Montag, 18. März 2013

Mafia zapft deutsche Polizisten an...

An diesem exemplarischen Beispiel zeige ich die Vorgehensweise der 'Ndranghta in Deutschland auf.

Franfurt / Main. Am 9. September 2009 um genau 22.47 Uhr hatte es die italienische Mafia geschafft. Sie hatte einen Frankfurter Polizisten dazu gebracht, im polizeilichen Auskunftssystem einen Mann aus ihren Reihen zu überprüfen. Der Beamte ahnte nicht, dass es sich bei dem Überprüften um einen Mafioso und Drogenschmuggler handelte. Deshalb gab er weiter, dass der Mann "soweit okay" sei und nicht von der Polizei gesucht werde.

Wegen seiner Auskunft muss sich der Polizist bald vor dem Frankfurter Amtsgericht verantworten. Die Anklage lautet auf Verletzung des Dienstgeheimnisses (Az: 3460 Js 216065/10 PZ). Wie ist es der Mafia gelungen, einen Polizisten für ihre Zwecke einzuspannen? Mit vertraulichen Unterlagen kann ich das dreiste Vorgehen der Mafiosi acuh dokumentieren.

Dreh- und Angelpunkt des Krimis, der bis in die süditalienische Region Kalabrien führt, ist eine einfache Pizzeria in Frankfurt. Der Polizist Dietmar K. (53), der 2009 als Objektschützer eingesetzt ist, geht in dem Lokal ein und aus. Manchmal holt er dort Pizza für sich und seine Kollegen, manchmal schaut er aber auch privat vorbei.
Die Pizzeria mit kleinem Gastraum wirkt unscheinbar, der einzige Hingucker ist ein Holzofen, der wie ein italienisches Dorfhaus aussieht. Hinter der Theke rollt Vincenzo Laratta (49) den Teig, streut Zutaten darauf und backt. Der Pizzabäcker und der Polizist lernen sich mit der Zeit immer besser kennen, plaudern über Gott und die Welt und nennen sich irgendwann nur noch bei ihren Vornamen.

 

Familiäre Atmosphäre


Später wird der Polizist aussagen, dass es in der Pizzeria "ziemlich familiär" zugegangen sei. "Ich konnte mir keinen Zusammenhang mit der Mafia vorstellen." Damit lag er offenbar falsch: Zu den Stammgästen zählt 2009 auch Paolo Bruno, der in Corigliano Calabro geboren wurde. Die 40.000-Einwohner-Stadt in den sonnigen Hügeln Kalabriens gilt als Hochburg der Mafia. Bruno stand schon mehrfach vor Gericht, unter anderem wegen Diebstahls und versuchten Betrugs. Auch im Gefängnis saß der 43-Jährige schon. Und seine Kontakte in die alte Heimat sind ausgezeichnet...
Die kalabrische ‘Ndrangheta gilt als mächtigste Mafia-Organisation Europas.

Sicherheitsexperten schätzen, dass sie mit Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche und Erpressung jährlich 44 Milliarden Euro einnimmt. Dass die ‘Ndrangheta ihren krummen Geschäften auch in Deutschland nachgeht, ist der Öffentlichkeit spätestens seit den Duisburger Mafia-Morden 2007 klar: Vor einer Pizzeria wurden damals sechs Menschen erschossen. Sowohl die Täter als auch die Opfer gehörten der ‘Ndrangheta an.

BKA-Chef Jörg Ziercke betonte jüngst, dass Deutschland nicht nur Rückzugs-, sondern auch Aktionsraum der italienischen Mafia sei. Sonja Alfano, Chefin der Anti-Mafia-Kommission der EU, warnte in einem "Spiegel"-Interview, die ‘Ndrangheta habe sich unbehelligt in der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft eingenistet. Der Fall des Polizisten zeigt, dass ihr langer Arm bereits in die deutschen Sicherheitsbehörden hineinreicht.

