Er legte sich mit der Camorra an – seitdem ist der neapolitanische
Friseur Salvatore Castelluccio für Politiker und Staatsanwälte ein Held. Seine
Frau und die Kollegen sehen das anders.
Camorra-Boss Raffaele Trongone, genannt Lelluccio |
Der
kleine Platz trägt den bezeichnenden Namen Ecce Homo: „Siehe, der Mensch“. In
der Tür eines Friseurladens steht ein solcher Mensch, auf den inzwischen viele seiner
Nachbarn, Freunde und Bekannten – und auch nicht wenige Verwandte – mit dem
Finger zeigen. Nicht etwa, um ihn zu loben, für das, was er getan hat, sondern,
ganz im Sinn der römischen Soldaten, die auf Golgatha das „Ecce Homo“ an das
Kreuz von Christus schlugen: um ihn zu brandmarken.
Auch Salvatore Castelluccio fühlt sich gebrandmarkt. Der
44-Jährige hat ein schweres Kreuz zu tragen. Castelluccio ist Damenfriseur,
sein Salon Pianeto Donna liegt am Largo Ecce Homo im Herzen der Altstadt von
Neapel, etwa zwischen den Vierteln Forcella und den Quartieri Spagnoli. „Ende
2015 platzte mir der Kragen“, berichtet er bei einer Zigarette vor der Tür
seines Salons – aufmerksam bewacht von zwei bewaffneten Polizisten. „Ich ging
zur Polizei und erstattete Anzeige wegen Erpressung gegen einige Personen“,
sagt Salvatore, zieht lässig an seinem Glimmstängel und fügt hinzu: „Und danach
fühlte ich mich so richtig wohl.“
Seit
Jahren war der Friseur gezwungen worden, wie fast alle seine Kollegen und
andere Geschäftsleute in Neapel an einen lokalen Boss ein in Italien „pizzo“
genanntes Schutzgeld zu zahlen. Die Bosse der Camorra garantieren im Gegenzug
„Schutz“. Schutz vor sich selbst, denn wer sich weigert zu zahlen, dem wird
nicht selten das Geschäft abgefackelt. In noch schlimmeren Fällen werden die
Nichtzahlenden mit dem Tod bedroht.
Immer mehr Friseure
verlassen Neapel
Aus diesem Grund verlassen immer mehr
„Barbieri“ den Großraum Neapel. Wie Francesco F. aus dem Stadtteil Scampia.
Seinen Nachnamen will er nicht genannt wissen. Francesco, 38, schneidet seit
sieben Jahren in Rom die Haare. Er hatte es satt, von seinen Einnahmen
monatlich rund 20 Prozent als Schutzgeld abzuzwacken. „Ich kenne mindestens
zehn andere Kollegen“, berichtete Francesco, „die wie ich die Kurve gekratzt
haben – nach Rom, nach Mailand, aber auch nach Duisburg oder München.“
Salvatore zahlte seinen „pizzo“, „in der
Regel 200 bis 500 Euro im Monat“ an Raffaele Trongone, Lelluccio genannt, den
Boss des Viertels. Lelluccios Frau ließ sich jede Woche die Haare bei Salvatore
machen – selbstverständlich ohne dafür zu zahlen. Im vergangenen Frühjahr zwang
der Boss den Friseur schließlich dazu, eine Verwandte anzustellen. „Der gefiel
der Job nicht, sie schmiss das Handtuch“, erzählt Salvatore bei einer zweiten
Zigarette vor seinem Geschäft, „und dann plötzlich zog Lelluccio das Schutzgeld
an.“ Ab sofort hatte der Friseur 2000 Euro monatlich zu zahlen. Der Hinweis,
dass er sich so ein Schutzgeld nicht leisten könne, stieß auf taube Ohren.
Noch am gleichen Tag ging Salvatore zur Polizei und erstattete
Anzeige. Sehr zum Ärger seiner eigenen Frau. „Sie warf mir vor, unser Leben zu
zerstören, denn hier zahlen doch alle!“ Er aber „hätte nicht mehr ruhig
schlafen können, denn ein so hohes Schutzgeld hätte unsere Lebensgrundlage
zerstört“. Die Polizei reagierte sofort. Am Tag, an dem Boss Lelluccio
vorbeischauen wollte, um die 2000 Euro zu kassieren, saßen, als Kundinnen
verkleidet unter Trockenhauben oder im Wartebereich des Salons, Polizistinnen.
Der Boss wurde laut, und die Beamtinnen nahmen alles mit
Mikrofonen auf. Als Lelluccio Tage später zu einem verabredeten Termin noch
einmal bei Salvatore erschien, schlug die Polizei zu. Der Boss und seine
Kumpanen wurden verhaftet. Fortan galt der Friseur offiziell als Held. Politiker,
Anti-Mafia-Kämpfer und Staatsanwälte waren voll des Lobes für seinen Mut.
Seit Wochen steht Castelluccio unter Polizeischutz
Nach
der Verhaftung des Camorra-Bosses fuhren der Friseur und seine Familie für eine
Woche Ferien nach Apulien. „Wir mussten uns von all dem erst einmal erholen,
und ich musste meine Frau beruhigen, die jetzt mit dem Schlimmsten rechnete.“
Was dann auch eintrat. „Am Tag der Rückfahrt aus Apulien rief uns die Polizei
an“, berichtet Salvatore, „um uns mitzuteilen, dass auf der Autobahn vor Neapel
ein Polizeiwagen auf uns wartet, mit zwei Beamten, die fortan meinen
Personenschutz garantieren würden.“
Und so werden der Friseur, sein Geschäft und seine Familie seit
Wochen rund um die Uhr bewacht. Der in U-Haft einsitzende Boss hatte damit
gedroht, den Friseur als Verräter ermorden zu lassen. „So was darf man hier bei
uns nicht auf die leichte Schulter nehmen“, meint Salvatore ein wenig nervös
und verweist dann auf seinen Salon, der völlig leer ist. „Seit dieser Drohung
und seitdem Polizisten den Laden bewachen, kommen immer weniger Kunden.“
Salvatore berichtet auch davon, dass Freunde, Bekannte und selbst Verwandte
nicht mehr mit ihm verkehren wollen. Stammkunden bleiben aus. „Die haben alle
Angst vor einem möglichen mafiösen Anschlag.“
Und
er wird seit kurzen selbst von neapolitanischen Kollegen gemobbt. „Die
schneiden mich, die sprechen schlecht über mich“, erzählt Salvatore, schweigt
einen Moment und fährt dann fort: „Einer von denen meinte zu mir, dass mein
Verhalten die Bosse radikaler gegenüber Friseuren auftreten lasse, damit ja
kein anderer von ihren so aufbegehrt wie ich.“ Seine Frau schlug ihm jetzt vor,
das Geschäft zu schließen und nach Norditalien zu ziehen. Salvatore
Castelluccio denkt darüber nach. Ist gezwungen darüber nachzudenken, denn: „Wie
soll ich ohne Einnahmen meine Familie über Wasser halten?“
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