Dienstag, 2. Februar 2016

Das geheime Leben der Mafia-Jäger

Tim Sohr 

Sie sind die vermummten Gestalten, die immer dann zu sehen sind, wenn irgendwo ein Mafioso verhaftet wird: die Catturandi, eine Spezialeinheit der italienischen Polizei. Ein Mitglied erzählt vom Leben mit der Bedrohung.




Ausgerechnet an dem Tag, als IMD der dickste Fisch ins Netz geht, fliegt sein geheimes Leben auf. Zum Glück durchschaut ihn aber nur seine Frau. Jahrelang hat er ihr - wie allen seinen Freunden und Familienmitgliedern - erzählt, dass er beim Einwohnermeldeamt arbeitet. Aber dann nehmen die Catturandi am 20. Mai 1996 in der sizilianischen Provinz Agrigent den berüchtigten Cosa-Nostra-Boss Giovanni Brusca fest.

IMD ist ein Synonym - seinen richtigen Namen kann der Mann nicht verraten, viel zu gefährlich. Seine Geschichte hat er der "BBC"  trotzdem erzählt. Er ist Polizist der Catturandi, einer Sondereinheit in Palermo, die sich der Jagd auf die Mafiabosse verschrieben hat. Alle wichtigen Festnahmen der letzten Jahrzehnte gehen auf ihr Konto.

Die furchtlosen Fahnder sind immer nur vermummt mit schwarzen Masken zu sehen - auch auf den Bildern von Bruscas Festnahme, die in ganz Italien über die Bildschirme flimmern. Aber das Hinterteil dieses einen Maskenmannes, es kommt der Frau von IMD doch sehr bekannt vor. Jetzt kann er es nicht länger vor ihr verheimlichen, er fleht sie bloß an: "Bitte erzähle Großmutter nichts davon, sonst weiß es die ganze Welt." Bis heute konnte seine Frau das Geheimnis für sich behalten.





Catturandi: "Wild, frei und stets bereit zum Angriff"

 

"Caturrandi" leitet sich ab von "catturare" - deutsch: fassen, fangen. Die Einheit der Catturandi besteht aus nicht einmal 20 Polizisten. Sie bezeichnen sich selbst aber lieber als Löwen. Das passe besser, sagt IMD: "Weil wir so sind: wild, frei und stets bereit zum Angriff in diesem Dschungel." Der Dschungel, das ist in diesem Fall Sizilien. Seit Generationen ist die Mafia hier fest verankert, genauso lange tobt auch der Kampf der Polizei gegen die organisierte Kriminalität.

Als Jäger befindet man sich in dieser Schattenwelt ständig in Lebensgefahr: "Früher haben wir Todesdrohungen von den bösen Jungs erhalten", so IMD zur " BBC", "Ziegenköpfe wurden direkt zu uns nach Hause geschickt." Oder Fotos des Nummernschildes an seinem Auto, durchgestrichen mit einem roten Kreuz. Viele Kollegen hätten damals aus Angst mit dem Job aufgehört, IMD nicht.

Der Kampf geht schließlich immer weiter, und er frisst sich tief in die Köpfe der Catturandi: "Es ist, als würden wir mit ihnen leben", sagt IMD über die Mafiosi, an deren Fersen sie sich heften. "Du bekommst ihre familiären Probleme mit, du siehst ihre Kinder aufwachsen, ihre Gefühle werden zu deinen."



Einmal hörten sie einen Arzt in Palermo ab: "Er war sehr belesen, wir lernten alles über die italienische Literatur, indem wir ihm ständig zuhörten." Sie seien regelrecht fasziniert von ihm gewesen. Dass es sich um einen skrupellosen Mafiaboss handelte, konnten die Catturandi kaum glauben. Nach der Festnahme des Arztes tat sich dann auch die gewohnte Leere auf: "Plötzlich siehst du sie nicht mehr", so IMD über den Effekt, wenn ein lange beschatteter Mafioso verhaftet wird. "Psychologisch ist das schwer zu verarbeiten - sie waren schließlich Teil deines täglichen Lebens, und du beginnst tatsächlich sie zu vermissen."

Jede Festnahme ruft gemischte Gefühle hervor: "Du möchtest so viele Fragen stellen: Warum tötest du? Wie kannst du einem anderen Menschen sowas antun?" Viel Zeit für Konversation bleibt meist nicht, und die Reaktionen der Mafiosi fallen sehr unterschiedlich aus. Cosa-Nostra-Kopf Bernardo Provenzano flüsterte IMD bei seiner Verhaftung zu: "Du weißt nicht, was du tust."

IMD hat in zwei Jahrzehnten auf der Jagd bei der Verhaftung von rund 300 Mafiosi mitgeholfen - aber Brusca war ein besonderer Fang, sein brutaler Ruf eilte ihm voraus: "Das Schwein" hatte den 11-jährigen Sohn eines ehemaligen Komplizen gekidnappt, über zwei Jahre gefangen gehalten und gefoltert. Aber der Vater ließ sich nicht erpressen, und so ordnete Brusca an, den Jungen zu erwürgen. Die Leiche ließ er in Säure auflösen, so dass die Familie ihn nicht beerdigen konnte.

Außerdem war Brusca der Strippenzieher jenes Verbrechens, das IMD zum Mafia-Jäger machte: Er zündete 1992 höchstpersönlich die unter der Autobahn bei Palermo deponierte, 400 Kilogramm schwere Bombe, die den Juristen Giovanni Falcone, dessen Ehefrau und drei Leibwächter tötete. Falcone gilt bis heute als Symbolfigur für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität in Sizilien.



"Ich war auf dem 18. Geburtstag meiner damaligen Freundin", erinnert sich IMD, damals noch Biologie-Student, bei der "BBC" an den Tag des Attentats. "Ihr Vater war leitender Beamter bei der Polizei in Palermo, und als die Bombe explodierte, brummten die Pager der Polizisten alle auf einmal und jeder verließ die Party in Tränen."


"Die meisten Leute spuckten dir ins Gesicht"

 

Später am Abend sei er im Zentrum von Palermo auf ein paar Jungs getroffen, die lachten und gut gelaunt ihre Paninis verputzten. Er habe ihnen vom Mord an Richter Falcone erzählt. Sie hätten ihn bloß angeglotzt und gesagt: "Was zur Hölle geht uns das an?" Am nächsten Tag sei IMD zur Polizei gegangen, um so viele böse Jungs wie möglich zu schnappen. Es war kein Problem, den Job zu kriegen - kaum ein junger Sizilianer wollte damals Mitglied der Catturandi werden: "Die meisten Leute hörten auf mit dir zu reden oder spuckten dir ins Gesicht", so IMD. "Ein Cop zu sein war als unaussprechlicher Betrug verschrien."

Es hat ihn nicht davon abgehalten, Mitglied der Catturandi zu werden. Heute ist die sizilianische Mafia noch mächtiger als vor 20 Jahren, und tief verstrickt in die Politik, die Wirtschaft und die sizilianische Gesellschaft. Die romantische Aura der Mafia zieht jede Menge Touristen auf die Insel, an den Ecken in Palermo bieten Souvenirshops immer noch "Der-Pate"-T-Shirts und Feuerzeuge in Pistolenform an.





Für IMD sind diese Shops so paradox wie Palermo an sich: "Wir wären gerne so zivilisiert wie der Rest der Welt, aber wir können unsere perverse Faszination mit der kriminellen Unterwelt niemals leugnen."

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