Mittwoch, 29. Juli 2015

Mafiosi, Industrielle und Politiker verseuchen Italien mit Sondermüll

Funde von unsachgemäß verscharrten Industrie-Abfällen beunruhigten vor Jahren Italien und die Welt. Was ist daraus geworden? Eine Geschichte über billigen Müll, skrupellose Gangster - und die Folgen für Italien.




Italiens oberster Mafia-Jäger Franco Roberti stellt den Aschenbecher in seinem Büro auf eine offene Schreibtischschublade und raucht eine Zigarette nach der anderen. Mit seiner Feststellung, Giftmüll-Skandale gebe es nicht nur in der Region Neapel, sondern auch in der scheinbar von Kriminalität unberührten Toskana, wirbelte der Chef der Nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft gehörig Staub auf.

Vor allem in den 1990er Jahren blühte das Geschäft neapolitanischer Mafia-Clans mit dem Giftmüll. Industrieunternehmen aus Norditalien vertrauten den Gangstern gegen eine geringere Gebühr als marktüblich gern ihre Sonderabfälle zur Entsorgung an. Die Clans aus der Gegend zwischen Neapel und Caserta verklappten die giftigen Substanzen dann in den blühenden Obsthainen Kampaniens - wo sie bunt glitzernde Pfützen inmitten von Pfirsichplantagen hinterließen. Beide Seiten verdienten gut an diesem Geschäft. Die sachgemäße Entsorgung wäre die Unternehmen teurer zu stehen gekommen, während die Clans nur für den Transport aufkamen, nicht aber für fachgerechte Behandlung.


Chefermittler Roberti


Unter dem Eindruck der Giftmüllskandale verabschiedete Italiens Parlament mittlerweile ein Gesetz gegen Umweltvergehen. Wer den Straftatbestand der Umweltverschmutzung erfüllt, dem drohen bis zu 20 Jahre Haft, falls die Folgen der Tat Menschenleben fordern. Für irreversible Schäden an einem Öko-System ("Verursachung einer Umweltkatastrophe") drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Das erst im Mai diesen Jahres in Kraft getretene Gesetz schafft nach dem Vorbild von Kronzeugenregelungen Anreize zur Zusammenarbeit mit Ermittlern. Wer ihnen illegale Giftmülldeponien zeigt und Namen von Komplizen nennt, kann mit Strafnachlässen rechnen. Die giftigen Stoffe sind oft unter Großbaustellen, wie etwa der Schnellstraße nach Siena, vergraben.

Doch das Geschäft ist im Wandel: "Nachdem Giftmüll aus dem Norden 20 Jahre lang im Süden entsorgt wurde, transportiert die Camorra Abfälle mittlerweile in andere Regionen, vor allem in die Toskana, aber auch in Länder wie Rumänien und China", sagt Franco Roberti. Der Füller-sammelnde Staatsanwalt macht seine Notizen gern mit einem seltenen Füllfederhalter des italienischen Traditionsherstellers Delta, der in der Nähe der umstrittenen Müllverbrennungsanlage von Acerra bei Neapel beheimatet ist. Acerra ist seit dem Bestseller "Gomorrha" von Roberto Saviano über die Geschäfte der Camorra mit Müll, Drogen, Erpressungen und anderen lukrativen Wirtschaftszweigen international berüchtigt.




Aus der bei Urlaubern besonders beliebten Toskana stammt dagegen Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi. Der ehemalige Bürgermeister von Florenz verkörpert wie kaum ein anderer italienischer Politiker das Image des Saubermanns, der erst in seiner eigenen Stadt und nun im ganzen Land den Sumpf der Korruption trockenlegen will.

Keine einfache Aufgabe. In der Textilmetropole Prato bei Florenz nähen mittlerweile Chinesen, die teils unter menschenunwürdigen Bedingungen in fensterlosen Räumen hausen, billigste Kleidung. Die chinesische Textilmafia entdeckte jedoch auch den lukrativen Handel mit verunreinigten Textilien. Aus der einstigen Perle der italienischen Stoffherstellung in der Toskana wurden nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Florenz von 2011 tonnenweise verunreinigte Lumpen nach Herculaneum am Vesuv gebracht - und dort nicht, wie offiziell vereinbart, gereinigt und desinfiziert. Die Verantwortlichen wurden mit Haftstrafen von bis zu zweieinhalb Jahren belegt.

Ein Teil dieser Giftmüllskandale kam durch Aussagen von Kronzeugen ans Licht. So packte der einstige "Giftmüllminister" der neapolitanischen Camorra bereits 2008 aus, um Schutz vor Todesdrohungen seiner Komplizen zu erhalten: "Wir haben nie Schutzplanen ausgelegt, die austretenden Flüssigkeiten gelangten direkt in die Erde, dann haben wir Feuer gemacht, um Platz zu schaffen", sagt Gaetano Vassallo. "Nach dem Ende der Craxi-Ära bin ich zu Forza Italia gegangen", berichtet der Mafia-Kronzeuge über die Verbindungen des Casalesi-Clans zur Politik. "Aber wir haben mit allen Parteien Geschäfte gemacht." Das habe sich auch nicht geändert, als der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi den Müllnotstand von Neapel zur Chefsache erklärte und einen Regierungskommissar einsetzte.


Gaetano Vassallo


Damals erregten die Bilder brennender Müllberge in Neapel die Weltöffentlichkeit. Wegen mangelnder Kapazitäten in Deponien, Widerstands gegen neue Einrichtungen und zu wenig Mülltrennung wurden Abfälle in Verbrennungsanlagen unter anderem nach Deutschland gebracht. Indem sie die Müllberge auf der Straße anzündeten, sorgten die aufgebrachten Anwohner selbst für giftige Abgase.

Dass das Gift nicht nur in Süditalien schlummert, sondern auch in der für die Hügel des Chianti und Renaissance-Kunst bekannten Toskana, wollten viele Regionalpolitiker lange nicht glauben. Die Anti-Mafia-Stiftung "Antonio Caponnetto" wirft ihnen bis heute schuldhaftes Schweigen vor, das es den Clans umso leichter mache.




"Man zwingt sich, nicht zu sprechen, aus Angst vor Themen, die den guten Ruf der Toskana beschädigen könnten", meint Salvatore Calleri, der Vorsitzende der Stiftung mit Sitz in Florenz. "Wir laufen Gefahr, dass die Angst, über Probleme zu sprechen, die unsere Region früher nicht hatte, Mafia-Organisationen geradezu anlockt", warnt Caponnetto. "Es hilft der Mafia, wenn nicht über sie gesprochen wird."
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