Sonntag, 2. Februar 2014

Das Alcatraz von Italien - bei der Mafia unbeliebt

Ausweis abgeben. Handy abgeben. Fotoapparat abgeben. Nicht von der Gruppe entfernen. Und vor allem: absolut keine Unterhaltungen mit den Häftlingen. Die Regeln werden über Lautsprecher durchgegeben, und die dreißig Italiener, die an diesem Sonntag auf dem Schiff nach Gorgona unterwegs sind, schauen ein bisschen betreten drein. Gerade haben sie noch durcheinandergeplappert, jetzt beugt sich ein dicker Herr zu mir herüber und murmelt: »Das kann ja heiter werden. Ist das etwa gefährlich?«

 

Wollen wir doch hoffen! Es geht ja hier ums große Abenteuer, Signore. Es geht hier um eine Gefängnisinsel, die noch in Betrieb ist. Und man kann da tatsächlich hin. Siebzig Häftlinge, alles Männer. Gibt es sonst nirgends mehr in Europa. Das hier ist kein Vergnügungsausflug, das wird eine Fahrt ins wahre, harte Leben, oder? So was wie: Johnny Cash in San Quentin – nur mit mehr Wasser außenrum.

Wer nach Gorgona will, sollte es nicht über Reisebüros in der Toskana versuchen (Antwort: »Nach Gorgona? Noooo!«) und auch nicht über das italienische Justizministerium (»Schicken Sie uns erst mal ein Führungszeugnis.«). Der einzige Weg führt über die Società Cooperativa del Parco Naturale dell’Isola di Gorgona, eine Organisation, die sich um Tiere und Pflanzen auf der Gefängnisinsel kümmert und die Genehmigung hat, Tagestouren dorthin zu organisieren, zum Beispiel unter Führung von Signora Ugolini, einer sehr kleinen, sportlichen Frau von vierzig Jahren.

Sie zählt die Eckdaten zur Insel auf: 2,23 Quadratkilometer Fläche, gut dreißig Kilometer vor der Küste, das sind anderthalb Stunden Fahrt, Gorgona ist die nördlichste Insel des Toskanischen Archipels, zu dem auch Elba und Korsika gehören. Höchster Punkt: 255 Meter. Rund 200 Bewohner, außer den zehn Häftlingen fünfzig Wärter, ihre Familien, dazu Köche, Handwerker, ein Arzt und Luisa Citti, aber zu der kommen wir später.

Wenn man sich der Insel nähert, wirkt sie erst mal unfreundlich: ein dunkler Felsen, dicht bewachsen von Pinien und Macchia-Gebüsch, der im Meer liegt wie ein böses Tier, der winzige Hafen hingeklebt an eine Felszunge. Darüber in der engen Bucht acht, neun Häuser, die Fensterläden geschlossen. Die ganze Insel sagt: Haut ab!

Und es soll keiner auf die Idee kommen, hier mal bei einem Segeltörn spontan anzulegen – die bewaffnete Polizia Penitenziaria, die Gefängnispolizei, lässt niemanden in den Hafen. Nur einmal in der Woche, am Mittwoch, kommt eine Fähre aus Livorno, wer da mitfahren will, braucht einen Berechtigungsschein von der Polizei, zum Beispiel als Angehöriger: Mittwochs kommen die Familien der Häftlinge, Frauen besuchen ihre Männer, Mütter ihre Söhne. Die einzige Bar der Insel wird dann zur Pizzeria, und alle sitzen auf der Terrasse, auf der sonst nie etwas passiert.

Es gibt auf der Insel fünf Autos, ein verstaubter Geländewagen hält neben uns auf der einzigen befestigten Straße. Der Inselpolizist Mario stellt sich vor und macht ein paar müde Scherze, ihm ist anzusehen, dass er leidet: Wäre das hier eine ordentliche Strandpromenade, dann könnte er jetzt aufs Gas steigen und die trotteligen Touristen beeindrucken. "Gibt es hier viele Mafiosi?", frage ich. "Einige", antwortet der schrullige Beamte. "...und sie hassen es! Sie müssen hier hart arbeiten..."

Sein Blick sagt: Was wollt ihr überhaupt hier? »Ich fand einfach, Gefängnisinsel, das klingt aufregend«, erzählt eine ältere Frau. »Ist doch so was wie das Alcatraz von Italien, oder?«, meint ein junger Mann, der mit drei Freunden da ist. Und eine junge Frau lacht, sie sagt: »Mich gruselt das. Ich komme mir vor wie in einer Geisterbahn, aber es ist alles echt!«

Die berühmten Gefängnisinseln sind heute alle Museen: Robben Island, vor der Küste von Kapstadt, wo Nelson Mandela 18 Jahre lang saß, Häftling Nummer 466/64. Oder das Château d’If, vor Marseille. Berühmt, weil Alexandre Dumas da seinen Graf von Monte Christo versauern ließ. Die Teufelsinsel in Französisch-Guayana, auf der Alfred Dreyfus Ende des 19. Jahrhunderts fünf Jahre lang unschuldig saß – über den brutalen Knast dort schrieb der Häftling Henri Charrière den Roman Papillon, aus dem wurde dann der großartige Film mit Steve McQueen. Und Alcatraz, natürlich, in der Bucht von San Francisco. 1962 sind drei Männer von dort geflohen, in einem Schlauchboot, das sie aus Regenmänteln gebaut hatten. Es wurde nie geklärt, ob sie es an Land geschafft haben oder ertrunken sind. Das ist das Faszinierende an Gefängnisinseln: letzte Abenteuer, Todesverachtung, alles oder nichts, die ganz großen Geschichten.
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