Im
kriminellen Untergrund Neapels gärt es: Weil die meisten alten Camorra-Bosse im
Gefängnis sitzen, strebt eine neue, unberechenbare Generation von Jung-Mafiosi
an die Macht.
Dreimal innerhalb von
nur 24 Stunden sind in Neapel am vergangenen Donnerstag und Freitag tödliche
Schüsse gefallen. Die Morde ereigneten sich in Außenquartieren und in einem
Vorort der Hafenstadt und hatten gemäß den Ermittlern keinen Zusammenhang miteinander
– außer dass es sich vermutlich um Abrechnungen unter jungen
Camorra-Mitgliedern handelte.
Insgesamt haben sich im Großraum Neapel seit Anfang Jahr
laut Polizeiangaben bereits zehn Tötungsdelikte mit vermutlich mafiösem
Hintergrund ereignet. Die blutige Serie hat die Behörden aufgeschreckt:
Innenminister Angelino Alfano hat am Wochenende den Einsatz des Militärs sowie
die Senkung des Strafmündigkeitsalters auf 16 Jahre gefordert; die Medien
schreiben bereits von einem neuen "Bandenkrieg".
Camorra-Generation im Knast
Rein
statistisch gesehen ist der Ausdruck "Bandenkrieg" kaum
gerechtfertigt: Bereits im vergangenen Herbst, als es zu einer ähnlichen
Häufung von Tötungsdelikten gekommen war, hatten die Medien aufgeregt über den
"Terror der Baby-Killer" berichtet – und Ende Jahr stellte sich
heraus, dass die Mordrate in Neapel noch nie so tief gelegen war wie 2015.
Über 700 Camorra-Bosse und Auftragskiller sitzen im
Gefängnis, knapp 300 davon in Hochsicherheitsabteilungen. "In Neapel haben
wir im Kampf gegen die Camorra außerordentliche Resultate erreicht – eine ganze
Generation von Clan-Chefs sitzt hinter Gitter", betonte Alfano am
Wochenende. Die Zahl der Mafia-Morde ist in den letzten zwanzig Jahren um 75
Prozent zurückgegangen.
Die
Erfolgsgeschichte hat aber eine Schattenseite. "Die Verhaftung der alten
Riege hat ein Machtvakuum hinterlassen, das nun von neuen Banden gefüllt
wird", betont Neapels Generalstaatsanwalt Luigi Riello.
Bei
den Anführern dieser Banden handle es sich oft um junge Männer im Alter von 18
bis 22 Jahren, mitunter seien sie sogar noch minderjährig. "Die neue
Generation versucht nun, die Kontrolle in ihren Quartieren zu übernehmen und
kämpft um ihre Anteile im Drogenhandel", sagt der Chefankläger. Das
Gefährliche sei, dass sie dabei oft mit großer Brutalität vorgingen, da ihnen
letztlich eine klare Strategie fehle und weil sie sich über "das
Verhältnis zwischen Kosten und Ertrag ihrer kriminellen Aktionen nicht im
Klaren sind".
Rumballern zum Spaß
Beunruhigend
ist nach den Informationen der Anti-Mafia-Behörde auch die große Menge an
Schusswaffen, über welche die "Baby-Camorristi" verfügen – und mit
welcher Rücksichtslosigkeit mit diesen umgegangen werde. Vor allem in
Problemvierteln wie Forcella oder der Sanità ist es in den letzten Monaten
vorgekommen, dass Jugendbanden auf frisierten Mopeds durch die Straßen fahren
und dabei – vollgepumpt mit Drogen - mit Pistolen und Kalaschnikows ums sich
ballern, gelegentlich auch auf Mannshöhe.
In
der Regel passiert bei diesen gefährlichen Machtdemonstrationen außer
Sachschaden nicht viel – im vergangenen Spätsommer ist aber auf einer Piazza im
Sanità-Quartier ein 17-Jähriger von einer Kugel tödlich getroffen worden. Er
hatte nichts mit den Clans zu tun gehabt – er war ganz einfach zur falschen
Zeit am falschen Ort gewesen.
Wurzel des Übels ist das soziale Elend
Ob
dem Problem der Jugendbanden mit der Entsendung von Militär oder mit der
Senkung des Strafmündigkeitsalters beizukommen wäre, wird von Experten
bezweifelt. In Neapel sind bereits tausend Soldaten im Einsatz – sie haben die
zehn Morde seit Anfang Jahr auch nicht verhindern können.
Das Problem ist ein soziales: In den von der Camorra
beherrschten, verwahrlosten Quartieren fehlt es an Schulen, an
Jugendeinrichtungen, an Sportanlagen – und vor allem an Arbeit. Die
Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent – und die Camorra ist für
viele junge Männer der einzige Arbeitgeber, der einen Job zu vergeben hat: Wer
für die Clans auf der Straße Drogen verkauft, verdient pro Woche 500 Euro. Das
sind mehr als die 1700 Euro, die in Neapel ein Polizist monatlich verdient, der
bei der Bekämpfung der Camorra täglich sein Leben riskiert.
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