Eine
Rundreise auf Sizilien zeigt die Konsequenzen der Mafiaherrschaft – und den
erfolgreichen Kampf gegen die Paten
Claudio
Michele Mancini
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Fortunata sitzt mit ihren Mitstudenten
am Dorfplatz von Corleone. Sie albern herum, starren auf ihre Handydisplays.
Corleone! Man denkt an die Mafia und an den Film "Der Pate" von
Francis Ford Coppola. Die Titelmelodie von Ennio Morricone und Nino Rota kommt
einem in den Sinn. Tatsächlich: Corleone war Namensgeber der dreiteiligen
Familiensaga "Der Pate" und eine Hochburg der Mafia – viele bekannte
Bosse des organisierten Verbrechens stammen aus dem 11.000-Einwohner-Ort, mehr
als eine Stunde von Palermo entfernt.
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Fortunata, die 20-jährige Studentin und
ihre Freunde sind wie Hunderte anderer Schüler und Studenten an diesem
Sonnabend in Corleone, um an die Ermordung des Antimafia-Staatsanwaltes
Giovanni Falcone am 23. Mai 1992 und an die seines engsten Mitarbeiters Paolo
Borsellino zwei Monate später zu erinnern. Auf dem Dorfplatz hängen Zettel und
Briefe mit Worten wie "Mafia no" an einem Baum, an Balkonen prangen
Poster mit den Porträts der beiden Mafiajäger. Jedes Jahr am 23. Mai reisen
Zehntausende Schüler und Studenten aus Italien nach Sizilien, um ein Zeichen im
Kampf gegen die Mafia und für die "legalità", die
Rechtsstaatlichkeit, zu setzen.
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Alle Fensterläden sind geschlossen
"Wir wollen an die Ermordung von
Falcone und Borsellino erinnern und zeigen, dass wir gegen die Mafia
sind", sagt Fortunata auf Englisch und wird von ihrem Mitstudenten
angestupst. Das Wort "Mafia" nimmt man hier nicht gern in den Mund.
"Pssst", sagt der junge Mann neben ihr auf der Parkbank.
Die Mafia, Cosa Nostra (italienisch für "unsere
Sache") wie der Zweig auf Sizilien heißt, ist auf der größten
Mittelmeerinsel nicht nur Klischee und Touristenfolklore – auch wenn es
T-Shirts mit Marlon Brandon als "Der Pate" in den Souvenirläden zu
kaufen gibt, und in machen Gassen touristischer Orte wie Taormina die
Titelmelodie des "Paten" aus Lautsprechern erklingt. Ja, das auch.
Aber nicht nur. Vor allem ist der Widerstand gegen das Organisierte Verbrechen
allgegenwärtig. Das lässt sich auf einer mehrtägigen Busreise über die Insel erleben.
Corleone ist eine Station der Tour "Legende und Gegenwart – auf den Spuren
der Cosa Nostra".
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Ganz
offen spricht Maurizio di Palermo vom Kulturverein über die Mafia in Corleone.
Wichtig ist dem Architekten, auf den Widerstand gegen die "ehrenwerte
Gesellschaft" hinzuweisen. Hier und in der Inselhauptstadt Palermo sei das
Zentrum der Auflehnung. Bernadino Verro heißt der Mann, der hier vor 100 Jahren
von der Mafia getötet wurde. Er war der erste sozialistische Bürgermeister im
Ort, der sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft eingesetzt
hatte. Zum Missfallen der Paten.
Maurizio
führt die Reisegruppe durch Corleone, vorbei an ockerfarbenen Häusern, an deren
schmiedeeisernen Balkonen Wäsche zum Trocknen hängt. Die Fensterläden sind
grundsätzlich geschlossen. Auch wenn es noch angenehme 20 Grad sind, kann es im
Sommer bis zu 40 Grad heiß werden. Maurizio berichtet: "Die beste Waffe
gegen die Mafia sind Informationen und Kultur."
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Nach einem Gang durch die Gassen geht es in ein Eckhäuschen
oberhalb der Ortsmitte. In einer Ausstellung erzählen Gemälde von der
Geschichte, von Tätern und Opfern der Mafia. Im Erdgeschoss werden Pasta,
Olivenöl und Käse verkauft – Produkte, die von konfiszierten Mafia-Gütern
stammen. Toto Riina, Auftraggeber zahlreicher Morde, stammt aus der Stadt. 1993
wurde er festgenommen. Im April 2006 hat man Bernardo Provenzano, auch ein
Mafia-Boss aus Corleone, verhaftet. Das Eckhäuschen, Geburtshaus des Paten
Provenzano hat vor Jahren die Polizei beschlagnahmt. Nun führen Maurizio und
seine Mitstreiter wie Annalisa Salpietra von der Organisation "Libera
Terra" ("Freies Land") durch die Ausstellung. "Mein Ziel
ist es , Corleone nicht länger als Stadt der Mafia zu zeigen, sondern der
Menschen, die ehrenhaft sind", sagt die 27-Jährige.
