Mittwoch, 15. Juli 2015

Rundreise auf den Spuren der Mafia durch Sizilien

Eine Tour durch Sizilien führt zwangsläufig an Orte, die fest in der Hand der Mafia sind. Neben Spuren der „ehrenwerten Gesellschaft“ gibt es aber durchaus auch sehenswerte Stätten des Widerstands.

Schon nach zwei Nächten war sein Kopf weg. Verschwunden. Zerstört. Nichts sollte von Bürgermeister Bernardino Verro bleiben. Die Mafia von Corleone wollte mit dem Marmorbild auch das Gedächtnis der Bürger an einen der ersten und mutigsten Kämpfer gegen sie, die Cosa Nostra, auslöschen.




Erst 1985, ganze 70 Jahre nachdem Verro an seiner Haustür erschossen worden war, wagten es die Bürger von Corleone, diesem berühmtesten Mafia-Dorf Siziliens, Verros sichtbar zu gedenken. Eine Tafel erinnert seither an den Mann – und eine neue Büste im Stadtpark. Verro ist damit fast ein privilegierter Toter, für Hunderte andere gibt es keinen Stein. Viele haben nicht mal ein Grab. Sie verschwanden, wurden zerstückelt, in Säure aufgelöst.


Nach Corleone, 50 Kilometer südlich von Palermo, führen verschlungene Straßen. Der Ort ist zwar nur einer der Schauplätze dieses großen sizilianischen Dramas, aber Corleone ist der Inbegriff der Mafia. Hier war sie schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aktiv, von hier kamen die brutalsten Bosse.





Totò Riina und Bernardo Provenzano beispielsweise hatten Hunderte Morde zu verantworten. Der berühmteste Mafioso trägt sogar den Namen der Stadt: Don Vito Corleone, der von Marlon Brando gespielte Mafiaboss in "Der Pate". Sein Bild ist in Siziliens Souvenirshops auf Flaschen und T-Shirts allgegenwärtig. Mafia ist eben auch Kitsch.





Eine gute Vorbereitung ist wichtig


Sizilien auf den Spuren der Mafia zu bereisen erfordert Zeit, fünf bis sieben Tage sollte man sich nehmen. Sonst überlagert der Mythos von der "ehrenwerten Gesellschaft" die brutale Wirklichkeit der Verbrecherorganisation allzu leicht.


Und gute Vorbereitung ist wichtig. Den "Paten" sollte man mindestens gesehen haben, schon weil es erklärtermaßen der Lieblingsfilm vieler Mafiosi ist. Fortgeschrittene arbeiten sich durch die 576 Seiten von John Dickies "Cosa Nostra – Die Geschichte der Mafia". Dann weiß man, dass die Methoden der Organisation alles andere als ehrenwert sind.


Ob es eine Mafia gibt oder viele, darüber besteht kein Konsens. Ziemlich sicher ist, dass in der Regel nur ein Boss existiert, der Konkurrenten und deren Familien brutal verfolgt. Wer die Omertà – die Schweigepflicht gegenüber Staat und Gesellschaft – bricht, muss sterben. Verdiente die Mafia früher ihr Geld in der Landwirtschaft, indem sie von den Bauern Schutzgelder erpresste, organisierte sie im 20. Jahrhundert vor allem Immobilienspekulation und Drogenhandel.



Schutzgeld für die Dreharbeiten verlangt

Welchen Charakter die Mafia-Rundreise hat, hängt davon ab, ob Catania oder Palermo als Ausgangspunkt gewählt wird. Palermo steht für die Mafia-Realität, Catania und Umgebung für die filmische Verarbeitung. Ein Start in dieser Ecke ist in jedem Fall beruhigender. Wobei es zunächst nach Savoca im Osten der Insel geht.


Anfang der 70er-Jahre hatte die Crew von Regisseur Francis Ford Coppola einen Drehort für den "Paten" gesucht. Es sollte Corleone sein. Doch das Original war längst kein Dorf mehr, auch soll die Mafia für die Dreharbeiten Schutzgeld verlangt haben – "pizzo", das noch heute angeblich 80 Prozent der Geschäfte in Palermo entrichten.


