Sie schlugen ihm ins Gesicht, zerrten ihn ins Haus, zertraten dem 71-Jährigen die Brille. Einer von ihnen fuchtelte mit einer Pistole herum. "Die bringen uns um!", dachte seine Ehefrau in dem Moment. Aber die Eindringlinge hatten anderes im Sinn.
Gegen zwei Uhr nachts kam ein dritter Mann hinzu. Er war vermummt wie die anderen, trug aber auffällige Schuhe - rot mit schwarzen Bändern, die Farben des Fußballclubs AC Mailand. Dieser Dritte hielt dem zitternden Spinelli ein verblichenes oder angeschmutztes DIN-A4-Blatt vor das Gesicht. Darauf stand, nach dessen Erinnerung, etwas wie "Betrifft Fall Mondadori". Dazu wurde eine Szene beschrieben, mit "Fini und den Richtern der ersten und zweiten Instanz": Fini fordere die Richter beim gemeinsamen gemütlichen Abendessen angeblich dazu auf, Berlusconi in Schwierigkeiten zu bringen.
560 Millionen und ein Intimfeind
Für Berlusconi möglicherweise ein phantastisches Dokument, das ihm in einem Rechtsstreit nützlich hätte sein können. Er wurde nämlich 2011 verurteilt, 560 Millionen Euro Schadensersatz zu zahlen, weil er vor vielen Jahren, bei der höchst umstrittenen Übernahme des Verlagshauses Mondadori, einen Richter bestochen haben soll.
Gianfranco Fini, einst Anführer der postfaschistischen Partei Alleanza Nazionale, enger Verbündeter von Berlusconi und sein Außenminister, ist heute Parlamentspräsident und Berlusconis Intimfeind.
Für Berlusconi wäre das Paket in zweifacher Hinsicht nützlich gewesen: Fini wäre ins Zwielicht geraten; der teure Prozess hätte womöglich neu aufgerollt werden müssen. Die Kidnapper machten eine entsprechende Rechnung auf: Von den dann ersparten 560 Millionen - so rechnete der Vermummte dem Buchhalter vor - wolle man von Berlusconi sechs Prozent. Das mache also, etwas aufgerundet, 35 Millionen Euro. Diese Forderung solle Spinelli seinem Chef verklickern, dann passiere ihm nichts.
Doch erst am nächsten Morgen, kurz vor acht Uhr, erwischt Spinelli Berlusconi und erzählt ihm alles. Der ist völlig überrascht und beendet das Gespräch nach wenigen Sätzen mit dem Hinweis, dass sein Rechtsanwalt Niccolò Ghedini gleich zurückrufen werde. Der Jurist ruft auch umgehend an - und nun verliert sich die Kenntnis, was genau geschah, im Nebulösen.
Fest steht: Um neun Uhr ziehen die Gangster ab, lassen Spinelli und seine Frau unversehrt zurück. Die werden von Berlusconis Leibwache abgeholt und zum Chef nach Mailand gebracht, in Sicherheit. Berlusconis Anwalt sagt, man habe kein Lösegeld gezahlt.
Die Staatsanwaltschaft geht freilich davon aus, dass doch gezahlt wurde. Das berichten italienische Online-Medien. Warum sonst hätten die Gangster so friedlich abziehen sollen? Ghedini behauptet, er habe den Behörden den Vorfall noch am gleichen Tag gemeldet. Aber erst am nächsten Nachmittag wurde der Fall offiziell zur Anzeige gebracht. Man habe erst genauer wissen wollen, was passiert sei, und das Ehepaar habe unter Schock gestanden, sagt der Anwalt. Die angeblichen Dokumente und die CD habe man nicht zu Gesicht bekommen. Die ganze Sache sei ein Bluff, die komplette Geschichte völlig unstimmig gewesen, unglaubwürdig.
Seither ermittelte die Polizei, heute wurde sie fündig. Sechs Personen wurden festgenommen, drei Italiener, drei Sizilianer. Regisseur des mysteriösen Krimis war, nach Darstellung der Fahnder, ein allseits bekannter Unterweltler: Francesco L., 51. Bekannt wurde er in den achtziger Jahren durch einen Millionenraub. Die Sache ging schief, er wurde geschnappt, bot sich als Kronzeuge in anderen Verfahren an und kam in ein Zeugenschutzprogramm. Da blieb er nicht lange, sattelte wieder um auf Raub und bekam schließlich 2001 neun Jahre und vier Monate wegen der erpresserischen Entführung eines Militärangehörigen. Für die Polizei gehört Francesco L. zum Mafia-Clan Parisi, im süditalienischen Bari.
Auf die Spur der Täter, ließ die Polizei genüsslich durchblicken, sei man auch wegen der rot-schwarzen Schuhe gekommen. Manchmal ist das allzu offene Bekenntnis zum geliebten Fußballclub offensichtlich von Nachteil. Ob es Berlusconi schaffen wird, seinen Hals erneut aus der Schlinge zu ziehen, wird man sehen.
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