Samstag, 6. September 2014

Schweizer Mafiosi noch auf freiem Fuß

Der Chef der Frauenfelder 'Ndrangheta-Zelle wurde verhaftet. Aber 16 weitere Verdächtige bewegen sich noch immer frei – trotz einem Haftbefehl aus Italien. Dafür gibt es nur zwei mögliche Erklärungen.

Seit dem vergangenen 22. August ist bekannt, dass die Anti-Mafia-Behörde von Reggio Calabria einen Haftbefehl gegen 18 Mitglieder einer 'Ndrangheta-Zelle in Frauenfeld erlassen hat. Zwei davon, unter ihnen der Anführer der Zelle, konnten in der Nacht zuvor in Kalabrien verhaftet werden. Die übrigen 16, die sich allesamt in der Schweiz aufhalten sollen, seien von den Schweizer Behörden lokalisiert worden und würden verhaftet, sobald die Auslieferungsformalitäten geklärt seien, teilte damals die Anti-Mafia-Behörde mit.


Abgelehntes Gesuch

Seither sind zwei Wochen vergangen. Die Männer im Alter zwischen 36 und 71 Jahren sind aber immer noch alle auf freiem Fuß. Folco Galli, der Informationschef des Bundesamts für Justiz (BJ), bestätigt auf Anfrage: «Von den 16 Mitgliedern der Frauenfelder 'Ndrangheta-Zelle wurde bisher niemand verhaftet.» Das ist bemerkenswert. Denn die Schweizer Behörden sind gemäß Zusatzabkommen zwischen der Schweiz und Italien zur Erleichterung der Rechtshilfe dazu verpflichtet, bei Eingang eines Fahndungsersuchens rasch zu handeln.

Zu möglichen Gründen, die ein Abwarten rechtfertigen könnten, will sich Galli mit Verweis auf die Vertraulichkeit solcher Ersuchen grundsätzlich nicht äußern. Dass Verhaftungen bisher ausgeblieben sind, lässt aber nur zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder ist das entsprechende Gesuch beim BJ bisher nicht eingegangen, oder das eingegangene Gesuch war unvollständig.


Chef des Bundesamtes für Justiz


Gegen die erste These spricht eine Mitteilung der Bundesanwaltschaft (BA), in der es bereits am 25. August hieß, dass die Anti-Mafia-Behörde ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz gestellt habe. Gleiches bestätigte auch der zuständige italienische Staatsanwalt Nicola Gratteri auf Anfrage der NZZ. Dass ein Gesuch gestellt wurde, heißt zwar freilich noch nicht zwingend, dass dieses beim BJ eingetroffen sein muss. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass die Akten für den Weg in die Schweiz mehr Zeit benötigt haben sollen als eine Postkarte aus einem süditalienischen Badeort.

Für die zweite These gibt es indes mindestens einen Präzedenzfall. Bei einer weltweit konzertierten Großrazzia gegen die 'Ndrangheta im Jahr 2011, bei der auch ein Verdächtiger in der Schweiz hätte verhaftet werden sollen, lehnte das BJ ein Fahndungsgesuch aus Italien ab, weil der dargelegte Sachverhalt zu knapp formuliert gewesen war, wie Galli damals sagte. Insbesondere ging aus dem damaligen Gesuch nicht hervor, was dem Tatverdächtigen konkret vorgeworfen wurde.


Facebook-Profil gelöscht

Formelle Mängel könnten auch im vorliegenden Fall durchaus der Grund für die ausgebliebenen Verhaftungen sein. Das BJ ist verpflichtet, zu prüfen, ob ein Ersuchen alle erforderlichen Angaben enthält und ob eine Auslieferung grundsätzlich infrage kommt, bevor sie das zuständige Polizeikorps anweist, eine Person festzunehmen. Unzulässig sind Auslieferungen zum Beispiel, wenn es um Schweizer Bürger (auch Doppelbürger) geht oder wenn die vorgeworfene Handlung in der Schweiz nicht strafbar ist. Letzteres dürfte im vorliegenden Fall aber kaum der Fall sein, da auch die Bundesanwaltschaft eine Strafuntersuchung wegen Mitgliedschaft in der 'Ndrangheta führt.