So landete Coppolas Team in Savoca. Ein Baron hatte dazu geraten, weil das Dorf ziemlich genau den Beschreibungen des alten Corleone in der Romanvorlage entsprach. Und so wird heute das Bild eines typischen Mafia-Ortes von Savoca geprägt, obwohl die echte Mafia hier, wie im ganzen Osten Siziliens, keine große Rolle spielt.


Coppola war das egal. Er war angetan von Savoca, vielleicht auch, weil in der Nähe das mondäne Taormina liegt, das mit der Ruine des griechischen Theaters, über dem sich am Horizont der Ätna erhebt, die klassische Sizilien-Kulisse bildet.




Wohnen im Haus des Mafia-Jägers Montalbano


Aber auch Savoca, das sich über mehrere Hügel erstreckt, bietet typische Ansichten. Der Blick schweift von der Kirche San Nicolò hinab aufs Meer; im Film heiratet Al Pacino alias Michael Corleone in dem Gotteshaus. Am Ortseingang empfängt die "Bar Vitelli", umbenannt von der Filmcrew. Aus touristischen Gründen ist der Name geblieben.


Zum Filmset wurde auch der Süden Siziliens. Drei Stunden Autofahrt entlang der Küste sind es von Savoca in die Provinz Ragusa. Dort lebt in einem türkisfarbenen Haus am Meer im fiktiven Ort Vigata der fiktive Kriminalbeamte und Mafia-Jäger Salvo Montalbano, erfunden vom Autor Andrea Camilleri. Punta Secca heißt das Dorf in der Realität, das auf seinen Ortsschildern souverän mit Montalbanos Domizil wirbt.





Die Romane und die TV-Serie um Commissario Montalbano haben der Gegend einen Boom beschert. Vor allem das Wohnhaus des Polizisten ist ein beliebtes Pilgerziel. Dass das Haus eigentlich ein Hostel ist und kein Privatdomizil, ist eingefleischten Montalbano-Fans ganz recht, sie mieten sich hier gern ein und sind ihrem Helden damit noch näher.



Die "Plünderung Palermos"


Die "echte" Mafia findet man hingegen im Norden, in Palermo. Anders als der Inselsüden blieb Siziliens Hauptstadt bisher von schlimmen Erdbeben verschont, hier stehen noch immer die mosaikgeschmückten Kirchen der Normannen, die Sizilien im elften Jahrhundert beherrschten.


Während die Stadtführer lange vor allem dieses historische Palermo im Programm hatten, gibt es mittlerweile Spezialisten für die Mafia-Geschichte der Stadt. Sie führen ihre Gäste nicht nur zur "Antica Focacceria S. Francesco", weil es hier die besten Fladenbrote der Stadt gibt, sondern weil der Wirt sich als einer der Ersten in Palermo weigerte, Schutzgeld zu zahlen.


Mittlerweile sind viele gefolgt, fast 1000 Namen stehen auf der Liste, die sich im Internet unter addiopizzo.org einsehen lässt. Risikolos ist der Protest indes nicht. Der Erste, der Anfang der 80er-Jahre "no" sagte, wurde von der Mafia umgebracht.


In Palermo konnten und können die Mafiosi untertauchen und das große Geld machen. Ein Resultat dieser Geschäftemacherei war der Niedergang der Altstadt. Korrupte Bürgermeister verschacherten im Zusammenspiel mit der Mafia Baugrund im Zentrum und am Rande der Altstadt.


Die massive Grundstücksspekulation trieb viele Bürger in die neuen Vororte, ihre verlassenen Häuser im Zentrum verfielen zusehends. Von der "Plünderung Palermos" sprechen die Einheimischen bis heute. Ein dunkles Kapitel, das erst 1992 endete.



Staatsanwälte brauchen gepanzerte Wagen


Um die Hintergründe zu verstehen, begibt man sich am besten in einen solchen Vorort, und zwar an die Via Notarbartolo 1. Dort steht ein über den Bürgersteig auskragender Gummibaum. Seine Rinde ist kaum zu sehen. Dafür schlingen sich vergilbte Italienflaggen um den Stamm, er ist dekoriert mit Anti-Mafia-Plakaten und Fotos.


