Sonntag, 8. Dezember 2013

Millionenbetrug: Die Enkeltrick-Mafia

Sie agieren wie Paten und leben im Luxus: die Bosse der sogenannten Enkeltrick-Mafia. Ihre Betrugsdelikte an älteren Menschen richten jährlich einen Millionenschaden an. Reportern von SPIEGEL TV ist es gelungen, den Drahtziehern auf die Spur zu kommen.




Es sind Szenen wie aus einem Mafia-Film. Dickbäuchige Herren im Anzug und mit dunklen Sonnenbrillen küssen einander zur Begrüßung, es gibt Kaviar und Austern satt, Champagner edelster Marken fließt in rauen Mengen. Ein junges Brautpaar entsteigt unter dem Jubel der Anwesenden einem schwarzen Lamborghini, das extra engagierte Kamerateam dreht aus einem Helikopter. Die Hochzeitsfeier der ehrenwerten Gesellschaft im Festsaal des Luxushotels "Venecia Palace" bei Warschau im letzten Jahr zeigt, dass es die Roma-Clans auch gerne mal krachen lassen. Woher der Reichtum der illustren Runde zu großen Teilen kommt, ist für Ermittler klar: aus den Ersparnissen betrogener deutscher Rentner. Denn die Gäste werden einer ganz speziellen Art Organisierter Kriminalität zugerechnet, der sogenannten Enkeltrick-Mafia.

Fahnder Andreas Gerdon packt bei dem zur Schau gestellten Protz im Video die Wut. "Da weiß man manchmal wirklich nicht mehr, was man sagen soll!", zischt der Polizist. Mit seinen Kollegen von der Ermittlungsgruppe "Cash Down" in Karlsruhe versucht Gerdon seit Jahren den Enkeltrickbetrügern das Handwerk zu legen. Mit mäßigem Erfolg, was aber nicht an Gerdon liegt.

Die europaweit agierenden Tätergruppen, mit denen es die Fahnder zu tun haben, bringen mit ausgefeilten Betrugstechniken Senioren um ihr Erspartes. Wenn Gerdon Orientierung braucht, schaut er auf die Wand in seinem Büro der Landespolizeidirektion in Karlsruhe. Vor ihm erstreckt sich das Herzstück seiner Arbeit, ein mehrere Quadratmeter großes Netzwerk von Roma-Clans mit Hunderten Mitgliedern, alle irgendwie miteinander verwandt oder verschwägert. "Es fällt tatsächlich schwer, den Überblick zu behalten. Oft reicht es aber aus, dass wir die internen Spitznamen kennen. Die Clans bilden eine abgeschottete Parallelwelt mit eigenen Regeln, straff organisiert."

geschmacklose Prachtvillen der Roma-Mafia



Redegewandte Betrüger gehen ganze Telefonbücher durch

Die lukrativste Einkommensquelle der Täter ist der Enkeltrick - eine Masche, die trotz intensiver Bemühungen der Behörden in den letzten Jahren weiterhin funktioniert. Redegewandte Betrüger mit Wohnsitz in Polen rufen täglich Hunderte Telefonnummern in vorab ausgewählten Städten und Regionen an. Hauptzielgebiet ist Deutschland. Dabei gehen die Profi-Anrufer, im Roma-Jargon "Keiler" genannt, ganze Telefonbücher durch auf der Suche nach alt klingenden Vornamen. Dann wir wird telefoniert, den ganzen Tag, immer mit dem gleichen Einstieg: "Hallo Gerda, rate mal wer da dran ist?". Viele Senioren, wie die Holocaust-Überlebende Gerda W. aus Berlin, gehen den Betrügern auf den Leim und glauben am anderen Ende der Leitung Verwandtschaft oder Bekannte zu erkennen. Beißt ein Opfer an, kommen die Täter schnell zur Sache. Sie wollen Geld für ein dringendes Geschäft und versprechen fest eine baldige Rückzahlung. Mit einem einzelnen erfolgreichen Betrug erbeuten die Clans meist ein Vermögen.

Beim Gedanken an seine ausgenutzte Hilfsbereitschaft kämpft Rentner Hans K. mit den Tränen. 45.000 Euro übergab der Ex-Beamte den Trickbetrügern, seine gesamten Ersparnisse. K. ist weder dement noch einfältig. Er lebt alleine und vermisst seinen Sohn, der in Hamburg lebt und von dem er nur selten hört. Im Januar 2012 klingelt das Telefon. "Ich war der festen Überzeugung, mit meinem Sohn zu sprechen. Dieser ruppige Ton, das Fordernde, es klang wie er!", erinnert sich der 88-Jährige. "Als er dann sagte, er brauche Geld für eine Wohnung in Berlin, hat bei mir der Verstand ausgesetzt. Das war doch alles, was ich wollte, dass er zurück nach Berlin kommt." Der Pensionär geht zur Bank, in zwei Tranchen überreicht er vermeintlichen Notarangestellten die fette Beute. Bis heute hat Hans K. das Trauma nicht überwunden.

In drei Jahren registrierte allein die Dienststelle in Karlsruhe 4,4 Millionen Euro Beute. Und das ist nur der Teil, der den Fahndern bekannt wird. "Einen Großteil der Taten bekommen wir gar nicht mit. Die tatsächliche Schadenssumme in unserem Zuständigkeitsbereich ist also noch weit höher, denn viele Opfer verständigen aus Scham nicht die Polizei. Das meiste Geld fließt zurück zu den Anrufern nach Polen", sagt Ermittler Gerdon.


Zahlreiche Clans sind in dem Geschäft tätig

Als Pate der Enkeltrickmafia gilt nach Erkenntnissen von Fahndern der Ex-Hamburger Arkadius Lakatosz, 45, in Roma-Kreisen besser bekannt unter seinem Spitznamen "Hoss". Auch er ist in dem Warschauer Hochzeitsvideo zu sehen, unter dem Applaus der Gäste betritt der Ehrengast samt Entourage den Festsaal. Obwohl mittlerweile zahlreiche Clans in dem Geschäft tätig sind, wird Hoss in allen Familien geehrt, geachtet und gefürchtet. Er soll den Enkeltrick in den Neunzigern in Hamburg erfunden haben. "Hoss ist der Beste.

Der macht keine kleinen Summen, nur große. Ab siebzig-, achtzigtausend Euro. Der ist echt gut bei seiner Arbeit, er hat kein Mitleid", berichtet Insider Miri S. Er hat selbst früher als Abholer für Enkeltrickbetrüger gearbeitet und kennt die Vorlieben der Bosse. Seine Bewunderung für die Clanchefs kann er nicht ganz verbergen. "Sie leben im Luxus. Das fängt schon bei den Kindern an, die tragen auch nur Gucchi, Prada. Finanziert alles mit dem Enkeltrick."

Seit Jahren leben zahlreiche Hintermänner der Millionenindustrie weitgehend unbehelligt von Strafverfolgungsbehörden in Polen. Nach monatelangen Recherchen ist es Reportern von SPIEGEL TV gelungen, einigen von Ihnen auf die Spur zu kommen und die Strukturen der Clans offenzulegen.

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