Freitag, 24. Januar 2014

Wer keine Polizisten ermordet, ist ein Feigling!

Droht Italien ein neuer Mafia-Krieg? Italien ist schockiert über die Drohungen, die der 83-jährige Boss Toto Riina vom Gefängnis aus ausgestoßen hat. Er ruft offen den Nachwuchs zum Morden auf.


In Italien steht der Mafia-Pate Salvatore "Toto" Riina, auch genannt der
"Boss der Bosse", vor Gericht. Es ist nicht der erste Prozess,
bei dem er in einem Käfig auf der Anklagebank sitzen muss.


Ein riesiges Plakat hängt im Justizpalast von Palermo, darauf 50 Porträts von Menschen, meist fröhlich lächelnd. Aber das Manifest ist kein Werbeplakat, sondern ein Mahnmal. Alle 50 waren Richter, Polizisten, Politiker, Journalisten, die ihr Leben hier in Palermo dem Kampf gegen die Mafia geopfert haben. Darunter auch der schnauzbärtige Giovanni Falcone und sein Kollege Paolo Borsellino, beide 1992 ermordet durch Bombenattentate, gemeinsam mit ihren Bodyguards und Falcones Ehefrau.

Auch Staatsanwalt Antonino Di Matteo, 52, geht regelmäßig daran vorbei, wenn er, umringt von seinen schwer bewaffneten Personenschützern, durch das riesige Foyer eilt. Di Matteo ist auf die Fahndung von Mafia-Verbrechern spezialisiert. Zurzeit ist er Ankläger in einem besonders brisanten Prozess: Es geht um die "Trattativa", die Verhandlung, womit ein Pakt zwischen Staat und Mafia bezeichnet wird. Dafür hat er sich den Hass vieler zugezogen, von Politikern und Polizisten, vor allem aber den des Paten Toto Riina.


Staatsanwalt Di Matteo (links) und Generalstaatsanwalt Scarpinato (Mitte)


"Man müsste ihn ermorden, eine regelrechte Hinrichtung daraus machen ... wir müssen ein richtig großes Ding organisieren", hat Riina einem Mithäftling anvertraut und hinzugefügt: "Ich würde ihn umbringen wie einen Thunfisch!" Das hat Symbolkraft: Der traditionelle Thunfischfang in Sizilien, der "Mattanza" (zu Deutsch: das Abschlachten), ist bekannt für die Brutalität, mit der die Fische eingekreist, erdolcht und getötet werden. "Wäre ich noch draußen, hätte ich die Schlachterei fortgesetzt!", so der 83-Jährige.


Nachwuchs zum Mord aufgerufen

Für genau diese "Schlachterei" ist Riina nicht mehr draußen, in seiner sizilianischen Heimat, sondern seit 21 Jahren hinter Gittern, 1600 Kilometer nördlich von Palermo, in Mailand. Er ist verurteilt wegen vielfachen Mordes und die meisten der großen Mafia-Attentate der vergangenen 30 Jahre, auch die Bombenanschläge von 1992. Dafür wird Riina bis ans Lebensende im Hochsicherheitstrakt der Haftanstalt "Opera" bleiben müssen.

Trotzdem haben seine brutalen Worte Italien schockiert. Schon im Dezember waren erste Drohungen bekannt geworden, und Innenminister Angelino Alfano ließ umgehend die Sicherheitsmaßnahmen für alle Mafia-Fahnder in Sizilien aufstocken. Aber nun wurde schlagartig klar, dass die Macht Riinas ungebrochen ist.

Das geht aus den Auszügen der Videomitschnitte hervor, die als Beweismaterial zu den Prozessakten im Verfahren um den "Pakt Mafia-Staat" gehören und die jetzt von italienischen Medien veröffentlicht wurden. Darin berichtet Riina seinem Mithäftling, dem apulischen Mafia-Boss Alberto Lorusso, beim Freigang in einem abgeschirmten Innenhof der Haftanstalt allerhand Grausames, auch, dass das Morden ihm früher Spaß gemacht habe.