Dass die Verhaftung ihres Chefs auf manche Mitglieder der Frauenfelder Zelle einen Einfluss hatte, zeigt derweil ihr Verhalten im Internet. Eines der Mitglieder, die ein Facebook-Profil haben, hat seines in der Zwischenzeit gelöscht. Fünf haben sich auf diesem Kanal nicht mehr geäußert. Nur einer postet noch regelmäßig Nachrichten und scheint nicht sonderlich beunruhigt zu sein. Und das, obschon im Hintergrund seines Profilbilds eindeutig der Bocciaklub in Wängi zu sehen ist, in dem die Zelle bei einem Clantreffen gefilmt wurde.
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Mittwoch, 3. September 2014

Super-Boss Toto Riina droht Staatspräsidenten

Der Cosa-Nostra-Boss Toto Riina hat aus dem Gefängnis heraus einen Mordbefehl gegen den Gründer der Anti-Mafia-Bewegung Libera gegeben. Italiens Staatspräsident hat diesem daraufhin öffentlich seiner Solidarität versichert.


Hochsicherheitstrakt von Marino di Tronto


Florenz. Die Szene mutete wie eine Einstellung aus dem Film „Der Pate“ an: Salvatore „Toto“ Riina, der 83-jährige Boss der Cosa Nostra von Corleone, erklärt beim Hofgang gegenüber dem apulischen Mafiaboss Alberto Lorusso, der Priester Don Luigi Ciotti „muss umgebracht werden, er ist schlimmer als Don Puglisi“.

Ähnliche Drohungen stieß der Superboss, der seit 1993 eine zehnmal lebenslange Haftstrafe im Hochsicherheitstrakt von Marino di Tronto verbüßt, auch gegen Präsident Giorgio Napolitano aus.


Der hat sich daraufhin in einem Telefonat mit dem Gründer der Antimafia-Bewegung Libera, Don Ciotti solidarisiert. Auch die Bischofskonferenz und weitere Persönlichkeiten der italienischen Öffentlichkeit stellten sich hinter den mutigen Geistlichen Ciotti.

Mafia-Pate verhindert blutigen Bandenkrieg in der Schweiz

FRAUENFELD/SINGEN. Sie sind Cousins, waren aber auch erbitterte Rivalen: Der in Italien vor einer Woche verhaftete Antonio N. aus Frauenfeld und Bruno Nesci, Kopf der 'Ndrangheta-Zelle in Singen. Gemäß den Recherchen der NZZ am Sonntag hätte nicht viel gefehlt und in der Bodensee-Region wäre es zum blutigen Bandenkrieg gekommen.


Antonio Nesci, genannt Ntoni, "lo svizzero"


Es habe damit begonnen, dass Antonio Nesci, genannt Ntoni, "lo svizzero", sich nicht auf die Frauenfelder Lokale beschränken wollte, er strebte nach der Macht in Süddeutschland. Die hätte er sich wohl auch mit Gewalt geholt. Die Staatsanwaltschaft der Reggio Calabria schöpft Verdacht und bittet Baden-Württemberg Ende 2008 um Amtshilfe. Der Singener Ableger wird von da an observiert.

Bruno Nesci



Die Frauenfelder provozieren

Zeitweise soll es sogar Pläne gegeben haben, zwei Zellen in Singen zu führen, eine für "lo svizzero", die andere für seinen Cousin. Die Idee wird aber wieder verworfen. In der folgenden Zeit provozieren die Frauenfelder die Singener, indem sie etwa als Gruppe durch Singen marschieren oder nach Kalabrien fahren, um sich grünes Licht für ihre Expansions-Ideen zu holen. Bruno Nesci tobt.

Dann schaltet sich die 'Ndrangheta-Spitze in Kalabrien ein. Dem Singener Chef wird befohlen, er solle ruhig bleiben. Donato Fratto tritt als Vermittler zwischen den rivalisierenden Zellen auf den Plan. Donato Fratto wohnt in Uzwil, nicht wie früher behauptet in Kreuzlingen oder Frauenfeld. Die Schweizer sollen aus dem Macht-Gerangel als Sieger hervorgegangen sein.

Donato Fratto - der Vermittler


Singener Boss in Haft


Doch für Bruno N. neigt sich die Zeit in Singen ohnehin dem Ende zu. Im Sommer 2010 werden in Italien 300 Männer verhaftet, darunter ein 58-Jähriger aus Singen. Dabei habe es sich wohl um Bruno N. gehandelt, bestätigt das Landeskriminalamt Stuttgart. Er wird am 8. März 2012 zu sechs Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Er soll noch im Gefängnis sein.
Doch seine Entlassung steht kurz bevor, da nach deutschem Recht nach Verbüßung von 2/3 der Strafe die Freilassung angeordnet wird. 

