Illegale Bauten verschandeln auf Sizilien
historische Ruinen oder Küstenstreifen. Abreißen, fordern nun viele Italiener.
Doch wer das tut, lebt gefährlich. Und so könnten die Gebäude am Ende genehmigt
werden.
Mindestens 770.000 Gebäude - manche schätzen: bis zu zwei
Millionen - sollen seit Mitte der Siebzigerjahre ohne Genehmigung errichtet
oder ausgebaut worden sein auf der schönen Insel. Von der Mafia, von
Lokalpolitikern, von kleinen Häuslebauern und vor allem von Spekulanten.
Zigtausende dieser Schwarzbauten bleiben jahrelang als
Betongerüste, ohne Wände und ohne Zufahrt, in der Landschaft stehen.
Irgendwann, so das Kalkül, bringt der hässliche Beton dann viel hübsches Geld.
Seit 2009 sind weitere 22.000
illegale Häuser dazu gekommen. Sie wurden an die schönsten Küstenstreifen
gesetzt, an der Meerenge von Messina etwa oder rund um Marsala. Sogar in der
Nähe der antiken griechischen Säulen im berühmten Valle dei Templi (Agrigento),
dem von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärten Tal der Tempel, stehen viele
hässliche Neubauten. Hier allerdings greift man jetzt durch, trotz
ernstzunehmender Warnungen der Mafia.
Inzwischen stören sich viele Italiener daran, fordern den Abriss
der illegalen Architektur. Umweltorganisationen machen Druck, die Medien nehmen
sich des Skandalthemas an. Die Politik verspricht, jetzt wirklich hart
durchzugreifen. Denn bislang wurde eher symbolisch ab und zu ein Exempel
statuiert. So wurden im vorigen Jahr gerade einmal zwei Dutzend illegal
gebauter Häuser abgerissen. Meist waren es nur kleine, billige.
Trickreicher Antrag in Palermo
Aber kann man wirklich Hunderttausende Gebäude zerstören, auch
wenn es rechtens ist? Wo bleiben die Bewohner? Manche haben das umstrittene
Objekt schon geerbt. Eine Gruppe sizilianischer Politiker hat nun ihre ganz
eigene Lösung für das leidige Problem gefunden. Mit einem trickreichen Antrag,
der im Regionalparlament von Palermo demnächst zur Abstimmung steht, wollen sie
illegale Häuser nachträglich genehmigen. Die Bauten müssen mindestens 150 Meter
vom Strand entfernt stehen.
Initiatoren sind Parteifreunde des italienischen Innenministers
Angelino Alfano. Der hatte vor geraumer Weile noch vollmundig das Ende der
Toleranz gegenüber den illegalen Häuslebauern verkündet. Er kennt das Problem
aus der Nähe: Er ist in Agrigent0, also nahe des hochgradig verschandelten Tals
der Tempel geboren.
Die geplante Legalisierung sei klar verfassungswidrig, halten
Juristen dagegen. Italiens Umweltminister Gian Luca Galletti kündigte an, falls
ein solches Gesetz in Palermo eine Mehrheit finde, werde er das
Verfassungsgericht anrufen.
Kungeln, kassieren, verschleppen. Oft fand sich auch einfach
keine Baufirma für den Abriss - zu gefährlich, hieß es.
Dass die Sorge nicht unbegründet ist, zeigt ein Beispiel aus
Licata, einer Schwarzbau-Hochburg an Siziliens Südküste. Dort zündeten Unbekannte das
Haus des Bürgermeisters an, der sich für den Abriss einiger Häuser eingesetzt
hatte. Anderenorts werden ganze Gemeinderäte und deren Familien bedroht. Die
Mafia ist mit im Spiel.
Nach Recht und Gesetz hätten die Behörden die meisten Bauten schon
vor Jahren abreißen lassen müssen. Aber die Bauherren kennen ihr Land, ihre
Justiz- und Verwaltungsbehörden und ihre Politiker gut. Die haben nämlich dazu
beigetragen, dass genehmigungsfreies Bauen durchaus Sinn machen kann.
Dreimal - 1985, 1994 und 2003 - haben die freundlichen Politiker
in Rom mit einem gesetzlichen Gnadenakt die Wildwest-Bauten nachträglich
legalisiert. Gegen einen kleinen Obolus an die jeweilige Kommune wurden
Bauernkaten zu Mehrfamilienhäusern und Geräteschuppen zu Luxusvillen, und alle
waren zufrieden. Die Gemeinden bekamen etwas Geld in die leeren Kassen.
Politiker machten sich beliebt. Das Volk löste seine Bauprobleme selbst.
Etwa zwei Millionen Anträge auf die politische Absolution wurden
seinerzeit eingereicht, viele wurden akzeptiert, andere nicht. Etwa 40 Prozent
der Verfahren sind bis heute nicht abgeschlossen. Für die Betroffenen muss das
kein Nachteil sein.
Gute Freunde helfen und Akten gehen verloren
Denn so lange kein negativer Bescheid ergeht, droht auch kein
Abriss. Das hilft jenen, die im Naturschutzgebiet oder Weltkulturerbe-Tal
gebaut haben, die in jedem Fall ihre Häuser räumen müssten. Aber bleiben dürfen
sie, solange der Räumungsbeschluss nicht rechtskräftig wird.
Also werden Verfahren verschleppt, mithilfe „guter Freunde“ in der
Verwaltung oder der Politik. Die Justiz ist ohnehin so langsam, dass oft
Jahrzehnte bis zur Entscheidung vergehen. Derweil können Akten verloren gehen,
Staatsanwälte und Richter andere Prioritäten setzen und auch die Objekte des
langen Streits können sich verändern. Mitunter hat das erstaunliche Folgen.
So attestierte im vorigen Oktober ein Berufungsgericht
Hauseigentümern auf einem Hang oberhalb von Palermo: Sie hätten nicht gewusst,
dass sie illegale Bauten kauften - hätten vielmehr "in gutem Glauben"
ihre Immobilie erworben. Deshalb dürfen sie diese auch behalten und nutzen. Die
Verkäufer waren inzwischen stillgelegte Gesellschaften mit beschränkter
Haftung. Der trotz Bauverbot inzwischen dicht besiedelte Hügel mit Aussicht
aufs Meer wird Hügel der Schande genannt.
Wenn die lahme Staatsmacht doch einmal einen Abriss verfügt hat,
fanden sich meist alternative Lösungen zur Selbsthilfe. Da formierten sich zum
Beispiel Menschenketten, die den anrückenden Bagger stoppten. Dagegen war natürlich
auch die Polizei machtlos.
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