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Mit
dieser Haltung steht sie nicht allein. Überall auf Sizilien setzen die Menschen
Zeichen gegen das Organisierte Verbrechen und für den Rechtsstaat. Bestellt man
einen Cappuccino, gibt es stets einen Beleg – und zwar auch als Beweis dafür,
dass der Cafébetreiber seine Steuern ordentlich zahlt. In der Hauptstadt
Palermo haben sich mehr als 800 Ladenbesitzer unter dem Namen "Addio
Pizzo" (Adieu Schutzgeld) zusammengetan. Aufkleber an den Türen zu den
Bars, wie in der "Antica Focacceria", machen deutlich, dass sie kein
Schutzgeld zahlen.
Ungefährlich ist das nicht, sagt
Stadtführerin Maria Denaro. Deshalb zahlen 80 Prozent der Geschäfte eben
weiterhin pizzo, Schutzgeld. "Die meisten Sizilianer haben nichts mit der
Mafia zu tun, aber wer ein erfolgreiches Geschäft hat, spürt die Mafia",
sagt Maria. In der Antica Focacceria essen die zehn Teilnehmer der Busreise
Mittag. Häufig besteht das aus mehreren Gängen mit Weiß- und Rotwein.
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Verglichen mit Deutschland, muss jedes
italienische Restaurant dort angesichts dieser Köstlichkeiten einpacken.
Allerdings hat sich niemand an die Spezialität Siziliens herangewagt, an den
Panino con la milza, einen Vorfahr des Hamburgers: Zubereitet mit Milz, aber
auch mit der Lunge vom Kalb, wird er mit Zitrone beträufelt und mit Ricotta
bestreut. Zum Nachtisch gibt es wie immer auf dieser Reise Cannoli, mit
Ricottacreme gefüllte Teigröllchen. Die Antica
Focacceria liegt an der Via Alessandro Paternostro im Stadtteil La Kalsa.
Palermo als Anti-Mafia-Hauptstadt
Palermo ist eine morbide Schönheit mit
heruntergekommenen Häusern, und dichtem Autoverkehr, der sich durch Straßen und
Boulevards frisst. Als Fußgänger muss man den Mut haben, einfach auf die Straße
zu gehen, um sie zu überqueren. Freiwillig hält kein Autofahrer. Und dann die
Überraschung: Stehen Touristen in den Gassen, um Fotos zu machen, warten die
Autofahrer und lassen sie zu Ende fotografieren. Palermo ist auch eine Stadt
der Widersprüche.
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Dass die 655.000-Einwohner-Stadt so heruntergekommen ist, hängt
auch mit der Mafia zusammen, erklärt Stadtführerin Maria. Die 1943 durch Bomben
und 1968 durch ein Erdbeben zerstörte Altstadt drohte durch Bauspekulationen
der Mafia und korrupter Politiker vollends zerstört zu werden. Die
Altstadtbewohner verließen die Gegend, am Stadtrand entstanden Neubauviertel,
an denen die Mafia verdiente. Seit 1993, nach den Attentaten, erholt sich die
Stadt langsam. "Man versucht, Palermo als Anti-Mafia-Hauptstadt zu
etablieren", sagt Maria und führt die Gruppe durch La Kalsa. "Beide,
Giovanni Falcone und Paolo Borselino, stammen aus diesem Viertel", erzählt
sie.
Auf
der Tour durch Palermo sind die beiden getöteten Cosa-Nostra-Widerstreiter
allgegenwärtig. Mit 500 Kilogramm Sprengstoff wurde Falcones Fahrzeug auf der
Flughafenautobahn in die Luft gesprengt. Er und sein Kollege Borsellino, waren
die Initiatoren des "Maxi-Prozesses", des Gerichtsverfahrens gegen
die Mafia von 1986 und 1987 in Palermo. Von 475 Angeklagten wurden 360
verurteilt. Vor dem Haus von Borsellinos Mutter, wo der Staatsanwalt ermordet
wurde, steht ein 170 Jahre alter Baum, der als Mahnmal dient. Schulklassen
haben Zettel, Briefe und Zeichnungen angehängt.
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Der
Bus fährt vorbei am Ätna-Gebirge. Um den Vulkan herum reifen Mandarinen und
Pfirsiche, Mandeln und Feigen, Pistazien und Oliven. Die Straßen sind häufig
Buckelpisten – funktioniere die Infrastruktur nicht, sagt Reiseführerin Maria,
stecke die Mafia dahinter. Die Mafia war und ist immer dort im Spiel, wo
wirtschaftliche Interessen herrschen. Waren es im 19. Jahrhundert die Orangen-
und Zitronenplantagen und die Landwirtschaft, für die sich die Paten
interessierten, übt das Organisierte Verbrechen heute Einfluss aus im
Baugewerbe und in der Infrastruktur.
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"Sizilien ist nicht nur Mafia", sagt der 79-Jährige
Salvatore. Der Alte versucht, dem Thema die Schwere zu nehmen und philosophiert
über blühenden Ginster, und Mandelbäume. "Ich bin Mafioso", sagt er
lachend. "Meine Waffe ist die Liebe." Ach, Salvatore.
Mit
dem Kleinbus geht es durch die Mittagssonne nach Savoca. Dort wurde in einem
rustikalen Steinhaus aus dem 18. Jahrhundert "Der Pate" tatsächlich
gedreht, während Corleone nur Namensgeber war. Jeder schlendert für sich durch
das malerische Felsennest oberhalb des Meeres. An der Kirche Chiesa Madre (hier
heiratet im Film einer der Mafia-Paten) erklingt ein "Ave Maria".
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