Dienstag, 2. September 2014

Handel mit gefälschten Arzneimitteln aufgeklärt

"Operation Vigorali": Europaweiter Handel mit gefälschten Arzneimitteln aufgeklärt
In Österreich acht Festnahmen und 20 Hausdurchsuchungen - über 20.000 Geschädigte in ganz Europa




Wien (OTS) - Unter dem Decknamen "Operation Vigorali" wurden vom Büro "Organisierte Kriminalität" des Bundeskriminalamtes seit September 2012 internationale Ermittlungen gegen eine weltweit agierende kriminelle Organisation geführt.

Die Tätergruppe betrieb einen Handel mit gefälschten Arzneimitteln und verkaufte gesundheitlich bedenkliche Produkte weltweit auf unzähligen Internetplattformen. Am 1. Februar 2014 wurde aufgrund der umfangreichen, internationalen Ermittlungen eine Sonderkommission im Bundeskriminalamt eingerichtet und im März eine gemeinsame Ermittlungsgruppe (JIT) mit Großbritannien, Frankreich, Spanien mit Beteiligung von Europol und Eurojust gegründet.

Die überwiegend männlichen Konsumenten konnten die Arzneimittel über Internet-Apotheken, wie zum Beispiel www.apotheke-austria.com bestellen. Der Leiter der Sonderkommission Major Dieter Csefan, BA erklärt: "Die Arzneimittel, vor allem namhafte Potenzmittel, wurden auf unzähligen Web-Seiten als Originalprodukte angeboten und über Online-Bestellungen verkauft. Die in Österreich agierende Tätergruppe übernahm die gefälschten Arzneimittel von einer Spedition und war für die Verpackung und den weltweiten Versand via Slowakei, Deutschland und Österreich verantwortlich."

Bis dato konnten alleine in Österreich ca. 20.000 Paketsendungen mit rund 300.000 gefälschten Arzneimitteln sichergestellt werden. Die Kunden haben für diese Fälschungen ca. drei Millionen Euro bezahlt.

Bei den heutigen Zugriffen in Österreich und Ungarn wurden:

- acht Festnahmeanordnungen,
- 20 Durchsuchungs- und Sicherstellungsanordnungen
- vier Vorführungsanordnungen zur sofortigen Vernehmung durchgeführt. Weiters erfolgte die Sicherstellung von 15 Bankkonten (drei in Österreich, drei in Zypern, sieben in der Slowakei und je eines in Ungarn und Belgien), dabei wurde etwa eine Million Euro sichergestellt.

Ebenso konnten bei den Durchsuchungen 130.000 Euro Bargeld und ca. eine Million gefälschter Tabletten vorgefunden werden. Der Verkaufswert dieser Fälschungen beträgt ca. zehn Millionen Euro.


Zeitgleich wurden in Großbritannien sieben Festnahmeanordnungen und Durchsuchungen durchgeführt und 49 Bankkonten gesperrt.
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Morddrohungen gegen Anti-Mafia-Priester

Der italienische Priester Luigi Ciotti gilt seit Jahren als Galionsfigur im Kampf gegen die Mafia. Nach Drohungen gegen seine Person durch den Mafia-Boss Salvatore Riina erlebt er nun eine Welle der Solidarität.




Die Tageszeitung „La Repubblica“ veröffentlichte ein abgehörtes Telefongespräch zwischen dem in Mailand zu lebenslanger Haft verurteilten Riina und einem weiteren Mafia-Boss namens Alberto Lorusso. Darin sagte Riina, Ciotti sollte wie der Anti-Mafia-Priester Giuseppe Puglisi enden, der 1993 von der Mafia getötet worden war. „Wir könnten Ciotti auch ermorden“, sagte Riina laut dem abgehörten Gespräch.







...den können wir ruhig umbringen!

Es wäre verwunderlich, hätte die Mafia den unbequemen Geistlichen nicht seit Langem im Visier. Gesprächsaufzeichnungen, die italienische Ermittler im Gefängnis von Opera in der Provinz Mailand gemacht haben, beweisen genau das. "Ciotti, Ciotti, den können wir ruhig umbringen", soll der Chef des Corleoneser-Clans, Totò Riina, in diesem Gespräch gesagt haben. 

