Es platzte wie eine Bombe in den vorweihnachtlichen Frieden der
toskanischen Kleinstadt Prato: Italiens oberster Mafiafahnder, Staatsanwalt
Franco Roberti, erklärte kurz vor den Festtagen, dass die Mafia Giftmüll hier
bei Prato in der Toskana verscharre. "Die Ermittler haben eine Deponie bei
Prato entdeckt", die Gebiete im Süden Italiens rund um Neapel seien
"gesättigt", die Mafia weiche daher in andere Gegenden Italiens aus.
Blei, Arsen, Dioxin als stille Zeitbombe nun auch unter malerischen Hügeln rund
um Florenz?
"Das ist unmöglich", antwortet
ein Lokalreporter am Telefon, beinahe empört, auf die Frage. Auch
Lokalpolitiker protestierten, der Bürgermeister von Prato, Roberto Cenni,
sagte: "Wir wissen nichts von einer solchen Deponie auf unserem Stadtgebiet."
Und der Parlamentarier der Demokratischen Partei, Matteo Bifoni, sah sich
genötigt, die Ehre seiner Heimatstadt Prato per Twitter zu verteidigen:
"Herr Staatsanwalt, überlegen Sie genau, bevor Sie so etwas sagen!"
Aber Franco Roberti dürfte wissen, wovon
er spricht. Seit Juli 2013 ist er Chef der nationalen
Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft in Rom, wo alle Ermittlungen zu Mafiaverbrechen
auf nationaler und internationaler Ebene koordiniert werden. Und Roberti stammt
aus Neapel, Heimat der Camorra, und hat dort als Staatsanwalt alle wichtigen
Ermittlungen gegen diese Mafiaorganisation geführt. Schon im November hatte Roberti erklärt: "Nachdem die
neapolitanische Camorra 20 Jahre lang Giftmüll aus dem Norden im Süden entsorgt
hat, bringt sie nun Müll aus dem Süden in den Norden, in primis in die Toskana,
aber auch nach Rumänien und nach China."
Illegale Verschiffung
von Sondermüll
Aktuelle Hinweise für Kontakte
toskanischer Unternehmen zur Camorra lieferte eine Untersuchung, die Kollegen
in Florenz im Juli 2013 abgeschlossen hatten: Zwei Unternehmer aus Prato wurden
verhaftet, gegen 60 weitere Personen wird ermittelt, weil sie gemeinsame Sache
mit einem Camorra-Clan aus Kampanien gemacht hatten – es ging um die illegale
Verschiffung von Sondermüll aus der Textilindustrie nach China und Nordafrika.
Die Stadt Prato liegt nördlich von
Florenz, ist seit über 100 Jahren Italiens wichtigster Standort für
Textilproduktion. Seit vielen Jahren haben sich in Prato auch chinesische
Einwanderer angesiedelt, vermutlich sind es 35.000 – Prato hat 190.000
Einwohner. Viele Chinesen betreiben illegal Textilfabriken, wo Menschen in
Kellerräumen auf engstem Raum leben und arbeiten, oft mehr als 16 Stunden am
Tag. "Gute Verbindungen der Camorra mit chinesischen Kriminellen machen
die Gegend um Prato zu einer logischen Wahl auf der Suche nach neuen
Deponien", sagte Mafiafahnder Roberti jetzt.
Ähnliche Verbindungen zwischen Camorra
und chinesischen Banden waren in Neapel schon 2005 während der Operation
"Marco Polo" aufgeflogen: Im letzten Moment wurde Giftmüllfracht aus
dem neapolitanischen Hafen nach China gestoppt – den Transport hatte die Camorra
mit chinesischen Kriminellen organisiert.
Auch im Hinterland von Neapel sind – wie
in Prato – viele chinesische Unternehmen angesiedelt, die hier vor allem
gefälschte Waren, auch viele italienische Luxusmarken, produzieren.
Tumore befallen die
Bevölkerung
Jeder kennt die Bilder von riesigen
Müllbergen in Neapel. Aber das eigentliche Business der Camorra ist der
illegale Transport von Giftmüll, der in Flüssen und Feldern im Hinterland von
Neapel verklappt wird. Viele Deponien werden regelmäßig in Brand gesetzt, damit
Spuren verschwinden – beißende Rauchschwaden wabern durch die Luft, Gift
sickert ins Grundwasser, Äcker und Tiere sind verseucht. Tumore befallen die
Bevölkerung wie anderswo der Grippevirus. Die Gegend ist in Italien als
"terra dei fuochi", Feuerland, bekannt. Und Ortsnamen wie Castel
Volturno, Casal del Principe oder Caserta stehen in Italien für solche
Horrorszenarien, die im Roman "Gomorrha" und dem gleichnamigen Film
des jungen Journalisten Roberto Saviano weltweit bekannt wurden.
