Die Stadt Casal di
Principe ist in Italien berüchtigt, weil sie von der Camorra, der Mafia der
Region Kampanien, verwüstet wurde. Von den Behörden wurde sie mehr oder weniger
aufgegeben und mittlerweile dient sie für mehrere Industriebranchen des reichen
italienischen Nordens als illegale Deponie für giftige Abfälle.
Ein
großer Teil der Gegend ist zerstört und die Zahl der Tumorerkrankungen unter
Einheimischen hat extrem zugenommen. Die Lage ist aber weit davon entfernt,
sich zu entspannen. „In Castel Volturno [neben Casal di Principe] haben die
Behörden kürzlich die größte illegale Mülldeponie Europas entdeckt”, erzählt
mir ein Jugendlicher, der mich vom Bahnhof abholt.
Wir
brausen durch die Stadt. Die Straßen sind eng und es ist auffallend, dass es
voll und ganz an Stadtplanung fehlt. Die meisten Häuser sehen aus, als hätte
man sie mit wenig bis keinem Wissen über Bauarbeit erbaut. Viele Gebäude sehen
unfertig aus, die Ziegeln und der Beton sind durch die Risse zu sehen. Parks scheint es in Casal di Principe keine zu geben, öffentliche
Plätze auch kaum. Die einzigen zwei Plätze, die ich entdecke, sind so wenig
grün, dass sie sich irgendwie fehl am Platz anfühlen.
Ich komme um die
Mittagszeit bei der Nuova Cucina Organizzata (NCO) an. Auf Deutsch übersetzt würde
das so etwas wie Neue, organisierte Küche heißen. NCO ist ein Restaurant, das
2007 von einer Gruppe heimischer Aktivisten eröffnet wurde. In erster Linie ist
es aber ein Mittel, um gegen die Camorra zu kämpfen, und ein Hoffnungsschimmer
für die ganze umliegende Gegend.
„Hast
du die hier schon gesehen?”, fragt mich Pepe Pagano, Vizepräsident der Nuova
Cucina Organizzata und zeigt auf eine Tür, als ich eine große Villa betrete,
die damals Mario „Bott” Caterino, einem der Camorra-Bosse von Casal di Principe,
gehörte. „Das sind Einschusslöcher”, sagt er, ohne sich ein Lächeln verkneifen
zu können. Vor ein paar Jahren schoss die Camorra auf das Restaurant, um uns
mitzuteilen, dass wir hier nicht willkommen sind. Wir lassen sie so, wie sie
sind, damit sie uns jeden Tag daran erinnern, gegen wen wir kämpfen.”
Hinter
der dicken Tür befindet sich eine Villa, die aus einer furchtbaren Mischung aus
Stahlbeton und Marmor gebaut ist, die die Camorristi mit Eleganz verwechseln.
Wie die meisten Villen der Mafiosi ist auch dieses dreistöckige Gebäude in
einer kleinen Seitenstraße am Stadtrand von Casal di Principe von dicken Wänden
und weißen Säulen umgeben, die vage an die alten Tage des römischen Reichs
erinnern.
Nach einem Besuch des Anwesens werde ich zum
Mittagessen eingeladen. „Wir haben gerade renoviert und unsere Wiedereröffnung
ist offiziell am 29. Juni. Antonio De Rosa, der Manager von der Agropoli
Cooperative, einer NGO, die Teil der NCO-Familie ist, erklärt, dass „einer der
bekanntesten Pizzabäcker aus Neapel wird kommen und für alle unsere Gäste
kochen” wird. Zum Mittagessen gibt es leider keine Pizza. Stattdessen bekomme
ich aber einen unglaublich leckeren Auberginenauflauf, Parmigiana de Melanzane. Ich muss zugeben: Das ist sogar noch besser als das
Rezept meiner Großmutter, das sie immer für mich kochte, wenn ich sie besuchte.
Pagano erklärt: „Als ich NCO
gründete, glaubte ich, - und das hat sich auch heute noch nicht geändert - , dass
die einzige Möglichkeit für diese Region der Wandel ist.” Einfach sollte es
nicht werden. In Casal di Principe hat ein Mitglied der Camorra 1982
Militärpolizisten auf dem Hauptplatz Ohrfeigen verpasst, und ein weiteres hat
es 1994 gewagt, Don Peppe Diana, einen Priester der Stadt, der organisierte
Verbrechen öffentlich kritisiert hatte, umzubringen.
Das
Restaurant befindet sich im ersten Stock. An den Wänden befinden sich Regale
aus Stahlstrukturen, die aus dem Stahlbeton, mit dem die meisten nicht genehmigten
Gebäude in der Gegend gebaut wurden, freigelegt wurden. „Das ist eine wichtige
symbolische Geste”, sagt Raffaele Sermonella, der Architekt, mit ein bisschen
Stolz. „Wir wollen zeigen, wie man etwas komplett anders als die ehemaligen
Besitzer verwenden kann.”
Pagano
erklärt mir, dass zwei Gründe sie dazu bewegten, ein Restaurant zu eröffnen.
Der erste hat mit der Rolle von Essen in der Region zu tun, nicht nur was die
regionale Küche anbelangt, sondern auch die Zaghaftigkeit der Leute gegenüber
Produkten aus der Region, die sie bekämpfen wollen. Der zweite Grund waren die
auf Vertrauen basierenden Netzwerke und die Solidaritätsarbeit, die sie den
Leuten in die Gegend bringen wollten.
„Die Camorra lebt von Angst und Misstrauen. Wir bieten genau das
Gegenteil: ein solidarisches Netzwerk und Bedingungen, die zur Ermächtigung des
Einzelnen führen. Das ist etwas Grundlegendes, weil es im Kampf gegen die Mafia
nicht nur um einzelne Helden geht, sondern um ein starkes, anonymes Netzwerk.
Einen Helden kann man töten, eine veränderte Einstellung bleibt.”
Um noch effektiver
agieren zu können, will NCO vom Staat finanziell unabhängig werden. Und deshalb
haben Pagano und De Rosa in den letzten Jahren angefangen, die Produkte, die
NCO verwendet, selbst zu produzieren, darunter
Aprikosen, Pfirsiche, Auberginen und ein Asperino, der im 17. Jahrhundert vom Haus Bourbon erfunden wurde.
Große
Mengen des Obsts und Gemüses werden in einem neu gebauten Labor in einer
anderen Villa, die früher ebenfalls im Besitz der Camorra war, verarbeitet.
Pfirsiche werden zu Marmelade, Trauben zu Wein, Paprika, Auberginen und
Zwiebeln werden eingelegt. Ein Teil landet dann in der Küche des Restaurants,
der Rest wird an Einzelpersonen oder online verkauft.
Als das Dessert serviert
wird - Büffelmozzarella gefüllt mit Biskuitkuchen und
Zimt -, erzählt mir Mauro Pagano, der Kommunikationsstratege von NCO,
dass der größte kommerzielle Erfolg ein „facciamo un pacco alla camorra” ist,
ein Geschenkpaket, das ein Wortspiel basierend auf dem neapolitanischen
Ausdruck „fare un pacco” ist, der sowohl „zum Narren machen” als auch
„verpacken” bedeutet. In diesem Fall wird das Paket an die Unterstützer und
Sympathisanten in ganz Italien verkauft, die die Camorra zum Narren machen.
„Vergiss
die Einschusslöcher nie”, sagt Peppe zu mir, als ich mich zum Aufbruch bereit
mache. Er glaubt, dass ein Camorristi heute nicht mehr auf NCO schießen würde.
„Es gibt zu viele Leute, die uns unterstützen und die Medien verfolgen unser
Projekt mit großem Interesse”, sagt er. Das heißt aber nicht, dass die Camorra
verschwunden ist. Italienische Gewerkschaften für organisierte Verbrechen
machen mehr Geld denn je, aber die Niederlage der Camorra in Casal di Principe
hat eine symbolische Bedeutung: Ihre ehemaligen Häuser werden als Hauptquartier
für Organisationen, die ihre Macht - unter anderem mit Essen - anfechten.
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