Samstag, 17. November 2012

Der Unerbittliche von Sizilien


In Büchern und Filmen ist die Mafia längst zum Kulturphänomen geworden. Doch wie sieht der alltägliche Kampf gegen die Verbrecher aus? Unterwegs mit dem Chef eines mobilen Einsatzkommandos auf Sizilien.

Giuseppe Linares ist 39 Jahre alt und leitet das mobile Einsatzkommando von Trapani. Er ist einer der erfolgreichsten Polizisten Siziliens. In nur sechs Jahren nahm Linares mehr als 460 Mafiosi fest, darunter bedeutende Bosse wie Vincenzo Virga, einen Stellvertreter des vor zwei Jahren verhafteten Gottvaters Bernardo Provenzano. Linares ist so erfolgreich, dass er rund um die Uhr mit einer Leibwache lebt und auf der Straße nicht mehr gegrüßt wird. Er ist so erfolgreich, dass die Mafia ihm einen mit Scheiße gefüllten Schweinekopf zukommen lässt. Globalisierung hin, weltweite Investitionen her: Wenn es darum geht, Vorherrschaft zu demonstrieren, vertrauen die Mafiosi auf ihre immergleichen archaischen Botschaften.

Matteo Messina Denaro ist ein Boss, wie ihn die Mafia schon lange ersehnte: Endlich einer, der nicht mehr wie noch Provenzano in der Hütte eines Käsebauern hockt und darauf wartet, dass ihm seine Frau sein wöchentliches Wäschepaket zukommen lässt. Sondern einer, der sich in der Welt bewegt, als gehörte sie ihm. Einer, der das enge Moralkorsett der Mafia sprengte und auf der Flucht seinen Ruf als Frauenheld festigte – und das sizilianische Sprichwort Lügen strafte, dass befehlen besser sei als vögeln. Denaro traf sich mit Damen der besten Gesellschaft Trapanis in einem Hotel in Selinunt – und ließ dessen Besitzer kurz darauf ermorden, weil er sich von ihm nicht genügend respektiert fühlte.



»Würden Sie Messina Denaro kennenlernen, er würde Ihnen gefallen«, sagt der Fahnder Linares, »er ist großzügig, kann mühelos Konversation betreiben und die Perlfähigkeit eines Champagners beurteilen.« Wenn Linares von Denaro spricht, dann klingt seine Stimme voller Respekt. Ein Gegner, dem er auf Augenhöhe begegnen kann. Viel von dem, was man über den flüchtigen Boss weiß, ist dem Abhörsaal neben Linares’ Büro zu verdanken. Wanzen, Peilsender und Mikrokameras sind die einzigen Waffen. In Trapani gibt es keinen einzigen abtrünnigen Mafioso mehr, sondern nur noch Ehrenmänner, die ins Gefängnis gehen und ihre Strafe absitzen, ohne irgendetwas zu verraten – anders als in Palermo, wo die Cosa Nostra bereits auf minderwertiges Material zurückgreifen musste, auf Mafiosi, die, kaum verhaftet, für einen Straferlass zu infame wurden, zu Ruchlosen.

Das letzte bekannte Foto vom Boss Messina Denaro ist ein Jugendfoto, auf dem er aussieht als sei er bei einem Empfang beim Staatspräsidenten. Auf der Flucht zeugte der große Capo dei tutte le Capi Denaro eine uneheliche Tochter, die heute zehn Jahre alt ist und in Castelvetrano im Haus ihrer Großmutter lebt – zusammen mit ihrer Mutter, die, solange sie lebt, keinem anderen Mann mehr in die Augen schauen wird. »Eine Talibanin«, sagt Linares. »Eine lebendige Tote.«

Aber selbst einer Ikone wie Metteo Denaro kann die Kontrolle in ihrem Herrschaftsgebiet entgleiten. Denaro lebt vielleicht seit Jahren im Ausland. »Und was ist das Schloss von Dracula ohne Dracula?«, ruft Linares. Ein junger Mafioso muss den Boss einmal gesehen haben, sonst verflüchtigt sich sein Zauber. Einmal den Saum der Madonna küssen.

Die beste Lösung wäre natürlich, wenn sich Denaro stellen würde, sagt Linares. Dann könnte er vermeiden, dass seine Helfershelfer mit ihm verhaftet würden. Denn dieser Tag wird kommen. Bis dahin gehen Linares und seine Männer ihrem Tagesgeschäft nach. Sie nahmen den ehemaligen stellvertretenden sizilianischen Ratspräsidenten und einen linken Bürgermeisterkandidaten wegen Unterstützung der Mafia fest, verhafteten neun Architekten, Unternehmer und Stadträte wegen Mafiazugehörigkeit, Beihilfe, illegalen Waffenbesitzes, sie deckten die Verbindung zwischen Mafia und Freimaurern auf, die bis in den obersten Rechnungshof des italienischen Verwaltungsgerichts reicht. »Das Problem ist nicht Messina Denaro«, sagt Linares, »das Problem sind die Politiker. Ein Mafioso hat einen Ehrenkodex, den haben Politiker nicht.«

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