Die Bundesanwaltschaft ließ zu, dass die italienische
Anti-Mafia-Polizei in Brig Kameras und Mikrophone installierte. Wie sich jetzt erst herausstellte, waren die beauftragten Spezialisten Mafiosi allererster Güte.
Hier tagten monatelang Mitglieder der Mafia |
Wir haben den 17. August 2006. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, um 0.30 Uhr, stiegen ein paar Männer heimlich ins Gebäude der Bocciahalle am Südrand von Brig ein. Als sie kurz vor Tagesanbruch – eine Kirchenuhr hatte eben 5 Uhr geschlagen – herausgeschlichen kamen und sich aus dem Staub machten, stand die Überwachungsanlage.
Die Techniker hatten zwei Kameras und zwei Mikrophone
installiert und sehr gut getarnt. Kabel und technische Geräte waren clever in
die Decke eingebaut, eines der Mikrophone in der Wand direkt neben jenem Tisch,
den Fortunato Maesano, der «Mafiaboss aus Brig», und seine Freunde bevorzugten.
Alles war perfekt gelaufen: «Es gab keine Panne, und es wurde nichts
beschädigt», notierte Kommissar «37649» in seinem Tagesrapport.
Noch am selben Tag, Punkt 22.00 Uhr, schalteten die
Techniker die Anlage erstmals ein. Ab sofort konnten Fahnder der «Operation
Feigenbaum» auf ihren Bildschirmen verfolgen, mit wem Fortunato Maesano und
seine Kollegen Francesco Romeo, Antonio Mafrici und Bruno Pizzi in der
Bocciahalle zusammensaßen. Und sie konnten vor allem auch mithören, worüber sie
sprachen.
Aufzeichnungen mussten gelöscht werden
Bereits am zweiten Tag fiel der Ton aus, dann wiederum
das Bild und schließlich sogar Ton und Bild. Die Techniker versprachen, die
Panne zu beheben. Doch dafür mussten sie nochmals in das Gebäude der
Bocciahalle einsteigen – nachts und heimlich. Es dauerte beinahe eine Woche,
bis sich eine passende Gelegenheit bot. Solange war die Leitung tot. Erst ab
dem 25. August klappte die Datenübertragung wiederum.
Kaum war die technische Panne behoben, gab es ein
neues Problem. Die Videoüberwachung war an klare Auflagen geknüpft: «Die Video-
und Tonüberwachung muss auf die Stelle beschränkt sein, wo die Verdächtigen
jeweils zusammensitzen.» Diese Auflage war kaum einzuhalten. Grund: Die beiden
Überwachungskameras zeigten ziemlich große Ausschnitte; nie filmten sie allein
die Verdächtigen, sondern immer auch Personen, die nicht hätten observiert
werden dürfen. Das war ärgerlich. Jetzt mussten alle Aufzeichnungen gelöscht
und geschreddert werden. Und die Techniker mussten eine neue Anlage einbauen.
Nichts als Pleiten, Pech und Pannen
1. September 2006. Noch eine Panne. Wieder machten die
Mikrophone schlapp. Diesmal dauerte es geschlagene zwei Wochen, bis der Schaden
wieder behoben war.
Zeitweise geriet die Überwachung der Bocciahalle gar
zur Lachnummer. Patrick Lamon, der Staatsanwalt des Bundes, der die «Operation
Feigenbaum» leitete, und seine Fahnder hatten in ihrem Übereifer auch hohe
Magistraten und bekannte Briger Beamte heimlich gefilmt und ihre Gespräche
aufgezeichnet. In der Tat, in der Bocciahalle verkehrten damals nicht nur Mafiosi,
sondern auch Briger Richter, ebenso Stadtschreiber Eduard Brogli. Wenn sie nach
Feierabend ein Bier trinken oder ungestört reden wollten, gingen sie nicht in
eines der bekannten Briger Bistros, sondern wählten den diskreten Privatclub
Bocciahalle. Es steht zu vermuten, dass die Mafiosi den Spieß umgekehrt hatten und die Richter
abhörten und filmten.
Am 25. Oktober wurden die Überwachungskameras und
Mikrophone definitiv abgeschaltet, «aus technischen Gründen», wie es im
Einstellungsbeschluss hieß. Was hatte die dreimonatige Überwachung gebracht?
