Innenministerin Maria Cancerlieri |
Die Welt: Frau Cancellieri, die Regierung Monti hat wichtige Wirtschaftsreformen durchgesetzt, aber Sie haben den Schwerpunkt Ihrer Arbeit auf die Bekämpfung der Mafia gelegt. Warum?
Cancellieri: Die Mafia prägt die öffentliche Verwaltung und die Wirtschaft Italiens gewaltig. Sie behindert unsere Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Ländern, in denen es ruhiger zugeht. Mario Monti weiß das und hat mich daher in meiner Arbeit voll unterstützt.
Die Welt: Ihre Vorgänger haben sich auf militärische Aktionen wie Festnahmen untergetauchter Mafiabosse konzentriert. Was haben Sie darüber hinaus getan?
Cancellieri: Es gehört zur gängigen Arbeit der Sicherheitskräfte, regelmäßig Ermittlungen und Verhaftungen durchzuführen. Es war nun aber an der Zeit, einen starken politischen Leitfaden zu schaffen.
Die Welt:: Was heißt das konkret?
Cancellieri: Wir haben unsere Aktion auf mehreren Ebenen angelegt: Dazu gehörte auch, erst einmal die Präfekten mithilfe von Seminaren zu schulen, um sie für die Einflussnahme der Mafia in der öffentlichen Verwaltung zu sensibilisieren, und zwar im ganzen Land. Leider ist ja immer noch die Meinung verbreitet, dass das Phänomen Mafia auf den Süden beschränkt sei.
Die Welt:: Hatten Sie mit diesen Maßnahmen Erfolg?
Cancellieri: Oh ja! Wir haben insgesamt 31 Gemeinderegierungen wegen Mafiainfiltrationen aufgelöst. Die größte ist Reggio Calabria, Hauptstadt der süditalienischen Region Kalabrien. So etwas hat es noch nie gegeben. Aber während man das im Süden erwartet, war es beängstigend zu sehen, wie viele Gemeindeverwaltungen auch im Norden, in Ligurien und im Piemont, betroffen waren. In der Lombardei laufen Untersuchungsverfahren.
Die Welt: Heißt das, die Mafia mischt im ganzen Land mit?
Cancellieri: Es ist wichtig, dass wir reagieren, um zu zeigen, dass wir nicht in der Hand der kriminellen Organisationen sind, sondern entschieden entgegentreten.
Die Welt: Warum ist die öffentliche Verwaltung eigentlich so anfällig für Korruption?
Cancellieri: Gemeinderegierungen müssen heute wie Wirtschaftsbetriebe arbeiten, das ist ein Problem. Das Personal muss besser aufgeklärt, vielleicht auch einfach besser bezahlt werden.
Die Welt:: Haben Sie neue Gesetze verabschiedet?
Cancellieri: Wir haben das Antimafiagesetz weiterentwickelt und die Kriterien für die Antimafiazertifikation verschärft, die man in Italien seit einigen Jahren braucht, um auf der Positivliste für verschiedene politische, professionelle und wirtschaftliche Tätigkeiten und Posten zu kommen. Ein Legalitätsrating erleichtert jetzt den Zugang zu Krediten und Subventionen. Die erste nationale Datenbank für diese Antimafiadokumentation steht.
Die Welt: Sie haben sich darauf spezialisiert, riesige Vermögen der Mafia zu beschlagnahmen. Warum?
Cancellieri: Dies ist das zentrale Instrument im Kampf gegen die Mafia. Man muss der Mafia an den Geldbeutel gehen, ihr den Boden unter den Füßen wegziehen. Einem Mafiaverbrecher ist es egal, ob er hinter Gittern sitzt, denn die Arbeit machen draußen andere für ihn weiter. Wenn man ihm sein Vermögen wegnimmt, ist alles aus.
Die Welt: Es gibt eine Behörde für die Konfiszierung von Mafiavermögen. Ihre erste Amtshandlung im November 2011 war es, eine lokale Filiale dieser Behörde in Siziliens Hauptstadt Palermo zu eröffnen. Wie arbeiten diese Ämter?
Cancellieri: Sie verwalten die beschlagnahmten Güter und bestimmen, wie Unternehmen, Immobilien und große Summen Bargeld verwendet und investiert werden können.
Die Welt: Geht das immer reibungslos?