Alberto Lorusso - Mafia-Boss und Vertrauter Riinas

Es entfährt ihm sogar ein unfreiwilliges Eingeständnis der Verbrechen, für die er später verurteilt wurde. Wer keine Mafia-Fahnder ermorde, sei ein "Feigling". Und er stellt klar: "Ich habe meine Pflicht getan. Jetzt macht ihr weiter und amüsiert euch" – das dürfte eine Aufforderung an den Nachwuchs der "Familie" auf Sizilien sein. Mithäftling Lorusso sichert daraufhin umgehend die logistische Unterstützung zu: "Wir haben ein Arsenal."


Domenico Lorusso - Mithäftling von Riina
"Wir haben
genügend Waffen und Killer im Arsenal, um eine Menge Staatsanwälte zu liquidieren..."



Risiko ist einkalkuliert

Hat Staatsanwalt Di Matteo Angst vor solchen Drohungen? Am Telefon ist seine Stimme leise, manchmal macht er Pausen, sagt dann aber bestimmt: "Wer meinen Beruf macht, muss dieses Risiko einkalkulieren. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit." Di Matteo hat sich an das Panzerglas, hinter dem er seit 20 Jahren lebt, längst gewöhnt. Er hat ständig neun persönliche, schwer bewaffnete Bodyguards um sich.

Weitere 30 Polizisten sichern sein Wohnhaus und die Straßen, wenn er mit seiner Autokolonne aus gepanzerten Wagen und Sirenengeheul durch die Stadt fährt. Lange Strecken legt er nur im Hubschrauber zurück. Erst als man ihm ein gepanzertes Militärfahrzeug verordnen wollte, lehnte der Staatsanwalt ab. Morddrohungen gehören eben zum Alltag von Mafia-Fahndern.

Trotzdem ist dieses Mal alles anders. "Was Riina sagt, ist ein Mandat, keine Drohung", schreibt der Journalist Marco Travaglio. Auch Di Matteo weiß das, er gesteht im Gespräch mit der "Welt" ein: "Ich habe so etwas nie erlebt: Es ist das erste Mal, dass mithilfe von Wanzen eine Todesbotschaft aufgezeichnet wird, ausgesprochen von dem Mann, der der Hauptverantwortliche der wichtigsten Mafia-Attentate der letzten Jahrzehnte ist. Es ist das erste Mal, dass er ausdrücklich von einem Mordprojekt spricht."


Deal mit Hafterleichterung

Auslöser dürfte der Prozess um die Trattativa sein, der seit einem halben Jahr läuft. Es soll bewiesen werden, dass Staatsvertreter in den 90er-Jahren mit der Cosa Nostra verhandelten. Damals tobte ein regelrechter Krieg zwischen Mafia und Regierung. Jedes Jahr starben etliche Polizisten, Richter, Politiker. Um das Morden zu beenden, sollen hochrangige Staatsdiener Hafterleichterungen im Tausch gegen einen Waffenstillstand ausgehandelt haben. Tatsächlich hörte das Töten nach dem Tod der Richter Falcone und Borsellino 1992 auf.

Ein Dutzend Politiker, Polizisten und Verbrecher stehen gemeinsam vor Gericht, die Anklageschrift ist neun Seiten lang, dazu kommen 120 Aktenordner und 178 Zeugen. Am 30. Januar ist der nächste Verhandlungstermin. Dann wird auch Riina wieder im Gerichtssaal sein, wie an jedem Tag und – wie üblich für Mafiosi dieses Kalibers – in einem Gitterkäfig.


Nachdem Ankläger Di Matteo ankündigte, ihn mit wichtigen Beweisen konfrontieren zu wollen, geriet Riina angeblich einem Mitgefangenen gegenüber außer sich: "Wenn der vor mir steht und mich mit seinen Blicken fixiert, könnte ich durchdrehen. Er wird dafür büßen!"
.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen