Donnerstag, 6. Dezember 2012

Alleingelassen mit der Mafia




Sprengstoffanschläge, Brandsätze, Todesdrohungen: Seit der sizilianische Bauunternehmer Ignazio Cutrò Anzeige gegen Mafiosi erstattete, fürchtet er um sein Leben. Sein Dorf wandte sich geschlossen von ihm ab. Rund um die Uhr wird er von Carabinieri bewacht - doch die machen fatale Fehler.

Ignazio Cutrò


Ignazio Cutrò hat einen Traum: "Ich möchte morgens aus dem Haus gehen, auf der Straße mit dem Nachbarn plaudern und in der Bar einen Espresso trinken." Doch in seinem sizilianischen Heimatdorf Bivona spucken die Leute auf dem Corso vor ihm aus. Wenn er einen Kaffee bestellt, verlassen sie den Raum. Die Einzigen, die in solchen Momenten an seiner Seite bleiben, sind vom Staat bestellte Leibwächter. Doch auch die sind manchmal plötzlich weg.

Cutrò ist ein bulliger, fröhlicher Mann, der Witze über seinen Bauch macht und mitreißend erzählen kann. Dabei hat er wenig Grund zum Lachen. Seit vielen Jahren ist der 45-jährige Bauunternehmer Kronzeuge der italienischen Justiz. Ein beharrlicher Kämpfer gegen die Cosa Nostra und deren tief verwurzelten Herrschaftsanspruch, den vermessenen Glauben, dass das Volk der Mafia etwas schulde: Respekt, Loyalität und - wie im Fall von Ignazio - Schutzgeld.


"Die Mafia ist wie ein unsichtbarer Nebel, den man einatmet, der den Verstand einlullt. Die Leute verstecken sich und hoffen, dass er vorbeizieht, dass irgendjemand ihn vertreibt. Aber nur die wenigsten tun etwas dagegen." Cutrò tat, was er für richtig hielt; er verweigerte die Zahlung des "Pizzo". Die Folge: Knapp 30-mal überfielen Mafiosi in den vergangenen 13 Jahren seinen Besitz, zerstörten Baustellen, legten Feuer oder Sprengsätze, ließen ihm immer wieder Todesdrohungen zukommen.

Weil Ignazio sein Geschäft mit Herzblut führt, packte er anfangs einen Rucksack voll mit Steinen und bewaffnete sich mit einer Eisenstange. Dann kampierte er nachts vor den Baustellen, um sein Eigentum zu verteidigen, warf in seiner Verzweiflung mit Kieseln nach streunenden Hunden, die er im Halbschlaf für Attentäter hielt. "Ich war unfassbar naiv", sagt er heute. Am 10. Oktober 1999 erstattete der Unternehmer zum ersten Mal Anzeige gegen Unbekannt. Er wusste, was er tat, aber nicht, was ihn wirklich erwartete.

Cutròs Informationen und seine Anzeigen halfen den Ermittlern der Anti-Mafia-Operation "Face off". Mehrere Mitglieder der örtlichen Mafia-Familie Panepinto konnten festgenommen und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Weil sie geständig waren, erließ man ihnen allerdings einen Teil der Strafe.

Neben Cutrò wurden 16 weitere Unternehmer zur Schutzgelderpressung befragt. "Sie wurden genauso unter Druck gesetzt wie ich - aber vor Gericht haben es alle verneint", sagt er. Immerhin seien die Zeugen später wegen Falschaussage belangt worden. Der verantwortliche Cosa-Nostra-Boss der Provinz Agrigento, Maurizio di Gati, saß da schon in Haft.

Der 45-Jährige hält an das, was sein Vater ihn einst lehrte: "Du musst mit geradem Rücken und hoch erhobenen Hauptes durchs Leben gehen - auf dem Boden kriechen nur die Würmer." Zwar versicherten ihm seine Bewacher mit schöner Regelmäßigkeit, dass er in wenigen Jahren außer Gefahr sein werde. Cutrò aber weiß: "Irgendwann wird die Wache abgezogen, dann bin ich dran. Die Mafia vergisst nie."

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