In Erfurt soll die 'Ndrangheta Restaurants betreiben,
das vermutet auch die italienische Antimafiabehörde. Die Behörden in Thüringen
aber sehen keinen Anfangsverdacht.
Die Michaelisstraße in Erfurt ist das, was man als
gute Adresse bezeichnet. Manche nennen sie sogar die steinerne Chronik der
Stadt. Ein mittelalterliches Gebäude reiht sich an das nächste, vom vormaligen
Hauptgebäude einer der ältesten deutschen Universitäten bis hin zur
Michaeliskirche ist alles saniert. Der Benediktsplatz und die Krämerbrücke
grenzen an, auch der Fischmarkt mit seinen alten Gildehäusern ist nah. Hier ist
die thüringische Landeshauptstadt, die auch sonst sehr vorzeigbar ist,
besonders hübsch.
Am Abend des 11. Oktober saßen Einheimische und Touristen vor den Cafés der Michaelisstraße. Es war ungewöhnlich lau, die Innenstadt voller Menschen. Sie aßen Eis oder genossen einen letzten Aperol vor dem Winter. Plötzlich fiel ein Schuss. Menschen schrien, Stühle flogen. In einem Lokal am Ende der Straße gingen etwa 20 Männer aufeinander los. So berichteten es später Zeugen. Nach wenigen Minuten war alles vorbei. Die herbeigerufene Polizei traf keinen der Angreifer mehr an. Sogar eines der Opfer war geflohen. Der Rest der Beteiligten schweigt, bis heute.
Die Polizei führte Razzien und Durchsuchungen in
Erfurt, Weimar und Suhl durch, auch in Zwickau und Berlin. Gefunden wurden
Schusswaffen, Elektroschocker, Schlagstöcke und fast 30.000 Euro Bargeld. 15
Tatverdächtige ermittelten die Beamten, darunter mehrere Russen, ein Serbe,
aber auch Männer mit deutschem Pass. Fünf kamen in
Untersuchungshaft.
Einige Monate später, an einem schmuddeligen
Wintertag, sitzt Peter Hehne an einem großen Besprechungstisch im Thüringer
Landeskriminalamt. Die Polizeibehörde befindet sich an einer Ausfallstraße im
Süden Erfurts, in einem großen, gut bewachten Gebäudekomplex. "Von Mafia
rede ich nicht so gerne", sagt er. Wenn, dann gehe es um organisierte
Kriminalität, kurz OK.
Jeder kann es
sehen
Neben Hehne sitzt LKA-Präsident Frank-Michael Schwarz.
Er war den größten Teil seines beruflichen Lebens Staatsanwalt und lässt lieber
seinen Abteilungsleiter reden. Ab und an sagt er in ausgesucht freundlichem Ton
Sätze wie: "Wir müssen uns streng an die Strafprozessordnung halten."
Das soll wohl heißen: Wir würden ja gerne mehr tun. Aber leider.
Hehne ist als Abteilungsleiter für das OK-Dezernat 62
zuständig. Der Beamte schiebt seine Brille auf der Nase nach oben und
referiert: 20 Dienstposten stünden für die OK zur Verfügung, 16 seien mit
realexistierenden Beamten besetzt. "Und die", sagt er, "haben
alle allein mit dem, was sich aus dem Hellfeld an Ermittlungen aufdrängt, gut
zu tun."
Der Begriff Hellfeld ist bitter wörtlich zu nehmen. Es
bezeichnet jenen Bereich der organisierten Kriminalität, der für die
Strafverfolger sichtbar ist. Was die Polizei in Erfurt sieht, kann aber
praktisch auch jeder andere sehen.
In dieser übersichtlichen Stadt, die mit den vielen
eingemeindeten Dörfern gerade mal gut 210.000 Einwohnerinnen und Einwohner
zählt, kämpfen kriminelle Banden erstaunlich offen im öffentlichen Raum.
Bereits im Sommer 2014 kam es zu einer Schießerei vor einem Spielpalast. Dabei
wurden zwei Männer schwer verletzt. Es gab zwar einen Prozess und einige
Verurteilungen, doch wer da genau gegen wen kämpfte, wissen die Ermittler bis
heute nicht.
"Die Leute
sind so dreist"
Später brannte der Wagen eines mutmaßlichen
Mafiamitglieds aus, postwendend traf es ein Auto der Konkurrenz, wobei es sich
beide Male um Fahrzeuge der obersten Preisklasse handelte. Es wurde ein
Brandanschlag auf ein Restaurant in der Innenstadt verübt. Bei einer
Auseinandersetzung in einem Bordell wurde einem Mann eine Mistgabel in den
Bauch gerammt. Und als im vergangenen Jahr der Boxer Arthur Abraham in der
Erfurter Messehalle zum Kampf antrat, kam es in aller Öffentlichkeit zu einer
Massenschlägerei. Dabei waren zum Teil dieselben Männer beteiligt wie bei der
Schießerei vor dem Spielpalast.
"Wir haben es in Erfurt mit gefährlichen Mitgliedern
der Mafia zu tun", sagt Ermittler Hehne. "Diese Leute sind so dreist,
in der Öffentlichkeit herumzuschießen und sich zu prügeln." Die Erfurter
Polizei ist vollauf beschäftigt mit dem Hellfeld.
Doch was ist mit dem Dunkelfeld? Was ist mit den
Behauptungen von Buchautorinnen und -autoren wie Claudio Mancini, Petra Reski
und Jürgen Roth, dass sich die italienische Mafia seit den frühen 1990er-Jahren
in Mitteldeutschland – und hier vor allem in Erfurt – eingenistet hat? Und was
ist mit den italienischen Antimafiabehörden, die in der Stadt eine gut
organisierte Dependance der kalabrischen Mafia vermuten? Die Justizbehörden
schweigen sich darüber aus.
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