Nichts als Pleiten, Pech und Pannen. Die einzige gesicherte
Ermittlungserkenntnis war: «Wir konnten immerhin feststellen, dass die
Bocciahalle die offiziellen Öffnungszeiten nicht einhält.» Lächerlicher kann
man sich als Kripo der Sondereinsatztruppe nicht machen.
vermeintliche Italienische Anti-Mafia-Polizei hinter der Tarnfirma
Erschreckend der Dilettantismus, mit dem «Sheriff»
Patrick Lamon und seine Fahnder – alle Angehörige der Bundeskriminalpolizei –
ans Werk gingen. Doch das war nicht alles. Hinter der stümperhaften
Video-Überwachung in Brig entwickelt sich nun ein handfester Skandal.
Die Techniker, die die Überwachungsanlage einbauten,
gehörten weder zur Bundespolizei noch zu einer anderen Schweizer Polizei. Sie
kamen aus Italien und waren Mitarbeiter der «Network Security Activity» (NSA),
eine völlig unbekannte Sicherheitsfirma aus Cigognola, ein kleines Nest ein
paar Kilometer südlich von Pavia. Allesamt Mafiosi, die ihr Handwerk
verstanden. Die NSA-Techniker lieferten auch die Kameras und Mikrophone, für
die sie pro Tag 480 Euro verrechneten. Und sie waren es, die für die
Übermittlung der Aufnahmen beauftragt waren. Dazu benutzten sie zwei
Mobiltelefone, beide mit italienischem Anschluss. Kostenpunkt für einen Monat:
2‘100 Euro.
Doch eigentlich gab es die NSA nicht. In Tat und
Wahrheit handelte es sich um eine Tarnfirma. Unsere Recherchen haben ergeben:
Hinter der NSA verbirgt sich niemand anders als die italienische Mafia-Polizei.
Heiße Fragen an die Bundesanwaltschaft
Wieso setzte Staatsanwalt Patrick Lamon nicht eigene
Techniker ein? Immerhin verfügten Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalpolizei
über bestens ausgebildete Abhörspezialisten. War es rechtens, Ausländer mit
diesem Job zu betrauen? Wurden die Aufnahmen aus der Bocciahalle in Brig ausschließlich
an das Team von «Staatsanwalt» Patrick Lamon übermittelt oder eventuell auch an
italienische Polizei- und/oder Ermittlungsbehörden? Fragen über Fragen.
Zu diesen Fragen hörte man von der Bundesanwaltschaft
folgende Stellungnahme:
«Das Verfahren wurde gemäß der damals geltenden
Strafprozessordnung geführt. Die angeordneten Überwachungsmaßnahmen waren von
der zuständigen Behörde bewilligt. Die vorgenommenen Ermittlungshandlungen
brachten keine verwertbaren Resultate zu Tage, um das Verfahren weiterzuführen.
Es wurde im August 2007 eingestellt.»
Keine Rede von einer Rechtshilfe an Italien
Es trifft in der Tat zu, dass die Überwachung der
Bocciahalle bewilligt wurde. Doch die zuständige Bewilligungsbehörde wusste
nicht, dass an der Überwachung italienische Ermittler beteiligt waren. Im
Gesuch war auch weder von einer Rechtshilfe an Italien die Rede noch davon,
dass die italienische Anti-Mafia-Polizei DIA an der Operation direkt beteiligt
war.
Im Gesuch hieß es lediglich: «Beim jetzigen Stand der
Ermittlungen können wir immerhin sagen, die Bocciahalle ist ein wichtiger Ort
(‚lieu clé‘ - eine Schlüsselstelle, A.d.R.), wo unsere diversen Verdächtigen
täglich verkehren.» Und: «Fügen wir noch an: Aus technischen Gründen werden die
nötigen Überwachungsgeräte von einer Privatfirma zur Verfügung gestellt und
auch installiert.» Kein Wort über die Zusammenarbeit mit italienischen Ermittlungs-
oder Fahndungsbehörden. Da waren mit «Sheriff» Patrick Lamon wieder mal die
Pferde durchgegangen. Er hatte geschummelt: Mit Lügen durch Weglassen eine
Bewilligung für eine Videoüberwachung erschlichen.
Ja, ja, wer die Mafia aufs Kreuz legen will, muss sehr
früh aufstehen.