Die „Sopranos“, „Der Pate“, „Scarface“ – man möchte meinen, die
Mafia gäb's nur im Fernsehen. Oder wenn schon im echten Leben, dann zumindest
nur in Italien, und auch dort nur in Süditalien. Weniger gern ziehen die
Deutschen die Möglichkeit in Betracht, dass auch der nette Inhaber der Pizzeria
gegenüber irgendwas mit Geldwäsche, Erpressung oder gar Mord zu tun haben
könnte.
Von 'Ndrangheta oder Camorra fühlen sich die wenigsten Deutschen bedroht. Alles so schön italienisch.... |
Tatsächlich liegen dem
Bundeskriminalamt immerhin 550 Namen von mutmaßlichen Mafiosi vor, die in
Deutschland leben. Und arbeiten?
Im Titelessay der taz.am Wochenende vom 11./12. April 2015 wirft
die Mafia-Kennerin Petra Reski, die seit Jahren in Venedig lebt, den Deutschen
ihre lässige Haltung gegenüber der organisierten Mafia-Kriminalität vor: „Ja,
es mag sein, dass es hier so etwas wie Mafia gibt – die ist aber nicht aktiv,
eher so auf Sommerfrische: Keep cool, it's only the mob. Godfathers on holiday.
Don't worry.“
Reski hat auch eine
Erklärung dafür, dass sich hierzulande auch die Verantwortlichen kaum um das
Phänomen kümmern: „Deutschland ignoriert die Mafia bewusst, weil Deutschland
von der Mafia profitiert.“
In den meisten Nachrichten zur Mafia in Deutschland findet sich
der leicht verharmlosende Zusatz, die italienische Mafia nutze Deutschland nur
als „Rückzugs- und Ruheraum“. Dem stehen einige beunruhigende Meldungen aus den
vergangenen Jahren entgegen: Erst im Dezember gab es in Rheinhessen eine
Schießerei in einer Pizzeria, die auf die Mafia zurückzuführen sein könnte. Im
Februar 2014 hatten mehr als 400 Ermittlerinnen und Ermittler in 15 Städten
Nordrhein-Westfalens Wohnungen und Geschäftsräume der Baubranche durchsucht.
Den elf Festgenommenen wurde vorgeworfen, 24 Strohfirmen gegründet zu haben und
durch Schwarzarbeit und Steuerstraftaten etwa 30 Millionen Euro Gesamtschaden
hinterlassen zu haben.
Den Weg in die
kollektive Erinnerung haben vor allem die Mafia-Morde in Duisburg geschafft.
Das war 2007. Die Feindschaft zweier Familien der kalabrischen Mafia
'Ndrangheta soll der Grund dafür gewesen sein, dass sechs Menschen vor einer
Pizzeria erschossen wurden. Der Pizzeriabesitzer und sein Lehrling waren unter
den Toten. Erst danach richtete das Bundeskriminalamt eine Sondereinheit zur
Bekämpfung der Italienischen Organisierten Kriminalität ein.
Dennoch scheinen weiter viele dazu zu
neigen, die Mafia-Geschichten als Einzelfälle abzutun. Selbst im Mafia-Blog des
Recherchekollektivs Corretivo tauchen deutsche Fälle eher am Rande auf. Zuletzt
etwa in Baden-Württemberg die Festnahme eines 25 Jahre alten Mafioso, dem
Drogenhandel und Erpressung vorgeworfen werden – allerdings in Italien.
Mafiazugehörigkeit in Deutschland nicht strafbar
Kaum ein Deutscher fühlt sich bedroht,
weil ja meistens nur Italienischstämmige darin verwickelt sind. Aber gehen
nicht Geldwäsche, Erpressung von Unternehmen und öffentliche Schießereien auch
den Rest der Bevölkerung etwas an?
Petra Reski geht davon aus, dass die
Mafia eine extrem anpassungsfähige Organisation ist. Sie hat es also auch
geschafft, sich an Deutschland anzupassen. Hier heißt die Devise mehr noch als
anderswo: Bloß nicht auffallen. Die Gesetze erleichtern das sogar, argumentiert
Reski. Es beginne damit, dass die Mafiazugehörigkeit hier nicht strafbar sei.
Und da deswegen zunächst kein Strafbestand vorhanden sei, dürften
beispielsweise auch keine Finanzermittlungen aufgenommen werden. Auch sei das
Abhören praktisch unmöglich, womit eventuelle oder geplante Straftaten bewiesen
werden könnten.
Seit Jahren versucht Reski, über die
Aktivitäten der Mafia in Deutschland aufzuklären und das Bewusstsein der
Deutschen zu schärfen. Immer wieder ist sie deswegen bedroht worden. Und als
ihr Buch „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ erschien,
verklagten sie mehrere italienische Gastronome: „Wir wurden dazu verurteilt,
Passagen des Buches zu schwärzen und Schmerzensgeld für das erlittene Unrecht
zu zahlen.“ In ihrem Essay erzählt sie in der taz.am Wochenende von geheimen
Treffen der Mafiabosse, von der Blindheit der Politik und dem ihrer Meinung
nach zu engen Fokus auf islamistischen Terror.
Der größte Unterschied zu ihren italienischen Genossen sind die
Methoden und ihre Präsenz in der Öffentlichkeit. Hier sind sie zwar noch nicht
so mit Politik und Wirtschaft verbunden, wie sie es in Italien geschafft haben
– das, argumentiert Reski, liege aber unter anderem daran, dass sie erst seit
etwa 40 Jahren in der Bundesrepublik agierten, im Gegensatz zu 160 Jahren
Erfahrung in ihrem Heimatland.
Mehr als nur Folklore
In Italien flog Ende
2014 auf, wie stark die Mafia die römische Regierung infiltriert hat. Der
Spiegel betitelte den entsprechenden Text passend: „Die Mafia regiert mit“. 37
Politiker und Unternehmer wurden festgenommen, teilweise aus den höchsten
Ebenen der römischen Kommunalverwaltung. Sie alle waren an mafiösen Geschäften
beteiligt.
Morde prägen jeden Monat
die italienische Mafia-Berichterstattung. Dass es in Deutschland noch nicht so
weit gekommen ist, zeigt Reski zufolge nur eins: Mafiosi hierzulande wissen,
dass die deutsche Öffentlichkeit dann erkennen würde, dass Mafiabosse und
blutrünstige Auseinandersetzungen zwischen ihren Clans mehr als nur Folklore
sind.
Nehmen wir Deutschen die Mafia nicht ernst genug? Bräuchten wir
schärfere Gesetze gegen die organisierte Kriminalität? Oder würde das nur zu
noch mehr Überwachung führen – und dafür zu wenig bringen?
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