Freitag, 31. Mai 2013

Großprozess in Palermo: Staat und Mafia auf der Anklagebank

Die Anklage lautet auf Verschwörung gegen den Staat: Bei einem Großprozess in Palermo geht es um angebliche Deals von Politikern und Carabinieri-Offizieren mit Mafia-Gangsterbossen in den neunziger Jahren. Auch Silvio Berlusconi hatte demnach einen Mittelsmann zur Cosa Nostra.



Bernardo Provenzano führte die Mafia mehr als ein Jahrzehnt lang. Mit ihm endete die blutige Anschlagsserie vom Anfang der neunziger Jahre. Er erhält ein gesondertes Verfahren.


Kann man das glauben? Wichtige Politiker, Minister, verhandeln mit Anführern der sizilianischen Cosa Nostra. Sie versprechen Hafterleichterungen, teilweise sogar Freilassung für deren einsitzende Mitglieder, wenn die Mafia im Gegenzug aufhört, Staatsdiener zu ermorden. Und mehr noch: Führungspersonal der Sicherheitsbehörden torpediert - auf höhere Weisung - Festnahmen von Top-Gangstern.





 
Unter anderem steht auch Senator Marcello Dell'Utri vor Gericht, ein langjähriger Weggefährte von Silvio Berlusconi. Den Angeklagten wird zumeist "Gewalt oder Bedrohung eines politischen Staatsorgans" vorgeworfen.



Genauso war es, glaubt die Staatsanwaltschaft in Palermo nach vierjährigen Ermittlungen. Darum stehen nun zwei Politiker - Senator Marcello Dell'Utri und der frühere Innenminister Nicola Mancino - vor Gericht. Ein dritter, der Ex-Minister für die Entwicklung Süditaliens, Calogero Mannino, hat ein eigenes, abgetrenntes Verfahren vor sich. Weitere Angeklagte sind drei hochdekorierte Carabinieri und fünf Mafiosi.



Ein gesondertes Verfahren ist auch dem Ex-Minister Calogero Mannino zugestanden worden.

Aber sie sind nur Stellvertreter: Denn tatsächlich sitzt der italienische Staat neben der absolut nicht "ehrenwerten Gesellschaft", wie sich die Gangsterbande selber nennt, auf der Anklagebank.
Der erste Verhandlungstag am Montag war nach kurzem Streit um Formalien schnell vorbei, an diesem Freitag geht es richtig los im Hochsicherheitsbetonbunker mitten in Siziliens Hauptstadt.


Mario Mori - höchster Carabinieri-General
Wenn er auspackt, fällt Italien - so sagt man...

Italiens Politik-Elite ist aufs Höchste beängstigt. Die Sache ist zwar 20 Jahre her, aber bis heute im Dunkeln geblieben und womöglich nicht einmal vorbei. Wenn der angeklagte ehemalige Carabinieri-General Mario Mori redet, so flüstert man in politischen Kreisen Roms, "dann fällt halb Italien". Denn aus eigenem Antrieb haben die damals obersten Anti-Mafia-Jäger wohl kaum auf "Gnade vor Recht" umgeschaltet. Wenn es denn so war.


Telefonmitschnitte amtlich gelöscht

Eine Verfassungskrise hat das Verfahren schon vorab ausgelöst. Als Fahnder bei ihren Ermittlungen die Telefongespräche von Ex-Innenminister Nicola Mancini mitschnitten, nahmen sie auch Unterhaltungen Mancinis mit Präsident Giorgio Napolitano auf. Der reagierte empört: Der Staatschef als Verfassungsorgan dürfe von der Justiz nicht ausgeforscht werden. Er drohte mit Klage, die Justiz knickte ein.

Ob es in den Telefonaten um den Prozess ging, weiß man deshalb nicht und wird es wohl kaum erfahren. Die Bänder wurden, zumindest offiziell, nie abgehört, nicht abgeschrieben und im April amtlich gelöscht.


 
Die Staatsanwaltschaft wollte in dem Verfahren auch die Aufzeichnung eines Telefonats des heutigen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano auswerten lassen. Dies wurde nach einer Beschwerde des Präsidialamts jedoch vom Gericht mit der Begründung abgelehnt, die Telefonüberwachung des Staatschefs sei unzulässig.


Die heikle Geschichte in Sizilien beginnt - weltpolitisch gesehen - mit dem Fall der Berliner Mauer und der Implosion des sowjetischen Weltreichs. Bis dahin war die Welt geteilt, und der Westen passte höllisch auf, dass in seinem Gebiet nicht plötzlich Kommunisten an die Macht gewählt wurden. In Italien machten sich die katholische Kirche und die Mafia dabei verdient. Und so durften beide eine Art Staat im Staate führen.

Als die Kommunistenfurcht schwand, wollte die Regierung in Rom die Mafia an die Leine legen. Das erboste die Sizilianer und zur Demonstration ihrer Unzufriedenheit töteten sie im März 1992, ihren Verbindungsmann zu den Christdemokraten in Rom, Salvatore Lima. Der war Bürgermeister von Palermo und Europaabgeordneter, redete nicht viel, machte kaum Wahlkampf und wurde trotzdem immer gewählt. Bis dahin, jedenfalls.

Zwei Monate später zerfetzte eine Mafia-Bombe den Anti-Mafia-Staatsanwalt Giovanni Falcone samt Ehefrau und drei Leibwächtern. Eine halbe Tonne Sprengstoff verwandelte die Autobahn bei Capaci, nahe Palermo, in eine Kraterlandschaft. Das martialische, schreckliche Bild der Verwüstung war geplant.




Mafia-Attentat im Juli 1992. Damals traf eine Autobombe den Staatsanwalt Paolo Borsellino samt fünf Bodyguards.


Warum endete der Terror plötzlich, warum der neue Kurs?

"Wir sind im Krieg", wollte Mafia-Chef Salvatore "Toto" Riina klar machen. Dazu schrieb er einen Forderungskatalog: Wenn ihr wollt, dass das Morden aufhört, wollen wir bessere Haftbedingungen - keine Einzelzelle mit Kontaktsperre für Mafia-Führungspersonal mehr - und weniger polizeiliche Fahndung.

Die Verhandlungen begannen, sagt die Staatsanwaltschaft. Und das sagt auch der wichtigste Zeuge und Mitangeklagte im jetzigen Prozess, Massimo Ciancimino. Er habe bei seinem Vater - einst auch einer der Palermo-Bürgermeister mit gutem Verhältnis zur Cosa Nostra - die staatlichen Unterhändler aus Rom selbst gesehen, behauptet er.



Als Zeuge soll auch der frühere nationale Anti-Mafia-Staatsanwalt Pietro Grasso, heute Präsident des Senats in Rom, gehört werden.


Zur Bekräftigung ihrer Verhandlungsposition mordete die Mafia weiter. Im Juli 1992 traf eine Autobombe Falcones Freund und Staatsanwaltskollegen Paolo Borsellino samt fünf Bodyguards. Weitere Bomben rissen in Rom, Bologna und Florenz insgesamt zehn Menschen in den Tod.
Und dann, im Mai 1993, endete der Terror plötzlich. Auf beiden Seiten, bei der Mafia wie beim Staat, geschahen nun seltsame Dinge. Die Mafia sortierte ihren Boss Toto Riina aus, lieferte ihn praktisch ans Messer und der neue Chef, Bernardo Provenzano übernahm das Ruder mit neuem Kurs: Geld verdienen, ohne zu morden - oder zumindest so wenig wie nötig.



Berlusconis "Verbindungsmann"

Die Sicherheitsbehörden ihrerseits hätten den seit Jahrzehnten offiziell "flüchtigen" Provenzano mehrfach fangen können, Mafia-Fahnder entdeckten seine Verstecke. Doch zum Zugriff kam es erst zwanzig Jahre später und just zu dem Zeitpunkt, als Berlusconi abgewählt worden war.

Ungefähr zur gleichen Zeit, in der die Staatsanwaltschaft die Schlussphase der Geheimgespräche zwischen Staat und Mafia ansiedelt, beschloss ein politischer Neuling, sich fortan den Staatsgeschäften zu widmen: Silvio Berlusconi. Im Winter 1993 gründete er - mit starker Präsenz der Angestellten seiner Firmen - die politische Bewegung Forza Italia. Er kandidiere, um "die kommunistische Gefahr" abzuwenden, verkündete er über seine Fernsehstationen, und er gewann auf Anhieb die Parlamentswahlen 1994.

Sein langjähriger Weggefährte, Partei- und Wahlkampfmanager, der Sizilianer Marcello dell'Utri, steht jetzt ebenfalls in Palermo vor Gericht. Er war, vermutet jedenfalls die Staatsanwaltschaft, "der Verbindungsmann zwischen Berlusconi und den Mafia-Bossen".

Aber wie das alles wirklich war und ob es überhaupt stattgefunden hat, soll ja jetzt das Gericht klären. Bis zu dessen Urteil bleibt alles hypothetisch.

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