In den letzten zwanzig Jahren begann
sich in den Beziehungen zwischen Mafia und öffentlichen Ämtern eine Trendwende
abzuzeichnen: Es sind nicht mehr die Bosse, die auf Politiker angewiesen sind,
um sich bereichern zu können, sondern es sind nun einzelne Strömungen innerhalb
der Parteien und ihre Wahlkandidaten, die sich mit Mafiageldern finanzieren
lassen. Die schnell erworbenen Riesensummen aus dem Drogenhandel ermöglichen
der Mafia, politische Macht zu kaufen; etwa in Form von Lizenzen für legitime
Aktivitäten, mit denen sie ihre Einnahmequellen tarnen kann. Wählergunst ist
bekanntlich wie Geld: «Non olet»; und Parteien und Kandidaten befleißigen sich
im Wahlfieber, ohne allzu zimperlich zu sein, ihren jeweiligen Listen Stimmen
zu verschaffen. Alle Parteien haben deshalb im geheimen Schulden bei der Mafia,
auch wenn einige weniger tief in ihrer Schuld stehen als andere.
Früher pflegten sich zum Beispiel die
Wahlsieger bei ihren mafiosen Helfershelfern zu bedanken, indem sie sie in
bekannte Trattorien einluden, wo dann in aller Öffentlichkeit fröhliche Gelage
gefeiert wurden. In den letzten Jahren setzten die durch Unterstützung der
Mafia gewählten Parlamentarier alles daran, sich nicht in kompromittierender
Gesellschaft blicken zu lassen; sie verlegen selbst ihren Wohnsitz nach Rom,
obwohl sie dadurch in Kauf nehmen müssen, ihre Wählerschaft zu vernachlässigen;
und die Parteien reagieren indigniert, sobald ihnen «Kontiguität», d. h.
Nähe, nachgesagt wird.
Ein Mafiaboss, der sich während der
Wahlkampagne für eine Liste und innerhalb dieser für einen einzelnen Kandidaten
einsetzt, tut dies weder aus ideologischen Gründen noch aus freundschaftlichen
Gefühlen, sondern aus pragmatischem Kalkül: Er kann mit pünktlichen Gegenleistungen
der Partei rechnen, die auf diese Art mit ihm und seiner Organisation verquickt
bleibt. Die Initiative zur Aufnahme von Beziehungen mit der Mafia geht seitens
der Politiker indessen nie von nationaler Ebene aus. Ohne dass die Partei davon
Kenntnis hatte, war es stets Sache der Fraktionschefs und der lokalen
Parteifunktionäre, den Umfang der politischen Tätigkeiten für ihre Wahlbereiche
festzulegen, ihren - leiblichen - Söhnen sowie ihren «Patenkindern»,
das heißt ihren Schützlingen, Stellen zu verschaffen, die Vergabe öffentlicher
Gelder und all die anderen Dinge zu kontrollieren, die der instinkthaften und
brutalen Solidarität unter den Angehörigen der «Ehrenwerten Gesellschaft» förderlich
sind.
Auf diesem Boden gedeiht die verfilzte
Zusammenarbeit zwischen Mafia, Führungsklasse, mafiosen Unternehmern, Finanz-
und Geschäftskreisen, Wahlkandidaten und Wählern. Um die Stimmen dieser Wähler
zu kaufen, geben einzelne Parlamentarier während einer Wahlkampagne das
Zehnfache der Summe aus, welche die ins Parlament Gewählten als Gehalt für eine
ganze Legislaturperiode erhalten. Rund 20 000 Stimmen kaufte die Mafia
beispielsweise bei den letzten sizilianischen Regionalwahlen im Juni dieses Jahren
allein in Catania den von ihr unterstützten Politikern. Bezahlt wurde mit Geld
(bis zu 200 000 Lire pro Stimme), Baubewilligungen, vorzeitigen
Pensionierungen, Theaterabonnementen und Diensten des ältesten Gewerbes -
das übliche Spiel, das diesmal durch eine Telefonabhöraktion ans Licht kam.
So kommt es, dass sich politische
Führungskräfte, Minister, Staatssekretäre plötzlich in ein Netz von
«hilfsbereiten Freunden» verstrickt finden und anfangen, Briefe und Briefchen
an andere einflussreiche Amtspersonen zu schreiben, an Präfekten, Polizeichefs,
Richter, Bürgermeister und Carabinieri-Befehlshaber - Briefe und
Briefchen, die Anlass geben zu eifrigen und mühseligen Recherchen seitens der Begünstigten
sowie deren Gegner mit dem Ziel, je nachdem entweder die kompromittierenden
Dokumente zu zerstören oder aber mit ihrer Hilfe die politischen Feinde
öffentlich in Misskredit zu bringen. Diese «Jagd nach Beweisstücken» hat
Mitglieder des sizilianischen Antimafia-Pools dazu bewogen, aus den Archiven
der parlamentarischen Kommission, die sich mit der Mafia befasst, Hunderte
solcher Dokumente zu entwenden und sie nach und nach dem stets skandalhungrigen
Pressewesen zu verfüttern.
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