Sonntag, 17. August 2014

Mit Big Data gegen die Mafia

Wie viel Macht hat die Mafia in Italien? Wie viele Firmen gehören ihr? Der Sizilianer Stefano Gurciullo entlarvt Mafia-Firmen mit winzig kleinen Hinweisen und riesigen Zahlen. Dazu gehört Mut - und Hartnäckigkeit.



Italien im Sommer 1989. Die Luft ist flirrend heiß, Grillen zirpen zwischen Olivenbäumen. Am Eingangstor eines Bauernhofes unterhalten sich zwei Männer, sie scheinen sich gut zu kennen. Beiläufig steckt der ältere der beiden seinem Gegenüber ein Bündel Geldscheine zu. Eine ganz normale Transaktion. In Sizilien ist die Mafia ist überall.

Stefano Gurciullo erinnert sich noch genau. Es war sein erster Kontakt mit der organisierten Kriminalität im Land: "Mein Opa hatte ein kleines Stück Land. An diesem Tag kam ein Mann und forderte Geld von meinem Großvater. Als ich das gesehen habe, fragte ich: Warum gibst du dem Mann Geld? Mein Opa antwortete: Damit er uns beschützt. Vor wem beschützt er uns, wollte ich wissen. Vor sich selber, sagte mein Opa schulterzuckend. Wenn wir nicht bezahlen, dann nimmt er uns alles weg, was wir haben."

Ein kleiner Zwischenfall mit großer Wirkung, Stefano fasst einen Entschluss: Diese Ungerechtigkeit wird er nicht akzeptieren!


Wirtschaftsmacht Mafia

Allein 2010 hat die Mafia laut Schätzungen des italienischen Handelsverbandes "Confesercenti" 135 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Haupteinnahmequellen: Drogen, Prostitution und illegale Waffen. Ein Großteil dieser unglaublichen Summe verwendet sie, um die private Wirtschaft zu infiltrieren. Diese Geldwäsche hat Destabilisierung, Preisabsprachen und Ausschaltung des Wettbewerbs zur Folge.

Nur wenige versuchen die Muster aufzudecken, nach denen kriminelle Organisationen Unternehmen infiltrieren. So komplex die mafiösen Verbindungen sind, so aufwendig und risikoreich ist es, belastende Daten zu beschaffen





Stefano Gurciollo wagt es trotzdem: Er sammelt Informationen über das organisierte Verbrechen in der zentralsizilianischen Stadt Porto Empedocle. Mit Hilfe von Big Data weist er das Ausmaß der Infiltration in verschiedenen Wirtschaftsbereichen nach.

Das Ergebnis: Wirtschaftszweige mit einem hohen Grad an Zentralität und wenigen Unternehmen sind besonders anfällig für eine kriminelle Übernahme. Für die Mafia ist diese Zentralität das entscheidende Kernkriterium, ein Unternehmen aus einem geschwächten Wirtschaftssektor zu kontrollieren.


Folge dem Geld

Gurciollos Vorgehensweise ist einfach wie effektiv. Er beschafft sich Bilanzaufstellungen und Transaktionsaufstellungen aller Firmen im Gebiet der Stadt Porto Empedocle aus den vergangenen Jahren. Sämtliche Berichte sind für die Öffentlichkeit frei einsehbar.

Die Mafia-Verflechtungen in der Stadt sind offensichtlich, aber durch bloße manuelle Auswertung der Daten lassen sie sich noch nicht nachweisen.


Mafia-Firmen mittendrin: Netzwerk von Porto Empedocle

Schlüsselt man das Baugewebe von Porto Empedocle in einzelne Firmen auf und setzt diese in eine Grafik, sieht man Folgendes:

Dazu braucht es zusätzlich vertrauliche Daten der Anti-Mafia Polizei: In Sizilien herrscht die Cosa Nostra ( itl: Unser Ding), die sich in einzelne Familien aufgliedert: Paten der Stadt Porto Empedocle sind die Grassonellis. Sie kontrollieren das Gebiet um die Hafenstadt. Über Jahre hat die Anti-Mafia Polizei Daten über Aktivitäten der Grassonellis gesammelt: Verdächtige Cashflows, plötzliche und unerklärliche Preissenkungen, aber auch Abhörprotokolle und Observationen lieferten
Informationen.


Datensätze miteinander verbinden

Beide Datensätze reichen bis in die frühen 2000er Jahre zurück. Mit den Daten über Firmen und den Informationen über Aktivitäten der "Familie" in diesem Zeitraum hat Gurciollo den Schlüssel, nach dem er so lange gesucht hat. Der Rest ist Informatik und Mathematik: Rechenprogramme gleichen Firmendatensätze mit verdächtigen Transaktionen ab, ordnen Geldströme zu und zeigen Unregelmäßigkeiten in Bilanzen auf.

Die Ergebnisse zeigen Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Datensätzen, Ursprung und Ziel von Cashflows, legen Transaktionen offen. Der erste Schritt ist getan: Infiltrierte Firmen sind lokalisiert. Durch flächendeckende Kontrolle aller Daten eines Gebietes, offenbaren sich zwischen scheinbar vollkommen unabhängigen Firmen erstaunliche Verbindungen.

Gruciollo errechnet einen Index, der die Mafia-Infiltration sämtlicher Firmen eines Wirtschaftszweiges darlegt. Der Index bewegt sich zwischen Null und eins. Null bedeutet keine Einflussnahme, während eins die komplette Kontrolle durch die Mafia darstellt.




Netzwerk von Bauunternehmern in der Baubranche der Stadt Porto Empedocle: Die rot markierten Firmen stehen für Unternehmen, die von der Mafia kontrolliert werden - und die beste Beziehungen innerhalb dieses Netzwerkes unterhalten


Jeder Grüne Punkt steht für ein Bauunternehmen. Die Verbindungen zwischen Punkten bedeuten Zahlungen zwischen den einzelnen Firmen. Im Baugewerbe sind gegenseitige Zahlungen unter Mitbewerbern an der Tagesordnung. Sie entstehen durch Arbeitsteilung in verschiedenen Bauphasen: So beauftragt das federführende Bauunternehmen bei der Konstruktion eines Hauses eine Sub-Firma damit, die Elektroinstallationen in dem Gebäude vorzunehmen.

Daran ist erst einmal nichts Ungewöhnliches. Rote Punkte stehen in der Grafik allerdings für Firmen, die von der Mafia übernommen wurden - rote Linien für verdächtige Zahlungen oder Preisabsprachen. Das Ausmaß der mafiösen Beeinflussung im Bausektor wird anhand der Grafik sichtbar.


Leben mit dem Risiko

Gruciollo baut darauf, dass die Öffentlichkeit ihm Schutz bietet: "Je mehr ich publiziere und je größer meine Rolle in der Aufklärung über Strukturen und Handelsweisen der Mafia wird, desto mehr Aufsehen gibt es, wenn mir etwas passiert." Trotzdem haben sich einige seiner sizilianischen Freunde von Ihm abgewandt. Das ist nichts persönliches, sagt er. "Die haben Angst mit mir in Verbindung gebracht zu werden."


Die Sorge scheint berechtigt. Während seiner Recherchen zu einem Bauunternehmen merkte Stefano Gruciollo, wie jemand hinter ihm herlief, als er aus der Firma kam - immer näher kam, ganz dicht hinter ihm ging. Mit sizilianischen Akzent sagte der Mann im Vorbeigehen: " Lass die Finger von der Firma." Stefano macht weiter.
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