Töten solle man den Priester, genau wie einst Giuseppe Puglisi, der 1993 an seinem 56. Geburtstag in Palermo erschossen wurde. "Der wollte in seinem Viertel das Kommando haben", klagt Riina, der dies als Eingriff in das Territorium der sizilianischen Mafia versteht.

Geplaudert hat der Super-Boss der Cosa Nostra mit seinem ebenfalls inhaftierten "Kollegen" Alberto Lorusso von der "Sacra Corona Unita", der in Apulien tätigen Mafia. Die "Repubblica" veröffentlichte den Inhalt des Gesprächs, das am 14. September 2013 stattgefunden haben soll - beim Spaziergang im Gefängnishof. Die Anti-Mafia-Ermittler ordneten unverzüglich gesonderte Sicherheitsmaßnahmen für Don Ciotti an - informierten ihn selbst aber offenbar nicht über die drohende Gefahr. "Wir hatten allerdings seit mehreren Monaten beunruhigende, schwer zu deutende Signale erhalten", sagte eine Mitarbeiterin von Don Ciotti


Sicherheitsvorkehrungen verschärft

Die Sicherheitsvorkehrungen um den Priester, der auch als Vorsitzender der Anti-Mafia-Bewegung „Libera“ engagiert ist, wurden daraufhin verschärft.



Die Zelle von Mafia-Boss Riina


Solidaritätserklärungen erhielt der 69-jährige Geistliche unter anderem von Italiens Premier Matteo Renzi und vielen anderen hochrangigen Politikern im Land. Renzi bezeugte dem Priester seine „Nähe und Unterstützung“. „Wir sind an Ihrer Seite“, kommentierte der Senatspräsident und ehemaliger Staatsanwalt in Palermo, Piero Grasso.


„Für mich ist der Einsatz gegen die Mafia seit jeher ein Akt der Treue dem Evangelium gegenüber im Sinne des Einsatzes gegen Ungerechtigkeit und Gewalt“, betonte Ciotti, der sich seit Jahrzehnten auf Sizilien gegen die wirtschaftliche und politische Macht der Mafia engagiert. Sein Verband „Libera“ hatte 1995 den „Giorno della Memoria“ (Tag der Erinnerung) ins Leben gerufen. Dabei wird seitdem jedes Jahr im März der Opfer der Mafia gedacht.
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Journalist Francesco Raniere von der Mafia bedroht


Seit Jahren schreibt der Journalist über die Machenschaften der kalabrischen Mafia. Nicht ungefährlich. Francesco Raniere erhielt schon Besuch der berüchtigten 'Ndrangheta.

Seit sechs Jahren ist Francesco Ranieri (37) Korrespondent der «Gazzetta del Sud» in der kalabrischen Region von Soverato bei Catanzaro. «15 Mafia-Morde habe ich seither erlebt», sagt er. «Ich bin von der ’Ndrangheta bedroht worden.»

Auch der jüngste Coup der Anti-Mafia-Behörde war Ranieris Thema: Am Dienstag verhaftete die Polizei 18 Mitglieder des Procopio-Mongiardo-Clans. Am Tag darauf ging Francesco Andrea (33) ihr ins Netz, der Waffenlieferant aus Schaffhausen.

«Andrea lieferte Pistolen an Mafia-Boss Mario Mongiardo (45). Die Polizei fand Waffen in dessen Garten und Haus», sagt Ranieri. Er machte persönlich Erfahrungen mit dem Boss: «Ich hatte über die Erpressung eines Feriendorfbesitzers geschrieben. Das passte ihm nicht.»

Mafia-Boss Mongiardo.


Die Polizei belauscht ein Telefonat des Paten. Darin sagt er: «Ich schlag dem Journalisten den Schädel ein.» Wenig später tauchen Mongiardos Töchter beim Reporter auf und «bitten» ihn, die Finger von der Familie zu lassen.

«Die ’Ndrangheta warnt. Sie schickt Projektile oder zündet das Auto an», sagt Ranieri. Warum macht er den gefährlichen Job? «Weil ich ihn liebe. Man muss ihn lieben, sonst schafft man es nicht.» Denn die Öffentlichkeit müsse informiert werden. «Wenn Mafiosi etwas fürchten, dann die Aufdeckung ihrer Machenschaften.»


