Von Paul Krainer
Mafia und Politik haben sich auf Kosten der italienischen Hauptstadt
jahrelang bereichert. Wird Roms Stadtregierung demnächst zwangsweise aufgelöst?
Starke tausend Seiten soll der Bericht umfassen.
Zwischen zwei Verhaftungswellen – die erste im Dezember 2014, die zweite nun
exakt sechs Monate später – haben ihn drei Spezialisten des Innenministeriums
erstellt. Nun ist das Werk fertig, bis Oktober muss die Regierung entscheiden.
Leitfrage: Ist Rom tatsächlich derart von der Mafia durchseucht, sind dort
fortgesetzt so viele amtliche Gesetzesbrüche begangen worden, dass
Bürgermeister, Gemeinderat und Verwaltung entlassen werden müssen und Italiens
Hauptstadt einen Regierungskommissar als Zwangsverwalter braucht?
„Es geht nicht mehr anders“, sagten in den
vergangenen Wochen die einen Verfassungsjuristen; die anderen entgegneten: „Ihr
könnt doch nicht ein Antimafia-Gesetz, das für sizilianische und kalabrische
Bergdörfer entworfen worden ist, auf eine 2,8-Millionen-Stadt anwenden, noch
dazu auf eine, die sich um Olympia 2024 bewirbt und die fürs Heilige Jahr von
Dezember an Millionen von Besuchern erwartet. Wie sieht das denn aus?”
Doch die Lage ist desaströs. Auf die gut
40 Verhaftungen vor einem halben Jahr folgten jetzt 44 weitere. Alles
Kommunalpolitiker sowie politisch verstrickte Unternehmer. Und hatten die
Antimafia-Fahnder im Dezember zunächst das vordem undurchdringliche, rechte
oder rechtsextreme Unterholz des früheren Bürgermeisters Gianni Alemanno
(2008-13) gelichtet, so trafen sie nun die derzeit regierenden
Sozialdemokraten.
Mirko Coratti zum Beispiel, der gewesene
Präsident des Gemeinderats, sitzt in Untersuchungshaft, genauso wie der
Assessor für Wohnungsbau, Daniele Ozzimo, und – noch schlimmer für die Partei
von Ministerpräsident Matteo Renzi: Aufgedeckt ist ein recht halbseidenes
Geflecht von persönlichen Interessen, von Bestechung, Selbstbedienung,
Wahlbetrug und von Hörigkeit gegenüber den beiden Bossen, die bis zu ihrer
Verhaftung vor sechs Monaten die Ewige Stadt regierten. „Wir sollten
vielleicht“, gibt ein altgedienter städtischer Sozialdemokrat sogar schon zu
bedenken, „bei den Bürgern um Entschuldigung bitten.“
Funktionsträger standen auf der Gehaltsliste der Mafia
Herausgekommen ist, dass öffentliche
Funktionsträger, Amtsleiter, Politiker, Gemeinderäte wie Coratti regelrecht auf
der Gehaltsliste der Mafia standen. Bezahlt wurden zwischen 1000 und 20.000
Euro (!) monatlich. “Man muss die Kuh füttern, bevor man sie melken kann”,
sagte Salvatore Buzzi am Telefon. Buzzi hat beides ausführlich getan über Jahre
hinweg. Er war der “Linke” in der Hauptstadt-Mafia; der zweite war der im
rechtsextremen, rechtsterroristischen Milieu Roms groß gewordene Massimo
Carminati. “Rot“ und „Schwarz“ nach italienischer Farbenlehre ergänzten
sich in der “Mafia Capitale” so perfekt, dass sie über alle politischen
Wechselfälle hinweg ihre Geschäfte machen konnten, „mit den klassischen Mafia-Mitteln
Einschüchterung, Gewalt und Korruption“, wie die Ermittler sagen.
„Es geht nicht mehr anders“, sagten in den
vergangenen Wochen die einen Verfassungsjuristen; die anderen entgegneten: „Ihr
könnt doch nicht ein Antimafia-Gesetz, das für sizilianische und kalabrische
Bergdörfer entworfen worden ist, auf eine 2,8-Millionen-Stadt anwenden, noch
dazu auf eine, die sich um Olympia 2024 bewirbt und die fürs Heilige Jahr von
Dezember an Millionen von Besuchern erwartet. Wie sieht das denn aus?”