Cancellieri: Das größte Problem stellten bisher die beschlagnahmten Betriebe dar. Viele gehen innerhalb kurzer Zeit ein. Es handelt sich ja fast immer um Firmen, die nur Dank eines Klientelsystems und aufgeblähter Preise existiert haben. Wenn sie dann von Treuhändern verwaltet werden und auf dem normalen Markt konkurrieren müssen, geht das nicht lange gut. Bei der Bevölkerung kommt das so an: Die Mafia schafft Arbeitsplätze, und der Staat macht sie wieder kaputt.
Die Welt: Es heißt auch, dass die Treuhänder oft Leute seien, die sich nur mit dem Kapital aus dem Staub machen. Ist das so?
Cancellieri: In der Vergangenheit wurden die konfiszierten Güter leider häufig von Leuten verwaltet, die mit der Mafia gemeinsame Sache machten. Im Ministerium haben wir jetzt einen Posten für einen Manager eingerichtet, der mit Fachkompetenz Personal für die beschlagnahmten Firmen auswählt. Wir haben uns mit Universitäten, Unternehmerverbänden und Handelskammern vernetzt. Diese Manager müssen ja in der Lage sein, einen echten Industrieplan für die konfiszierten Unternehmen zu entwickeln. Außerdem wird der Staat Betriebe von jetzt an finanziell unterstützen, bis sie sich auf dem Markt behaupten können.
Die Welt: Erst vor zehn Tagen sind in Sizilien Güter im Wert von 1,3 Milliarden Euro beschlagnahmt worden. Kann man damit nicht wirtschaftlichen Aufschwung erzeugen?
Cancellieri: Wir arbeiten beispielsweise mit dem Minister für Tourismus zusammen. Im Tourismussektor können im Süden und auf Sizilien viele Betriebe und Immobilien bestens wiederverwendet werden, etwa um Hotels zu gründen oder andere touristische Strukturen.
Die Welt: Wie viele Jahre wird es dauern, bis man konkrete Ergebnisse sehen wird?
Cancellieri: Das muss nicht lange dauern, die Gesetzgebung ist jetzt wirklich ausreichend. Aber die Mentalität der Menschen muss sich ändern.
Die Welt: Apropos: Sie sprechen immer von der Kultur als Mittel im Kampf gegen die Mafia …
Cancellieri: Die Kultur ist der Ausweg. Italien ist ein wunderschönes Land, es hat eine reiche Geschichte und unglaubliche Potenziale für die Zukunft. Die Kultur vermittelt dem Einzelnen das Bewusstsein, Staatsbürger zu sein. Einer, der Rechte, aber auch Pflichten hat. Denn der Staatsbürger ist kein Untertan, der den Staat betrügt, sobald er kann. Er muss den Staat respektieren, muss Steuern bezahlen und möglichst auch noch froh darüber sein. Kultur erzieht dazu, Werte und Mitmenschen zu respektieren, sie lehrt, das Schöne vom Hässlichen zu unterscheiden.
Die Welt: Ist das die Aufgabe eines Innenministers?
Cancellieri: Ich habe beispielsweise das Theater der Gemeinde Racalmuto wiedereröffnet. Das liegt im Süden Siziliens und ist die Heimat des großen Schriftstellers Leonardo Sciascia. Auch in Racalmuto wurde der Gemeinderat wegen Mafiainfiltration aufgelöst. Theater ist Kultur, vermittelt Kultur, ist ein Sprachrohr für positive Werte. Wir haben gerade das Projekt "Renaissance gegen die Mafia" vorgestellt. Eine Zeichnung von Michelangelo wird in einem Ort an der Peripherie von Neapel ausgestellt. Für die Menschen dort ist das ungewohnt, neu.
Die Welt: Wie war das Regieren für Sie, die Sie eigentlich keine Politikerin sind?
Cancellieri: Ich war Präfektin in vielen Städten, vom Norden bis in den Süden. Das hat mir geholfen, die unterschiedlichen Problematiken der verschiedenen Teile Italiens zu kennen und zu wissen, dass es kein einheitliches Rezept gibt, um dieses Land zu regieren. Der Süden hat das dramatische Problem der fehlenden Arbeitsplätze, davon hängt dort auch alles andere ab. Der Norden müsste noch effizienter verwaltet sein.
Die Welt: Würden Sie gerne Italiens erste Staatspräsidentin werden?
Cancellieri: Dazu möchte ich mich nicht äußern.
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