Die Ausgangssituation ist einfach: Im Sommer 2009 will die ‘Ndrangheta wissen, ob die Luft für das nächste Drogengeschäft ihres Mitglieds Carlo Lorenzi rein ist oder ob der Italiener bei der Einreise nach Deutschland mit einer Festnahme rechnen muss. Die Mafia weiß, dass die Info irgendwo im Polizeisystem Polas/Inpol schlummert. Sie braucht nur einen Beamten, der sie abfragt und weitergibt.




Und da fällt Paolo Bruno, dem Pizzeria-Stammkunden mit gutem Draht nach Kalabrien, der Polizist ein, der neuerdings bei Wirt Vincenzo ein und aus geht. Mit seinem Doppelkinn und dem Dreitagebart wirkt der Beamte ziemlich harmlos und gemütlich. Wie jemand, den man um eine Auskunft bitten könnte, falls man mal eine braucht - oder falls alte Freunde aus der Heimat eine brauchen.

 

Geschickte Anfrage


Bruno bittet den Polizisten nicht selbst um die Datenabfrage. Das überlässt er dem Pizzabäcker, der "den Dietmar" weitaus besser kennt. Von der Mafia habe Vincenzo Laratta nichts gesagt, wird der Beamte später zu Protokoll geben. Stattdessen soll der Wirt behauptet haben, "dass seine Nichte, Cousine oder sonst jemand" einen neuen Freund habe, der gesucht werden könnte und "nicht so ganz astrein" sei. Die Lügengeschichte tischt der Pizzabäcker wohl auf, um seine Anfrage harmlos erscheinen zu lassen. Er muss schließlich damit rechnen, dass Carlo Lorenzi, dem die Überprüfung gilt, tatsächlich zur Fahndung ausgeschrieben ist.

Der Polizist fällt jedenfalls auf die Story herein. Als er nach zwei Objektschutz-Einsätzen ins Präsidium zurückgekehrt ist, setzt er sich an einen PC und gibt den auf einem gelben Klebezettel notierten Namen ins Auskunftssystem ein. Kurz darauf übermittelt er dem Wirt die Information, dass Carlo Lorenzi "negativ" ist, also nicht von der Polizei gesucht wird - eine Straftat, die nicht nur für ihn selbst ein juristisches Nachspiel hat. Denn auch Pizzabäcker Laratta und sein Stammkunde Bruno müssen vor Gericht. Wegen Anstiftung zum Geheimnisverrat.

 

Erfolgreiche Kooperation


Dass die Männer überführt werden können, ist das Ergebnis einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen den italienischen und deutschen Strafverfolgern. Am 9. September - kurz vor der Abfrage im Polizeisystem - zeichnet eine italienische Anti-Mafia-Spezialeinheit ein Telefonat zwischen Paolo Bruno (in Frankfurt) und Carlo Lorenzi (in Italien) auf. Darin fragt Lorenzi, ob "der von der Polizei" inzwischen Bescheid wisse. Bruno stellt die gewünschte Auskunft für "heute Abend gegen 23Uhr" in Aussicht. Das passt perfekt zum Zeitpunkt der Datenabfrage, die der Polizist - wir erinnern uns - um genau 22.47 Uhr macht.

Am Ende des Gesprächs kündigt Lorenzi einen Anruf am nächsten Tag an. Auch das Telefonat am 10. September wird mitgeschnitten. Jetzt kann Bruno liefern: "Er hat geguckt", heißt es im Aufzeichnungsprotokoll. "Er hat gesagt, es gibt nichts. Alte Sachen ja, aber es gibt nichts Neues, sagen wir; dass sie dich nicht festhalten oder festnehmen können." Die Situation sei "100-prozentig" ruhig. Die italienischen Behörden geben die Gesprächsprotokolle an die Deutschen weiter, die schnell herausbekommen, wer Lorenzi überprüfte.

