Es war im März 2011, als die Carabinieri den 16-jährigen
Riccardo Cordì in die Aula des Jugendgerichts von Reggio Calabria führten.
Cordì hatte ein Polizeiauto gestohlen und beschädigt. Der
Jugendrichter stutzte, als er den Nachnamen des Jungen las. Er hatte bereits
andere Sprösslinge aus der Familie verurteilt. Die Gesichter der Angeklagten
wechselten, die Namen blieben dieselben. Cordì ist der Name einer bekannten
‘Ndrangheta-Familie aus Kalabrien. Der Richter fragte sich: Ist es noch zu
verhindern, dass der 16-jährige Riccardo dieselbe kriminelle Laufbahn
einschlägt wie seine Brüder?
Roberto Di Bella ist seit 20 Jahren am Jugendgericht von
Reggio Calabria tätig. „Wir waren überzeugt, dass eine Erziehung zum Mafioso
genauso unterbunden werden muss, wie das Aufwachsen mit gewalttätigen, alkohol-
oder drogensüchtigen Eltern“, sagt Di Bella. Mafioso zu werden, sei meist keine
Entscheidung, sondern eine Frage des Erbes.
So wurde Riccardo Cordì der erste ‘Ndrangheta-Sohn, dessen
Familie das Sorgerecht entzogen wurde. Seine Sozialprognose ließ erwarten, dass
auch er früher oder später wegen schwerer Straftaten im Gefängnis landen würde.
Di Bella verfügte, dass er außerhalb Kalabriens in einer sozialpädagogischen
Einrichtung betreut wurde. Seit 2012 hat das Jugendgericht von Reggio Calabria
etwa 50 Minderjährige aus Mafia-Familien entfernen und von
Antimafia-Organisationen betreuen lassen. Zwölf Jugendliche haben das bis zur
Volljährigkeit dauernde Programm abgeschlossen. „Bis heute ist keiner von ihnen
wieder straffällig geworden“, sagt Enrico Interdonato.
Der Aktivist der Antimafia-Organisation „Addiopizzo“
kümmerte sich zwei Jahre lang um Riccardo. „Ich habe versucht, an seine wahre
Identität heranzukommen“, sagt Interdonato. Er begleitete ihn zur Schule,
vermittelte ein Praktikum und zeigte ihm ein Leben ohne die ‘Ndrangheta. Mit 18
Jahren kehrte Cordì nach Hause zurück. Er ist heute 20 Jahre alt und hat einen
Job.
Auch seine Mutter ließ sich von den Antimafia-Aktivisten beraten. Es sind
die Mütter, die aus Sorge um ihre Kinder den Kontakt zum Jugendgericht suchen –
einige ganz offen, andere heimlich. „Das ist vielleicht unser größter Erfolg“,
sagt Di Bella. Schon etwa ein Dutzend Frauen hätten gebeten, ihre Söhne aus den
Familien zu entfernen.
Auch andere Jugendgerichte in Italien haben Di Bellas Ideen
aufgenommen. Im Justizministerium in Rom heißt es, das Programm werde geprüft.
Und doch gibt es noch keine Gewissheit darüber, wie effektiv der
Sorgerechtsentzug ist. Riccardo Cordì ist nicht wieder straffällig geworden.
Weil er aber 2015 bei einem Fußballmatch Feuerwerkskörper warf und Polizisten
beleidigte, bekam er ein zweijähriges Stadionverbot. Er muss sich regelmäßig
bei der Polizei melden. Dass er den Absprung geschafft hat, kann heute niemand
mit Gewissheit sagen.
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