Mit dem Giftmüllbusiness setzt die
Camorra jährlich etwa vier Milliarden Euro um. Die gefährlichen Abfälle stammen
aus der Industrie vor allem in Norditalien. Entsorgt werden auch radioaktive
und andere toxische Materialien aus Krankenhäusern. Für viele Fabrikanten ist
die Camorra die Low-Cost-Alternative zur etwa fünffach teureren legalen
Entsorgung giftiger Produktionsrückstände: Nachts kommen die Lastzüge der
Camorra, Papiere werden gefälscht, und der lästige Müll verschwindet spurlos.
Zunehmende Proteste der lokalen
Bevölkerung sowie Alarm von Ärzten und Pfarrern der Gegend hatten aber in den
vergangenen Jahren für einen Medienwirbel gesorgt, der für die Camorra lästig
geworden war. Eine weitere Behinderung im Geschäft mit dem Giftmüll ist auch
eine von der Regierung neu eingeführte Satellitenüberwachung, mit deren Hilfe
der Transportweg gefährlicher Abfälle überwacht werden kann. Immer häufiger
wird giftiger Müll daher vor Ort beseitigt.
Erst im Dezember entdeckte die
Umweltbehörde der Lombardei alarmierend hohe Chromrückstände aus Industriemüll:
Sie waren in einer Baustelle verscharrt worden – als Untergrund für die
Autobahn von Mailand nach Brescia.
Sogar radioaktive
Abfälle verscharrt
Für riesigen Wirbel sorgten jetzt
Aussagen des Camorra-Kronzeugen Carmine Schiavone: "Hier werden alle an
Krebs sterben", sagte er kürzlich in einem TV-Interview. Aus früheren
Erklärungen ging hervor, dass der Giftmüll nicht nur aus Italien, sondern aus
ganz Europa, auch aus Deutschland, stamme, dass sogar radioaktive Abfälle verscharrt
worden waren. Carmine ist Cousin des einstigen Clanchefs Francesco
"Sandokan" Schiavone, der das Giftmüllbusiness in den 90er-Jahren von
seiner Heimatstadt Casal del Principe aus gründete.
Ein Skandal waren die Aussagen aber vor
allem, weil Schiavone sie schon 1997 vor einer parlamentarischen
Untersuchungskommission gemacht hatte – sie wurden aber erst jetzt
veröffentlicht.
Schon damals sprach Schiavone von einer
Spur, die in die Toskana führte. Es habe viele "Gifttransporte aus der
Stadt Arezzo gegeben". Dorthin habe es besonders gute Verbindungen
gegeben, "auch über die Geheimlogen". Der Chef von Italiens größter
illegaler Geheimloge P2, Licio Gelli, der für seine Kontakte und kriminellen
Machenschaften im Geflecht mit Mafia, Industrie und Finanzwelt schon in den
90er-Jahren verurteilt worden war, lebt noch heute in Arezzo. Bei Gelli, lange
als harmloser Matratzenhersteller getarnt, liefen die Fäden für das
Giftmüllgeschäft wohl lange zusammen. Nach Aussagen des neapolitanischen
Staatsanwalts Agostino Cordova "haben sich Unternehmer und Mafiabosse in
seiner Villa getroffen … Gelli war der Verbindungsmann für jede Art von
Giftmüll, der nach Kampanien ging."
Nur eine knappe Woche nach Cheffahnder
Robertis Alarm ist das Thema aus der lokalen Presse der Toskana wieder
verschwunden. Nur einer schert aus: Salvatore Calleri, Präsident der nationalen
Anti-Mafia-Stiftung Antonino Caponetto in Florenz: "Leider ist das Thema
in der Toskana noch ein Tabu. Dabei sind auch kleine Skandale immer ein
Anzeichen dafür, dass neue kriminelle Organisationen in einer Gegend bereits
aktiv sind. Niemand hat vor zehn Jahren geglaubt, dass die Mafia im Norden
Italiens aktiv werden würde. Heute sitzt sie in Unternehmen,
Gemeindeverwaltungen wurden aufgelöst, Politiker, Unternehmer und Bürger
bedroht."