Sonntag, 8. September 2013

"Nur der Markt für Drogen blüht"

Ohne konsequente Bekämpfung der Mafia gibt es keinen wirtschaftlichen Fortschritt in Italien. Das sagt in einem ausführlichen Gespräch mit Claudio M. Mancini der oberste Mafia-Jäger, Staatsanwalt Franco Roberti.


Franco Roberti, Procuratore



MANCINI:
Signore Roberti, im jüngsten Bericht des italienischen Innenministeriums über Polizeiaktivitäten für öffentliche Sicherheit werden wichtige Fortschritte bei der Verfolgung der Spitzen der Mafia erwähnt. Sinkt die Macht der Clans?

 
FRANCO ROBERTI:
Ich glaube, ja. Andererseits haben die kriminellen Vereinigungen als Reaktion auf ihre effektivere Bekämpfung die eigenen Vorgehensweisen geändert. In Italien haben wir zum Beispiel eine starke Gesetzgebung gegen illegale Vermögen. In den letzten Jahren haben wir viele große Vermögen beschlagnahmt. Aber was tut die Mafia in solchen Fällen? Sie umgeht das Land, in dem eine starke Gesetzgebung existiert und verschiebt ihre Vermögen in andere Länder.

 

MANCINI:
Welches sind die Hauptgeschäftsfelder der Mafia-Clans? Haben sie sich in den letzten Jahren verändert?

 
ROBERTI:
Das Hauptfeld der Mafia-Clans sind seit jeher Erpressungen und Aufträge der öffentlichen Hand. Derzeit gestalten sich Erpressungen von Unternehmern wegen der Wirtschaftskrise schwierig. Die Unternehmer haben kein Geld, infolgedessen ist der Markt der Erpressungen und der öffentlichen Aufträge geschrumpft. Viele Mafia-Organisationen, die den Drogenhandel fast aufgegeben hatten, sind wieder zu diesen Aktivitäten zurückgekehrt. So sind wir mit einem wachsenden Drogenhandel und infolgedessen sinkenden Preisen konfrontiert. Der einzig blühende Markt ist derzeit der der Drogen!

 
MANCINI:
Ist die Gesetzgebung zur effektiven Bekämpfung der Mafia ausreichend oder besteht Verbesserungsbedarf?

 
ROBERTI:
Alles ist verbesserungsfähig. Es ist aber vor allem eine Frage der Organisation und der Prioritäten. Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens muss in Italien zu einer Priorität werden. Wenn es ein Hauptanliegen ist, gibt es keine Grenzen für Ausgaben. Dann muss man mehr Mittel einsetzen, mehr für die Polizeikräfte ausgeben, um dafür zu sorgen, dass die Justizmaschinerie funktioniert. Dieses Land hat sich bislang noch nie dafür entschieden, die Justiz funktionieren zu lassen. Wenn man die Justiz als Last ansieht, die es zu tragen gilt, gibt man immer weniger dafür aus. Ohne funktionierende Justiz wird es keine echte Wirtschaftsentwicklung geben. Die Firmen, die sich in Zeiten der Krise von der Mafia finanzieren lassen, machen den anderen Unternehmen, die kein Mafia-Geld erhalten und keinen Zugang zu Bankkrediten haben, unlautere Konkurrenz. Diese Unternehmen gehen ein und lassen die Arbeitslosigkeit steigen. Wer geht nie pleite? Das Mafia-Unternehmen. Der Kampf gegen die Mafia ist die Voraussetzung für wirtschaftlichen Fortschritt.

 
MANCINI:
Bei der internationalen Verfolgung von Mafia-Clans kam es oft zu Spannungen zwischen deutschen und italienischen Ermittlern. Sind die Schwierigkeiten überwunden?

 
ROBERTI:
Die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens hat sich seit dem Massaker von Duisburg entscheidend verbessert. Bis dahin gab es seitens der deutschen Behörden kaum Bereitschaft, die Präsenz der Mafia auf ihrem Territorium anzuerkennen. Mittlerweile gibt es erhebliche Fortschritte, denn Duisburg hat die Gegenwart vor allem der besonders aggressiven, reichen und gefährlichen kalabresischen Mafia in Deutschland erwiesen. Heute gibt es ein Abkommen zwischen meiner Behörde, der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft, und dem Bundeskriminalamt, das die Identifizierung mafiöser Familien in Deutschland mit den jeweiligen Geschäftsbereichen ermöglicht. Seither haben die Ermittlungen in mehreren Teilen Deutschlands Ergebnisse gezeitigt, vor allem was die Ndrangheta angeht. Bis vor wenigen Jahren war es praktisch unmöglich, von Italien aus in Deutschland Abhörmaßnahmen durchzuführen. Damals waren die deutschen Behörden sehr rigide, das hat sich geändert.


MANCINI:
Kann man angesichts der internationalen Vernetzung und neuen technologischen Möglichkeiten für kriminelle Aktivitäten noch zwischen Mafia und anderen Formen von organisiertem Verbrechen unterscheiden?

 
ROBERTI:
Die Grenzen sind fließend. Der letzte Europol-Bericht nennt 2600 Mafia-Organisationen auf dem Territorium der EU. Darin heißt es auch, dass die italienischen Organisationen nach wie vor die stärksten sind. Die traditionellen italienischen Mafia-Clans haben offenbar Schule gemacht. Sie sind für Verbrecherbanden aus anderen Ländern ein Modell. Viele Organisationen handeln in Europa wie die Mafia, auch wenn sie sich aus anderen Ethnien rekrutieren.

 
Info Staatsanwalt Franco Roberti (61) wurde im Juli vom Obersten Richterrat zum Chef der italienischen Anti-Mafia-Behörde gewählt.

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