Tim Sohr
Sie sind die vermummten
Gestalten, die immer dann zu sehen sind, wenn irgendwo ein Mafioso verhaftet
wird: die Catturandi, eine Spezialeinheit der italienischen Polizei. Ein
Mitglied erzählt vom Leben mit der Bedrohung.
Ausgerechnet an dem Tag, als IMD der dickste Fisch ins
Netz geht, fliegt sein geheimes Leben auf. Zum Glück durchschaut ihn aber nur
seine Frau. Jahrelang hat er ihr - wie allen seinen Freunden und
Familienmitgliedern - erzählt, dass er beim Einwohnermeldeamt arbeitet. Aber
dann nehmen die Catturandi am 20. Mai 1996 in der sizilianischen Provinz
Agrigent den berüchtigten Cosa-Nostra-Boss Giovanni Brusca fest.
IMD ist ein Synonym - seinen richtigen Namen kann der Mann nicht
verraten, viel zu gefährlich. Seine Geschichte hat er der "BBC" trotzdem erzählt. Er ist Polizist der
Catturandi, einer Sondereinheit in Palermo, die sich der Jagd auf die
Mafiabosse verschrieben hat. Alle wichtigen Festnahmen der letzten Jahrzehnte
gehen auf ihr Konto.
Die
furchtlosen Fahnder sind immer nur vermummt mit schwarzen Masken zu sehen -
auch auf den Bildern von Bruscas Festnahme, die in ganz Italien über die
Bildschirme flimmern. Aber das Hinterteil dieses einen Maskenmannes, es kommt
der Frau von IMD doch sehr bekannt vor. Jetzt kann er es nicht länger vor ihr
verheimlichen, er fleht sie bloß an: "Bitte erzähle Großmutter nichts
davon, sonst weiß es die ganze Welt." Bis heute konnte seine Frau das Geheimnis
für sich behalten.
Catturandi:
"Wild, frei und stets bereit zum Angriff"
"Caturrandi"
leitet sich ab von "catturare" - deutsch: fassen, fangen. Die Einheit
der Catturandi besteht aus nicht einmal 20 Polizisten. Sie bezeichnen sich
selbst aber lieber als Löwen. Das passe besser, sagt IMD: "Weil wir so
sind: wild, frei und stets bereit zum Angriff in diesem Dschungel." Der
Dschungel, das ist in diesem Fall Sizilien. Seit Generationen ist
die Mafia hier fest verankert, genauso lange tobt auch der Kampf der Polizei
gegen die organisierte Kriminalität.
Als Jäger befindet man sich
in dieser Schattenwelt ständig in Lebensgefahr: "Früher haben wir
Todesdrohungen von den bösen Jungs erhalten", so IMD zur " BBC",
"Ziegenköpfe wurden direkt zu uns nach Hause geschickt." Oder Fotos
des Nummernschildes an seinem Auto, durchgestrichen mit einem roten Kreuz.
Viele Kollegen hätten damals aus Angst mit dem Job aufgehört, IMD nicht.
Der Kampf geht schließlich immer weiter,
und er frisst sich tief in die Köpfe der Catturandi: "Es ist, als würden
wir mit ihnen leben", sagt IMD über die Mafiosi, an deren Fersen sie sich
heften. "Du bekommst ihre familiären Probleme mit, du siehst ihre Kinder
aufwachsen, ihre Gefühle werden zu deinen."
Einmal hörten sie einen Arzt in Palermo
ab: "Er war sehr belesen, wir lernten alles über die italienische
Literatur, indem wir ihm ständig zuhörten." Sie seien regelrecht
fasziniert von ihm gewesen. Dass es sich um einen skrupellosen Mafiaboss
handelte, konnten die Catturandi kaum glauben. Nach der Festnahme des Arztes
tat sich dann auch die gewohnte Leere auf: "Plötzlich siehst du sie nicht
mehr", so IMD über den Effekt, wenn ein lange beschatteter Mafioso verhaftet
wird. "Psychologisch ist das schwer zu verarbeiten - sie waren schließlich
Teil deines täglichen Lebens, und du beginnst tatsächlich sie zu
vermissen."
Jede Festnahme ruft gemischte Gefühle
hervor: "Du möchtest so viele Fragen stellen: Warum tötest du? Wie kannst
du einem anderen Menschen sowas antun?" Viel Zeit für Konversation bleibt
meist nicht, und die Reaktionen der Mafiosi fallen sehr unterschiedlich aus.
Cosa-Nostra-Kopf Bernardo Provenzano flüsterte IMD bei seiner Verhaftung zu: "Du
weißt nicht, was du tust."
IMD hat in zwei Jahrzehnten auf der Jagd
bei der Verhaftung von rund 300 Mafiosi mitgeholfen - aber Brusca war ein
besonderer Fang, sein brutaler Ruf eilte ihm voraus: "Das Schwein"
hatte den 11-jährigen Sohn eines ehemaligen Komplizen gekidnappt, über zwei
Jahre gefangen gehalten und gefoltert. Aber der Vater ließ sich nicht
erpressen, und so ordnete Brusca an, den Jungen zu erwürgen. Die Leiche ließ er
in Säure auflösen, so dass die Familie ihn nicht beerdigen konnte.
Außerdem war Brusca der Strippenzieher
jenes Verbrechens, das IMD zum Mafia-Jäger machte: Er zündete 1992
höchstpersönlich die unter der Autobahn bei Palermo deponierte, 400 Kilogramm
schwere Bombe, die den Juristen Giovanni Falcone, dessen Ehefrau und drei
Leibwächter tötete. Falcone gilt bis heute als Symbolfigur für den Kampf gegen
die organisierte Kriminalität in Sizilien.
"Ich war auf dem 18. Geburtstag
meiner damaligen Freundin", erinnert sich IMD, damals noch
Biologie-Student, bei der "BBC" an den Tag des Attentats. "Ihr
Vater war leitender Beamter bei der Polizei in Palermo, und als die Bombe
explodierte, brummten die Pager der Polizisten alle auf einmal und jeder
verließ die Party in Tränen."
"Die meisten Leute spuckten dir ins Gesicht"
Später
am Abend sei er im Zentrum von Palermo auf ein paar Jungs getroffen, die
lachten und gut gelaunt ihre Paninis verputzten. Er habe ihnen vom Mord an
Richter Falcone erzählt. Sie hätten ihn bloß angeglotzt und gesagt: "Was
zur Hölle geht uns das an?" Am nächsten Tag sei IMD zur Polizei gegangen,
um so viele böse Jungs wie möglich zu schnappen. Es war kein Problem, den Job
zu kriegen - kaum ein junger Sizilianer wollte damals Mitglied der Catturandi
werden: "Die meisten Leute hörten auf mit dir zu reden oder spuckten dir
ins Gesicht", so IMD. "Ein Cop zu sein war als unaussprechlicher
Betrug verschrien."
Es
hat ihn nicht davon abgehalten, Mitglied der Catturandi zu werden. Heute ist
die sizilianische Mafia noch mächtiger als vor 20 Jahren, und tief verstrickt
in die Politik, die Wirtschaft und die sizilianische Gesellschaft. Die
romantische Aura der Mafia zieht jede Menge Touristen auf die Insel, an den
Ecken in Palermo bieten Souvenirshops immer noch "Der-Pate"-T-Shirts
und Feuerzeuge in Pistolenform an.
Für
IMD sind diese Shops so paradox wie Palermo an sich: "Wir wären gerne so
zivilisiert wie der Rest der Welt, aber wir können unsere perverse Faszination
mit der kriminellen Unterwelt niemals leugnen."
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