Es ist der Falcone-Baum. Er ist zu einem Symbol des Widerstands geworden, seit der Richter Giovanni Falcone, der dahinter wohnte, hier 1992 mit Ehefrau und Leibwächtern von der Mafia in die Luft gesprengt wurde. Wenige Wochen später traf es seinen Mitstreiter Paolo Borsellino. Die Fotos Falcones zeigen einen Mann mit wucherndem Schnurrbart, der herzhaft zu lachen verstand.


Falcone war es gelungen, das Vertrauen des Mafia-Abtrünnigen Tommaso Buscetta zu gewinnen, der zum Kronzeugen wurde. Seine Aussage, die ab 1986 in einem eigens gebauten Bunker zum größten Mafia-Prozess der Geschichte führte, brachte damals Hunderte Mafiosi ins Gefängnis. Falcones Erfolge versetzten der Mafia den bisher härtesten Schlag, entmachteten sie aber nicht. Sizilianische Staatsanwälte brauchen auch weiterhin gepanzerte Wagen und Leibwächter.



Tommaso Buscetta



An Falcones Geburtshaus erinnert nur noch eine Tafel auf einer riesigen Altstadt-Brache, die Resultat eines nie vollendeten und mafiös anmutenden Plans für eine Durchgangsstraße ist. Dagegen steht das Haus der Apothekerfamilie Borsellino im Stadtteil Kalsa noch. Neben dem Eingang prangt ein Schild. Es besagt sinngemäß, dass man 1993 ausgehend von diesem Haus damit begann, die Altstadt zu retten. Der gewaltsame Tod der beiden Helden der Justiz begründete also die Wiedergeburt des alten Palermos.



Macht die Mafia nicht Angst?


Tatsächlich ist es auf Sizilien inzwischen einfacher geworden, mit der Mafia zu leben. Das offenbart sich gerade dort, wo sie herkommt: in Corleone. Die Stadt mit ihren rund 11.000 Einwohnern liegt in einer hinreißenden Landschaft: eine Mischung aus Toskana und Moseltal.


Besonders lohnt sich hier ein Besuch im Weinbaubetrieb Vini del Sud von Maurizio Miccichè. Wer den Chef selbst antrifft, kann sich von ihm erzählen lassen, dass er es nur einem Vertrauensbruch eines Mafioso verdankt, als Kind nicht von der Cosa Nostra entführt worden zu sein.


Bei der anschließenden Weinverkostung wird Miccichè auch seinen San Luca Chardonnay ausschenken. Auf den ist er besonders stolz. Zu Recht, der San Luca ist ein charaktervoller Wein, der gar nicht nach seichtem Chardonnay schmeckt. Wer dem Winzer das sagt, macht ihm ein großes Kompliment.



Maurizio Miccichè - rechts


Die Leute in Corleone sind, wie Miccichè, sehr entspannt. Amüsiert reagieren sie, wenn man sie nach der Angst fragt, die sie hier doch täglich spüren müssten. Doch nicht einmal die jungen Leute der Organisation "Das andere Corleone" können oder wollen Geschichten von Bedrohung erzählen, obwohl sie eine mafiakritische Website betreiben und Stadtführungen mit Mafia-Bezug anbieten.


Es gehört inzwischen wohl zur Strategie der Mafia, solchen Widerstand zuzulassen. Selbst in Corleone gibt es seit diesem Jahr zwei Bäume am Marktbrunnen, die nach Falcone und Borsellino benannt sind. Erinnerung an die Gegner – damit kann die Mafia heute offensichtlich leben.



Rache ist süß


Ein Haus in Corleone symbolisiert die neuen Zeiten auf besondere Weise. Dort, wo sich Corleone an das umgebende Hochplateau schmiegt, an der Via Aldisio Salvatore, thront ein wuchtiges Gebäude, rosafarben, mit verschnörkelten Balkonen, von denen man einen schönen Blick ins Tal hat.





In der Regel steht Polizei davor. Das hat jedoch nichts mit seinem Erbauer, Mafia-Boss Totò Riina, zu tun. Vor aller Augen ließ der den Protzbau in den Jahren vor seiner Festnahme 1993 für sich und seine Familie errichten. Eingezogen ist er dort freilich nie. Sein Palazzo gehört heute dem Staat. Und der hat dort die "Guardia di Finanza" untergebracht, die Mafia-Jäger der Finanzpolizei. Rache ist eben süß.



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