Die Staatsanwaltschaft hält in ihrer Anklageschrift fest, dass der Polizist mit der Weitergabe der Informationen über Carlo Lorenzi "wichtige öffentliche Interessen gefährdet" habe. Das ist verständlich, weil Lorenzi alles andere als ein unbeschriebenes Blatt ist. Beim Bundeskriminalamt wird er als Mitglied des ‘Ndrangheta-Clans von Rossano Calabro geführt. Die Anti-Mafia-Einheit ermittelte wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer Mafia-Vereinigung gegen ihn; außerdem wegen Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz und persönlicher Begünstigung.

 

Redseliger Kronzeuge


Ein Kronzeuge hat Lorenzi als Mensch beschrieben, der sich vor allem mit Betrug, Auto- und Drogenhandel beschäftige. Er pflege Kontakte zur Camorra, der neapolitanischen Mafia, mit der er bei der Einfuhr von Rauschgift und Nobelkarossen zusammenarbeite. Lorenzi habe in Fahrzeugen verstecktes Kokain aus Deutschland, Bologna und Neapel importiert - diese und andere krumme Geschäfte führten ihn am Ende in italienische Haft.

Die Frankfurter Strafverfolger ermitteln lange. Am 23. August 2011 durchsuchen sie im Morgengrauen die Wohnungen von Laratta und Bruno. Richtig fündig werden die Beamten nur bei dem Pizzeria-Stammkunden: Sie stellen dort sieben Plömbchen mit einer betäubungsmittelverdächtigen Substanz, einen gefälschten Blankopass und einen verfälschten Ausweis sicher. Letzterer gehört einem mutmaßlichen Mafioso, der nach einem Einbruch hinter Gittern landete. Der Mann wurde ebenso in Corigliano Calabro geboren wie Bruno.

Am 8. September filzen die Strafverfolger außerdem die Wohnung des Polizisten im Westerwald. Hinweise auf ‘Ndrangheta-Verbindungen finden sie nicht. Alles sieht danach aus, dass der Polizist von der ‘Ndrangheta benutzt, angezapft wurde. Experten berichten, dass Mafiosi immer wieder versuchen, nützliche Behördenkontakte zu knüpfen. Dass sie dabei ihre Zugehörigkeit zu ‘Ndrangheta, Camorra und Co. verschweigen, ist klar.

Pizzabäcker Laratta streitet auf Nachfrage ab, etwas mit der ‘Ndrangheta zu tun zu haben: "Ich komme nicht aus Kalabrien und kenne die Leute nicht", beteuert er. Auch von einem Überprüfungsauftrag an den Polizisten, der früher Kunde gewesen sei, wisse er nichts. "Hier in der Pizzeria werden viele gelbe Zettel geschrieben, vielleicht habe ich jemandem Zettel und Stift geliehen, der dann den Namen notiert hat." Mit Paolo Bruno sei er zwar früher befreundet gewesen, das sei aber schon länger vorbei.

Bruno räumt zwar ein, Carlo Lorenzi "von früher, aus der Heimat" zu kennen, dass dieser Mitglied der ‘Ndrangheta sein soll, sei ihm aber nicht bekannt. "Carlo hat mit Autos gehandelt und ist in Italien im Gefängnis gelandet, darüber habe ich etwas im Internet gesehen." Er, Bruno, habe aber keinen Polizisten gebeten, Infos über Carlo einzuholen. "Ich weiß gar nicht, wie die Polizei auf so etwas kommt."

Schweigender Polizist


Polizist Dietmar K. möchte sich gegenüber der Presse nicht äußern. Und auch sein Rechtsanwalt Dr.Andreas Hohnel zieht es vor, vor der Hauptverhandlung keinen Kommentar abzugeben. Wann diese beginnt, kann das Amtsgericht noch nicht sagen. Fest steht, dass die Mafiosi der ‘Ndrangheta in Frankfurt äußerst aktiv sind. Wahrscheinlich haben sie schon die nächsten Polizisten an der Angel.

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