Roms Straßen ersticken im Dreck und Abfall -
eine der Folgen eines riesigen Skandals, der schon diverse Lokalpolitiker in
den Knast gebracht hat. Nun wird das römische Desaster sogar für Premier Renzi
gefährlich.
Mitten in Rom. Berge von Müll.
Eine Gruppe amerikanischer Touristen. «Wie das hier aussieht!», sagt einer.
«Wie in Afrika», sagt die Frau neben ihm. Dann gehen sie weiter.
Zigarettenschachteln, Limo-Flaschen und Cola-Dosen am Straßenrand werden sie
auch weiter begleiten, denn in Rom wird viel weggeworfen und wenig
weggeräumt.
660
Kilo Müll produziert ein durchschnittlicher Römer pro Jahr, zu viel für die
städtische Müllabfuhr. Die Container quellen über, rechts und links liegen
aufgeplatzte Säcke. Die tagelang nicht geleerten Biomülltonnen sind ein
Eldorado für Möwen: Sie verstreuen die Fisch- und Obstreste auf dem
Bürgersteig.
Mehr als zehn Millionen Besucher kommen pro
Jahr in die vielleicht schönste Stadt der Welt. Sie sind begeistert von den
Kultur- und Kunstschätzen, aber entsetzt über den maroden Zustand der
italienischen Metropole: Straßen und Bürgersteige voller Löcher, brüchiger
Beton in Unterführungen ohne Licht, Abfall an fast jeder Ecke.
Wo
die Römer wohnen, ist es noch viel schlimmer als im Centro Storico, wo die
Touristen flanieren. «Ich fahre nicht mehr mit der Vespa», sagt Loredana. Sie
ist hier geboren, ihr Leben lang mit dem Motorino gefahren, wie die meisten
Römer. «Es geht nicht mehr», sagt sie, «ich bin dreimal gestürzt, weil man die
tiefen Schlaglöcher im Dunklen nicht sieht».
Die gefährlichen Löcher sind Ergebnis der
Profitgier: Die Kiesschicht und die Asphaltdecke auf den Straßen sind
allenfalls halb so hoch, wie sie sein müssten, dadurch erhöhen sich die Gewinne
der Unternehmer. Die Fahrbahnen sind natürlich gleich wieder kaputt. Eine der
Folgen: Rom ist die Stadt mit den meisten Verkehrstoten in Italien.
Loredanas
Ehemann, Roberto, fährt nicht mehr Bus. «Zu Fuß bin ich schneller», sagt er.
Die Busse bleiben ständig im Verkehrsgewühl hängen. Aus Verzweiflung suchen
Busfahrer mitunter aufs Geratewohl Ausweichstrecken. Die Menschen an den
regulären Haltestellen warten dann vergeblich.
Die demoskopische Talfahrt von Renzi und
seinen Sozialdemokraten hat viel mit dem Zustand in der ewigen Stadt zu tun.
Und der wiederum ist das Ergebnis eines rigiden Netzwerks aus Politik und Mafia. Nicht der bekannten süditalienischen
Gangster-Syndikate, sondern der hausgemachten römischen «Mafia Capitale».
Dass
es die überhaupt gibt, wollten die meisten Römer lange nicht glauben. Bis im
vorigen Dezember über 40 Lokalpolitiker und Unternehmer verhaftet wurden und
ein Geflecht sichtbar wurde, in dem Stadträte und Behördenchefs mit
Zigtausenden Euro geschmiert
wurden. Ob bei der Müllabfuhr, dem öffentlichen Nahverkehr oder der Unterbringung von Immigranten: überall mischte die
römische Mafia mit. Deshalb wurde für schlechte Arbeit besonders viel Geld
bezahlt.
Damals im Dezember
schob man noch alles der rechtsextremen Seilschaft des früheren Bürgermeisters
Gianni Alemanno zu. Da die zu dem Zeitpunkt jedoch bereits abgewählt war,
wähnten die Römer sich am Ende des Skandals. Doch weit gefehlt.
Jetzt verhaftete die
Polizei weitere 44 ehrenwerte Bürger, darunter bekannte Namen der inzwischen in
Rom regierenden Sozialdemokraten. Offenbar haben auch Amtsleiter und Stadträte
der PD mit den Mafia-Bossen Massimo Carminati und Salvatore Buzzi kooperiert,
die jahrelang Italiens Hauptstadt mitregierten
.
Damit ist PD-Chef
Renzi direkt involviert. Bei seinem Aufstieg hatte er versprochen, die alte,
korrupte Politikergarde zu «verschrotten». Nun verfolgt Italien sehr genau, was
er mit seinen eigenen Leuten macht.
Lieber heute als
morgen würde Renzi den römischen Bürgermeister, seinen Parteifreund Ignazio
Marino, in die Wüste schicken. Aber so einfach ist das nicht. Denn Marino will
nicht gehen. «Das Volk liebt mich», ist er überzeugt, «nur die Parteibosse
hassen mich».
Zwar gibt es keinen
Hinweis, dass der Bürgermeister Teil des Mafia-Systems gewesen ist. Aber er hat
offenbar auch nicht viel dagegen unternommen. Vielleicht hat er nicht einmal
davon gewusst. Auch das spräche freilich nicht unbedingt für ihn.
Marino ist gelernter Chirurg, hat als
Spezialist für Lebertransplantationen viele Jahre in den USA gearbeitet. Zurück in Italien kam er
2006 als Parteiloser auf der Liste der Sozialdemokraten in den italienischen
Senat, zuständig natürlich für Gesundheitsfragen.
Erst
seit er im Juni 2013 zum Bürgermeister Roms gewählt wurde, musste er sich in
die Niederungen großstädtischer Probleme wagen. Auffallend erfolgreich war er
da nicht. Er habe bislang, verteidigt er sich, die Straßen nur von
dubiosen Firmen reparieren lassen können. Erst jetzt sei das anders.
Trotzdem
will ihm Renzi die Zuständigkeit für das nächste bevorstehende Großereignis
nehmen: das Heilige Jahr. Es wird laut Papst Franziskus im
Dezember 2015 beginnen und bis November 2016 dauern. Es verspricht Millionen
anreisenden Pilgern den Sündenerlass – und den Römern eine bessere
Infrastruktur. Etwa 1.5 Milliarden Euro sollen verbaut werden.
Geld und Arbeit soll Ex-Geheimdienstchef
Franco Gabrielli lenken. Er hat sich mit dem weitgehend korruptionsarmen
Wiederaufbau der vom Erdbeben zerstörten Stadt L'Aquila einen Namen gemacht und
mit der Bergung der gesunkenen «Costa Concordia».
Roms
Bürgermeister mitsamt Gemeinderat und Verwaltungsspitze droht die Entlassung.
Entscheidend dafür ist ein Bericht aus dem
Innenministerium. Aber womöglich wird Renzi den gar nicht mehr abwarten
wollen.
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