Doch die Lage ist desaströs. Auf die gut
40 Verhaftungen vor einem halben Jahr folgten jetzt 44 weitere. Alles
Kommunalpolitiker sowie politisch verstrickte Unternehmer. Und hatten die
Antimafia-Fahnder im Dezember zunächst das vordem undurchdringliche, rechte
oder rechtsextreme Unterholz des früheren Bürgermeisters Gianni Alemanno
(2008-13) gelichtet, so trafen sie nun die derzeit regierenden
Sozialdemokraten.
„Geholfen
hat ihnen, dass es in der römischen Gesellschaft keine Antikörper gegen die
Mafia gibt“, ergänzt der Journalist Lirio Abbate. Er hat schon ein Jahr vor den
ersten Verhaftungen die wahren “Könige Roms” beschrieben, und – wie er sagt –
im Prinzip nur eines erreicht: „Als die Leute aus meinem Dossier erfahren
haben, was dieser einäugige Carminati so alles hinkriegt, da haben sie keine
Distanz genommen, im Gegenteil. Da sind noch viel mehr Römer zu ihm gepilgert,
um ihre Probleme mit Bürokratie, Verwaltung, Geschäft lösen zu lassen.“
War
Carminati (57) der politische Troubleshooter und – den Ermittlern zufolge –
derjenige, dessen Name allein genügte, um Römer in Ehrfurcht oder Angst
erstarren zu lassen, so leitete Buzzi (59) das Wirtschaftsimperium der „Mafia
Capitale”. 1980 wegen Mordes verurteilt, dann zum Modell-Häftling avanciert, der
auch politische Initiativen für einen alternativen Strafvollzug und für
Resozialisierung lancierte, hatte sich Buzzi schon aus dem Knast in der linken
Hälfte der italienischen Politik dermaßen gut vernetzt, dass ihm nach seiner –
natürlich vorzeitigen – Entlassung alle Türen offen standen.
Buzzi
gründete, häufig mit ehemaligen Strafgefangenen, zahlreiche Kooperativen, die
der Stadt Rom beim Bewältigen aller möglichen Notlagen halfen: vom Schneeräumen
über die Müllentsorgung bis zur Unterbringung von Asylbewerbern. Ein Imperium von
1200 Angestellten und 60 Millionen Euro Jahresumsatz kam da schließlich
zustande – allerdings an der Legalität vorbei und gegen Provision.
Aufträge gingen ohne Ausschreibung oder
Kostenprüfung raus
Durch sein Bündnis mit Carminati und durch
konsequente, ebenso monetäre wie mafiöse „Beziehungspflege” erhielt Buzzi einen
öffentlichen Auftrag nach dem anderen, alles ohne Ausschreibung und Kostenprüfung.
Großaufträge wurden in so kleine Pakete
zerteilt, dass die Machenschaften nicht aufflogen, und wenn es dazu – oder für
die angeblich „rein Notlagen bedingte“ Sonderfinanzierung von Arbeiten – eines
speziellen Gemeinderatsbeschlusses bedurfte, über das offizielle Stadtbudget
hinaus, dann wusste Buzzi, dass er nur mal kurz ein paar Leute anrufen musste.
Journalist Abbate hat nachgerechnet: „Alle diese Aufträge hätten den
Steuerzahler im Normalfall 40-50 Millionen Euro gekostet; Buzzi hat 150 Millionen
Euro erhalten.“
Doch jetzt scheint es selbst Marino an den Kragen
zu gehen. Regierungschef
Renzi, bei den Regionalwahlen allzu düpiert, will wieder
einmal „Zeichen der Erneuerung“ setzen, wo immer das auf Applaus stößt.
Wenigstens das Heilige Jahr als römischen Groß-Event will er offenbar der
Verwaltung Marinos entziehen und in die „sauberen“ Hände von Franco Gabrielli
legen. Der 55jährige hat einschlägige Erfahrung: zuvor Leiter des
Inlandsgeheimdienstes, wurde Gabrielli Chef beim nationalen Katastrophenschutz,
als nach dem Erdbeben von L’Aquila 2009 just diese für Aufarbeitung und
Wiederaufbau entscheidende Behörde in einem Korruptionsskandal unterzugehen
drohte. Auch für die Bergung der „Costa Concordia“ war Gabrielli als oberster
Staatsfunktionär zuständig. Passt doch alles wunderbar für die Ewige Stadt
dieser Tage...
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen