Montag, 3. Dezember 2012

'Ndrangheta-Bosse verteilen Deutschland



Nach dem Schlag der italienischen Polizei geben die Ermittlungsunterlagen auch Aufschluss über die 'Ndrangheta-Aktivitäten in Deutschland. Im Zentrum: ein Clan-Boss in der süddeutschen Provinz.

Bruno N. ist außer sich. Sieben Jahre lang hat er den Ableger der 'Ndrangheta aufgebaut, seit sieben Jahren steht er der Crimine, der Leitung in Kalabrien, Rede und Antwort. Und jetzt kommt einfach 'Ntoni, der Schweizer, daher und will sich Brunos Gebiet am Bodensee unter den Nagel reißen. Bruno N. hat den Telefonhörer in der Hand. Zornig pocht er auf seine Leistungen. "Ich werde ihnen Krieg und Feuer bringen, sobald ich dorthin fahre", giftet er im Gespräch mit einem anderen Italiener. Dann legt er auf. "Nein, ihr bleibt sauber an eurem Platz", weist ihn noch am selben Abend, in einem anderen Gespräch, Domenico Oppedisano an. Was der alte Herr sagt, ist Gesetz. Denn Oppedisano, 80 Jahre alt und wohnhaft im süditalienischen Rosarno, ist die Nummer eins der 'Ndrangheta, der kalabrischen Mafia.

Bildmitte: Domenico Oppedisano

Wären diese Gespräche innerhalb der Stadtgrenzen von Rosarno geführt worden, niemand würde sich sonderlich darum kümmern. Doch diese Telefonate erfolgten zwischen der kalabrischen Stadt Rosarno und dem baden-württembergischen Singen unweit des Bodensees, wo der 59-jährige Bruno N. in einem Mehrfamilienhaus nahe eines Industriegebietes wohnt. Und die beiden Männer telefonierten auch nicht alleine, sondern die deutsche Polizei hörte mit.

Ein drohender Mafiakrieg

Es sind zwei von Dutzenden weiteren Gesprächen zwischen Deutschland und Italien. Sie finden sich in den Akten zu einer der größten Polizeiaktionen im Kampf gegen die Mafia, die Italien in den vergangenen Jahren erlebt hat: 3000 Beamte haben am Dienstagmorgen im ganzen Land Gebäude durchsucht und über 300 Mafiosi festgenommen. Doch auch die deutschen Behörden sind elektrisiert. Denn in italienischen Ermittlungsunterlagen, fällt immer wieder der Name Bruno N., der Name des Chefs der Singener 'Ndrangheta-Gruppe. Seine abgehörten Telefonate zeigen, dass Deutschland Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen innerhalb der Mafia zu werden droht. Sie zeigen auch, dass die 'Ndrangheta in Deutschland extrem viele Mitglieder hat.

Fünf Stützpunkte allein in der Nähe Singens

Delikte mit einem eindeutig mafiösen Hintergrund werden in Deutschland häufig anderen Kategorien zugeordnet - wie etwa Drogenhandel und Prostitution. Und noch in den vergangenen Wochen bekamen Journalisten vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg die Auskunft, dass nicht die italienische, sondern die osteuropäische Mafia in Baden-Württemberg weiterhin dominiere. Dabei offenbarte die Abhöraktion der eigenen Leute den Experten des LKA einen wertvollen Einblick in das Innenleben der 'Ndrangheta: Dank den belauschten Gesprächen ist jetzt klar, dass die kalabrische Mafia allein in der eng begrenzten Gegend um Singen mehrere Stützpunkte unterhält. Die italienischen Ermittlungsakten nennen neben Singen vier weitere Standorte, selbst in einem Ort mit gerade mal zehntausend Einwohnern ist die Organisation vertreten.



aufgenommen in einer Singener Bar....


Und was fast noch schwerer wiegt: der Bodensee-Clan ist nicht irgendein Ableger. Bruno N., der Kopf der Gruppe in Singen, musste nur beim obersten Boss der 'Ndrangheta in Italien anrufen - und bekam einen Termin. Mehrmals haben ihn die italienischen Observierer auf dem Grundstück des 'Ndrangheta-Chefs Oppedisano in Rosarno gesichtet. Bei den Razzien am Dienstagmorgen wurden nach italienischen Medienberichten nun beide festgenommen, N. wie Oppedisano. Die anderen Mitglieder der Singener Gruppe sind freilich weiterhin in Freiheit.

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