Montag, 30. Dezember 2013

Die Camorra verseucht die Toskana mit Giftmüll

Es platzte wie eine Bombe in den vorweihnachtlichen Frieden der toskanischen Kleinstadt Prato: Italiens oberster Mafiafahnder, Staatsanwalt Franco Roberti, erklärte kurz vor den Festtagen, dass die Mafia Giftmüll hier bei Prato in der Toskana verscharre. "Die Ermittler haben eine Deponie bei Prato entdeckt", die Gebiete im Süden Italiens rund um Neapel seien "gesättigt", die Mafia weiche daher in andere Gegenden Italiens aus. Blei, Arsen, Dioxin als stille Zeitbombe nun auch unter malerischen Hügeln rund um Florenz?






"Das ist unmöglich", antwortet ein Lokalreporter am Telefon, beinahe empört, auf die Frage. Auch Lokalpolitiker protestierten, der Bürgermeister von Prato, Roberto Cenni, sagte: "Wir wissen nichts von einer solchen Deponie auf unserem Stadtgebiet." Und der Parlamentarier der Demokratischen Partei, Matteo Bifoni, sah sich genötigt, die Ehre seiner Heimatstadt Prato per Twitter zu verteidigen: "Herr Staatsanwalt, überlegen Sie genau, bevor Sie so etwas sagen!"

Aber Franco Roberti dürfte wissen, wovon er spricht. Seit Juli 2013 ist er Chef der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft in Rom, wo alle Ermittlungen zu Mafiaverbrechen auf nationaler und internationaler Ebene koordiniert werden. Und Roberti stammt aus Neapel, Heimat der Camorra, und hat dort als Staatsanwalt alle wichtigen Ermittlungen gegen diese Mafiaorganisation geführt. Schon im November hatte Roberti erklärt: "Nachdem die neapolitanische Camorra 20 Jahre lang Giftmüll aus dem Norden im Süden entsorgt hat, bringt sie nun Müll aus dem Süden in den Norden, in primis in die Toskana, aber auch nach Rumänien und nach China."


Illegale Verschiffung von Sondermüll

Aktuelle Hinweise für Kontakte toskanischer Unternehmen zur Camorra lieferte eine Untersuchung, die Kollegen in Florenz im Juli 2013 abgeschlossen hatten: Zwei Unternehmer aus Prato wurden verhaftet, gegen 60 weitere Personen wird ermittelt, weil sie gemeinsame Sache mit einem Camorra-Clan aus Kampanien gemacht hatten – es ging um die illegale Verschiffung von Sondermüll aus der Textilindustrie nach China und Nordafrika.

Die Stadt Prato liegt nördlich von Florenz, ist seit über 100 Jahren Italiens wichtigster Standort für Textilproduktion. Seit vielen Jahren haben sich in Prato auch chinesische Einwanderer angesiedelt, vermutlich sind es 35.000 – Prato hat 190.000 Einwohner. Viele Chinesen betreiben illegal Textilfabriken, wo Menschen in Kellerräumen auf engstem Raum leben und arbeiten, oft mehr als 16 Stunden am Tag. "Gute Verbindungen der Camorra mit chinesischen Kriminellen machen die Gegend um Prato zu einer logischen Wahl auf der Suche nach neuen Deponien", sagte Mafiafahnder Roberti jetzt.

Ähnliche Verbindungen zwischen Camorra und chinesischen Banden waren in Neapel schon 2005 während der Operation "Marco Polo" aufgeflogen: Im letzten Moment wurde Giftmüllfracht aus dem neapolitanischen Hafen nach China gestoppt – den Transport hatte die Camorra mit chinesischen Kriminellen organisiert.

Auch im Hinterland von Neapel sind – wie in Prato – viele chinesische Unternehmen angesiedelt, die hier vor allem gefälschte Waren, auch viele italienische Luxusmarken, produzieren.


Tumore befallen die Bevölkerung

Jeder kennt die Bilder von riesigen Müllbergen in Neapel. Aber das eigentliche Business der Camorra ist der illegale Transport von Giftmüll, der in Flüssen und Feldern im Hinterland von Neapel verklappt wird. Viele Deponien werden regelmäßig in Brand gesetzt, damit Spuren verschwinden – beißende Rauchschwaden wabern durch die Luft, Gift sickert ins Grundwasser, Äcker und Tiere sind verseucht. Tumore befallen die Bevölkerung wie anderswo der Grippevirus. Die Gegend ist in Italien als "terra dei fuochi", Feuerland, bekannt. Und Ortsnamen wie Castel Volturno, Casal del Principe oder Caserta stehen in Italien für solche Horrorszenarien, die im Roman "Gomorrha" und dem gleichnamigen Film des jungen Journalisten Roberto Saviano weltweit bekannt wurden.

