehrtägigen Busreise über die Insel erleben. Corleone ist eine Station der Tour "Legende und Gegenwart – auf den Spuren der Cosa Nostra".

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Ganz offen spricht Maurizio di Palermo vom Kulturverein über die Mafia in Corleone. Wichtig ist dem Architekten, auf den Widerstand gegen die "ehrenwerte Gesellschaft" hinzuweisen. Hier und in der Inselhauptstadt Palermo sei das Zentrum der Auflehnung. Bernadino Verro heißt der Mann, der hier vor 100 Jahren von der Mafia getötet wurde. Er war der erste sozialistische Bürgermeister im Ort, der sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft eingesetzt hatte. Zum Missfallen der Paten.

Maurizio führt die Reisegruppe durch Corleone, vorbei an ockerfarbenen Häusern, an deren schmiedeeisernen Balkonen Wäsche zum Trocknen hängt. Die Fensterläden sind grundsätzlich geschlossen. Auch wenn es noch angenehme 20 Grad sind, kann es im Sommer bis zu 40 Grad heiß werden. Maurizio berichtet: "Die beste Waffe gegen die Mafia sind Informationen und Kultur."


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Nach einem Gang durch die Gassen geht es in ein Eckhäuschen oberhalb der Ortsmitte. In einer Ausstellung erzählen Gemälde von der Geschichte, von Tätern und Opfern der Mafia. Im Erdgeschoss werden Pasta, Olivenöl und Käse verkauft – Produkte, die von konfiszierten Mafia-Gütern stammen. Toto Riina, Auftraggeber zahlreicher Morde, stammt aus der Stadt. 1993 wurde er festgenommen. Im April 2006 hat man Bernardo Provenzano, auch ein Mafia-Boss aus Corleone, verhaftet. Das Eckhäuschen, Geburtshaus des Paten Provenzano hat vor Jahren die Polizei beschlagnahmt. Nun führen Maurizio und seine Mitstreiter wie Annalisa Salpietra von der Organisation "Libera Terra" ("Freies Land") durch die Ausstellung. "Mein Ziel ist es , Corleone nicht länger als Stadt der Mafia zu zeigen, sondern der Menschen, die ehrenhaft sind", sagt die 27-Jährige.


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Mit dieser Haltung steht sie nicht allein. Überall auf Sizilien setzen die Menschen Zeichen gegen das Organisierte Verbrechen und für den Rechtsstaat. Bestellt man einen Cappuccino, gibt es stets einen Beleg – und zwar auch als Beweis dafür, dass der Cafébetreiber seine Steuern ordentlich zahlt. In der Hauptstadt Palermo haben sich mehr als 800 Ladenbesitzer unter dem Namen "Addio Pizzo" (Adieu Schutzgeld) zusammengetan. Aufkleber an den Türen zu den Bars, wie in der "Antica Focacceria", machen deutlich, dass sie kein Schutzgeld zahlen.

Ungefährlich ist das nicht, sagt Stadtführerin Maria Denaro. Deshalb zahlen 80 Prozent der Geschäfte eben weiterhin pizzo, Schutzgeld. "Die meisten Sizilianer haben nichts mit der Mafia zu tun, aber wer ein erfolgreiches Geschäft hat, spürt die Mafia", sagt Maria. In der Antica Focacceria essen die zehn Teilnehmer der Busreise Mittag. Häufig besteht das aus mehreren Gängen mit Weiß- und Rotwein.


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Verglichen mit Deutschland, muss jedes italienische Restaurant dort angesichts dieser Köstlichkeiten einpacken. Allerdings hat sich niemand an die Spezialität Siziliens herangewagt, an den Panino con la milza, einen Vorfahr des Hamburgers: Zubereitet mit Milz, aber auch mit der Lunge vom Kalb, wird er mit Zitrone beträufelt und mit Ricotta bestreut. Zum Nachtisch gibt es wie immer auf dieser Reise Cannoli, mit Ricottacreme gefüllte Teigröllchen. Die Antica Focacceria liegt an der Via Alessandro Paternostro im Stadtteil La Kalsa.