Montag, 1. September 2014

Bonner Baumafia - Millionen gingen am Fiskus vorbei

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Mit Verspätung konnte am Montag eines der größten Bonner Verfahren gegen eine mutmaßliche Bauarbeiter-Mafia aus Köln starten. Ein Bauunternehmer und sechs Helfer müssen sich wegen Betruges verantworten.




Mit einer Stunde Verspätung erst konnte am Montag eines der größten Bonner Verfahren gegen eine mutmaßliche Bauarbeiter-Mafia aus Köln starten. Eine Ersatzschöffin hatte den Termin nicht in den Kalender eingetragen und so startete der gut vorbereitete Mammutprozess, der bis in den Januar 2015 terminiert ist, gegen sieben Angeklagte, von 14 Rechtsanwälten verteidigt, mit lähmender Verzögerung.

Eine Stunde lang auch musste der Hauptangeklagte, der in Handschellen vorgeführt wurde, auf seinen auffällig gut gelaunten Auftritt warten. Der 42-jährige Ex-Chef eines Rohbauunternehmens aus Köln, der als einziger seit seiner Verhaftung im Oktober 2013 in Untersuchungshaft sitzt, scheint mit seinem selbstbewussten Charme das Zeug zum „Helden“ zu haben. Während die sechs mitangeklagten Helfer im Alter zwischen 43 und 60 Jahre etwas düster auf den Prozessstart warteten, flirtete er ungehemmt mit einer blonden Frau in der ersten Reihe, die er später als seine Lebensgefährtin vorstellte.

Das verliebte Augenzwinkern nahm auch kein Ende, als Staatsanwalt Pascal Regh die 161-seitige Anklageschrift vorlas, in der dem einstigen Bauunternehmer Schwarzarbeit, Vorenthaltens von Arbeitsentgelt, Betrug sowie Steuerhinterziehung in insgesamt 312 Fällen vorgeworfen wird.

Er soll innerhalb von dreieinhalb Jahren, von Januar 2010 bis September 2013, einen Schaden von 6,5 Millionen Euro angerichtet haben. Allein 5 Millionen Euro an Sozialabgaben sollen hinterzogen worden, weitere 1,5 Millionen am Fiskus vorbeigegangen sein. Dafür soll der „Chef“, ein hoch kompliziertes Netz von verschiedenen Subunternehmen zwischen Köln, Düsseldorf, Euskirchen, Witten und München entwickelt und „wie eine große Spinne“ die kriminellen Geschäfte gesteuert haben.

Die sechs Helfer hatten laut Anklage ihre genauen Rollen in dem Firmengeflecht und sollen mitgeholfen haben, das betrügerische System zu verschleiern, sowohl die Geldflüsse als auch die halblegale Beschäftigung von Hunderten von Bauarbeitern. Unter den Helfern ist auch ein Steuerberater aus Erftstadt mitangeklagt, der die Bilanzen so gestrickt haben soll, dass der Betrug nicht sofort auffiel. Sie müssen sich alle wegen Beihilfe verantworten. Die mutmaßlich betrügerische Baufirma war für Rohbauten zahlreicher Großprojekte in Köln und Düsseldorf beauftragt gewesen. In Bonn soll sie unter anderem in Vilich-Müldorf und in Plittersdorf engagiert gewesen sein.

Mitarbeitern des Hauptzollamtes fielen bei regelmäßigen Kontrollen 2011 erste Ungereimtheiten auf: Nach eingehenden Ermittlungen stellte sich heraus, dass die angeheuerten Männer – fast alle aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens – den größten Teil ihres Lohns schwarz, bar in einer Tüte bekommen haben. Das Ende der Organisation kam mit einer flächendeckenden Razzia im Oktober 2013.
Nach der zweistündigen Verlesung der Anklage war gestern erst mal Schluss: Fortgesetzt wird in der kommenden Woche.

Ob der mutmaßliche Kopf des Unternehmens, der 1992 als Kriegsflüchtling aus Bosnien nach Köln gekommen war, dann sein Schweigen brechen wird, ist noch offen. Zwei seiner Helfer hatten nach der Razzia ausgepackt.

http://www.rundschau-online.de/bonn/bauarbeiter-mafia-millionen-gingen-am-fiskus-vorbei,15185502,28288684.html