Mit dem Giftmüllbusiness setzt die Camorra jährlich etwa vier Milliarden Euro um. Die gefährlichen Abfälle stammen aus der Industrie vor allem in Norditalien. Entsorgt werden auch radioaktive und andere toxische Materialien aus Krankenhäusern. Für viele Fabrikanten ist die Camorra die Low-Cost-Alternative zur etwa fünffach teureren legalen Entsorgung giftiger Produktionsrückstände: Nachts kommen die Lastzüge der Camorra, Papiere werden gefälscht, und der lästige Müll verschwindet spurlos.

Zunehmende Proteste der lokalen Bevölkerung sowie Alarm von Ärzten und Pfarrern der Gegend hatten aber in den vergangenen Jahren für einen Medienwirbel gesorgt, der für die Camorra lästig geworden war. Eine weitere Behinderung im Geschäft mit dem Giftmüll ist auch eine von der Regierung neu eingeführte Satellitenüberwachung, mit deren Hilfe der Transportweg gefährlicher Abfälle überwacht werden kann. Immer häufiger wird giftiger Müll daher vor Ort beseitigt.

Erst im Dezember entdeckte die Umweltbehörde der Lombardei alarmierend hohe Chromrückstände aus Industriemüll: Sie waren in einer Baustelle verscharrt worden – als Untergrund für die Autobahn von Mailand nach Brescia.


Sogar radioaktive Abfälle verscharrt

Für riesigen Wirbel sorgten jetzt Aussagen des Camorra-Kronzeugen Carmine Schiavone: "Hier werden alle an Krebs sterben", sagte er kürzlich in einem TV-Interview. Aus früheren Erklärungen ging hervor, dass der Giftmüll nicht nur aus Italien, sondern aus ganz Europa, auch aus Deutschland, stamme, dass sogar radioaktive Abfälle verscharrt worden waren. Carmine ist Cousin des einstigen Clanchefs Francesco "Sandokan" Schiavone, der das Giftmüllbusiness in den 90er-Jahren von seiner Heimatstadt Casal del Principe aus gründete.

Ein Skandal waren die Aussagen aber vor allem, weil Schiavone sie schon 1997 vor einer parlamentarischen Untersuchungskommission gemacht hatte – sie wurden aber erst jetzt veröffentlicht.

Schon damals sprach Schiavone von einer Spur, die in die Toskana führte. Es habe viele "Gifttransporte aus der Stadt Arezzo gegeben". Dorthin habe es besonders gute Verbindungen gegeben, "auch über die Geheimlogen". Der Chef von Italiens größter illegaler Geheimloge P2, Licio Gelli, der für seine Kontakte und kriminellen Machenschaften im Geflecht mit Mafia, Industrie und Finanzwelt schon in den 90er-Jahren verurteilt worden war, lebt noch heute in Arezzo. Bei Gelli, lange als harmloser Matratzenhersteller getarnt, liefen die Fäden für das Giftmüllgeschäft wohl lange zusammen. Nach Aussagen des neapolitanischen Staatsanwalts Agostino Cordova "haben sich Unternehmer und Mafiabosse in seiner Villa getroffen … Gelli war der Verbindungsmann für jede Art von Giftmüll, der nach Kampanien ging."

Nur eine knappe Woche nach Cheffahnder Robertis Alarm ist das Thema aus der lokalen Presse der Toskana wieder verschwunden. Nur einer schert aus: Salvatore Calleri, Präsident der nationalen Anti-Mafia-Stiftung Antonino Caponetto in Florenz: "Leider ist das Thema in der Toskana noch ein Tabu. Dabei sind auch kleine Skandale immer ein Anzeichen dafür, dass neue kriminelle Organisationen in einer Gegend bereits aktiv sind. Niemand hat vor zehn Jahren geglaubt, dass die Mafia im Norden Italiens aktiv werden würde. Heute sitzt sie in Unternehmen, Gemeindeverwaltungen wurden aufgelöst, Politiker, Unternehmer und Bürger bedroht."


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