Palermo als Anti-Mafia-Hauptstadt

Palermo ist eine morbide Schönheit mit heruntergekommenen Häusern, und dichtem Autoverkehr, der sich durch Straßen und Boulevards frisst. Als Fußgänger muss man den Mut haben, einfach auf die Straße zu gehen, um sie zu überqueren. Freiwillig hält kein Autofahrer. Und dann die Überraschung: Stehen Touristen in den Gassen, um Fotos zu machen, warten die Autofahrer und lassen sie zu Ende fotografieren. Palermo ist auch eine Stadt der Widersprüche.


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Dass die 655.000-Einwohner-Stadt so heruntergekommen ist, hängt auch mit der Mafia zusammen, erklärt Stadtführerin Maria. Die 1943 durch Bomben und 1968 durch ein Erdbeben zerstörte Altstadt drohte durch Bauspekulationen der Mafia und korrupter Politiker vollends zerstört zu werden. Die Altstadtbewohner verließen die Gegend, am Stadtrand entstanden Neubauviertel, an denen die Mafia verdiente. Seit 1993, nach den Attentaten, erholt sich die Stadt langsam. "Man versucht, Palermo als Anti-Mafia-Hauptstadt zu etablieren", sagt Maria und führt die Gruppe durch La Kalsa. "Beide, Giovanni Falcone und Paolo Borselino, stammen aus diesem Viertel", erzählt sie.

Auf der Tour durch Palermo sind die beiden getöteten Cosa-Nostra-Widerstreiter allgegenwärtig. Mit 500 Kilogramm Sprengstoff wurde Falcones Fahrzeug auf der Flughafenautobahn in die Luft gesprengt. Er und sein Kollege Borsellino, waren die Initiatoren des "Maxi-Prozesses", des Gerichtsverfahrens gegen die Mafia von 1986 und 1987 in Palermo. Von 475 Angeklagten wurden 360 verurteilt. Vor dem Haus von Borsellinos Mutter, wo der Staatsanwalt ermordet wurde, steht ein 170 Jahre alter Baum, der als Mahnmal dient. Schulklassen haben Zettel, Briefe und Zeichnungen angehängt.


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Der Bus fährt vorbei am Ätna-Gebirge. Um den Vulkan herum reifen Mandarinen und Pfirsiche, Mandeln und Feigen, Pistazien und Oliven. Die Straßen sind häufig Buckelpisten – funktioniere die Infrastruktur nicht, sagt Reiseführerin Maria, stecke die Mafia dahinter. Die Mafia war und ist immer dort im Spiel, wo wirtschaftliche Interessen herrschen. Waren es im 19. Jahrhundert die Orangen- und Zitronenplantagen und die Landwirtschaft, für die sich die Paten interessierten, übt das Organisierte Verbrechen heute Einfluss aus im Baugewerbe und in der Infrastruktur.

Claudio Michele Mancini
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"Sizilien ist nicht nur Mafia", sagt der 79-Jährige Salvatore. Der Alte versucht, dem Thema die Schwere zu nehmen und philosophiert über blühenden Ginster, und Mandelbäume. "Ich bin Mafioso", sagt er lachend. "Meine Waffe ist die Liebe." Ach, Salvatore.


Mit dem Kleinbus geht es durch die Mittagssonne nach Savoca. Dort wurde in einem rustikalen Steinhaus aus dem 18. Jahrhundert "Der Pate" tatsächlich gedreht, während Corleone nur Namensgeber war. Jeder schlendert für sich durch das malerische Felsennest oberhalb des Meeres. An der Kirche Chiesa Madre (hier heiratet im Film einer der Mafia-Paten) erklingt ein "Ave Maria".

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