Italiens oberster Polizeichef warnt vor gravierenden Auswirkungen auf die
öffentliche Sicherheit durch die von der Regierung in Rom beschlossenen
Ausgabenkürzungen. Darüber freut sich die Mafia - und ärgern sich die Bürger
und die Touristen.
Die alte Dame zieht einen 5- Euro-Schein aus ihrem Geldbeutel und steckt
ihn durch den Schlitz eines Schuhkartons. Eine freiwillige Spende.
"Sie sind doch unsere Schutzengel. Die Regierung
zahlt nicht mal mehr das Benzin, also müssen wir aushelfen, denn
wir brauchen sie doch."
Der Spendenaufruf galt nicht etwa einem gemeinnützigen Verein
oder der Caritas, sondern den Polizisten in der norditalienischen Stadt
Treviso. Weil der Staat kein Geld für Benzin und Personal hat, wurde der
Streifendienst um zwei Drittel gekürzt. Der Spenden-aufruf an die Bürger
sei nur symbolisch und auch völlig selbstlos gemeint, sagt
Fabio de Barba, Vertreter der Polizistengewerkschaft in Treviso:
"Mit dem Spendenaufruf wollen wir gar nicht so
sehr auf unsere armseligen Gehälter aufmerksam machen, sondern die Bürger
warnen, dass wir nicht mehr in der Lage sind einen ordentlichen Dienst zu
leisten.
Folgen der Sparmaßnahmen
Mario Montico , Sprecher der Staatspolizei, führt die unvermeidlichen
Folgen der staatlichen Sparmaßnahmen vor Augen:
"Die Kürzung der Mittel betrifft unmittelbar die
Sicherheit der Bürger. Wenn wir kein Benzin geliefert bekommen, dann können die
Streifenwagen auch nicht ausrücken. Das heißt viel weniger Einsätze und noch
weniger Streifenfahrten."
Italien muss massiv sparen, in allen Bereichen werden Budgets gekürzt, auch
bei der öffentlichen Sicherheit. Italien gibt nur noch 0,1 Prozent seines
Bruttoinlandsproduktes für die Innere Sicherheit aus, in Frankreich und
Deutschland ist es fünfzehn Mal mehr. Seit 2010 sind fast vier Milliarden Euro
bei den Ordnungskräften eingespart worden. Vor allem, beim Personal. Für zehn
Polizisten, die in den Ruhestand gehen, werden nur noch zwei Nachwuchskräfte
eingestellt. Dadurch hat die Zahl der Polizisten in den letzten
eineinhalb Jahren von 108.000 auf weniger als 95.000 abgenommen. Dafür
nimmt das Durchschnittsalter rapide zu und liegt jetzt bei 43 Jahren. Viele
Ordnungskräfte sind den physischen Anforderungen nicht mehr gewachsen. Ihre
Autorität leidet darunter erheblich.
In den Stadien werden
Ordnungshüter regelmäßig und meist ungestraft beschimpft und beleidigt.
Und auch gegen kriminelle Banden ist die Polizei machtlos, weil sie
zahlenmäßig unterlegen ist. Giuseppe Brugnano von der Polizeistation in der
süditalienischen Stadt Catanzaro beklagt sich bitter über die Einsparungen, die
die Polizei in eine gefährliche Defensive gedrängt haben.
"Wir nennen
uns zwar Staatspolizei, werden aber immer mehr vom Staat im Stich gelassen. Das
wird zu einem großen Problem bei uns in Italien und auch hier bei uns in
Kalabrien. Was hier vor ein paar Tagen in dieser Straße hier passiert ist, das
ist wirklich nicht mehr zu fassen. Da wurden die Vertreter der Staates, die
Ordnungshüter in Uniform, verprügelt und misshandelt von kriminellen
Bürgern."
Das sei inzwischen
längst kein Einzelfall mehr, sagt Giuseppe Brugnano:
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Giuseppe Brugnano |
"Die Zahlen
sind abenteuerlich, was das kontinuierlich steigende Risiko für Polizisten
im Einsatz anbelangt. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 2300 Beamte tätlich
angegriffen. Eine Tatsache, die von den Bürgern bisher überhaupt nicht wahrgenommen
wurde."
Job des
Polizisten wird immer gefährlicher
Der Job wird immer
gefährlicher, die Bezahlung dafür immer spärlicher. Ein junger Polizeibeamter
bekommt als Anfangsgehalt 1280 Euro brutto, das sind durchschnittlich 200 Euro
weniger als seine europäischen Kollegen bekommen. Das Höchstgehalt eines
italienischen Polizeibeamten liegt bei 1450 Euro netto. Doch der Staat ist mit
den Nachzahlungen für bereits erfolgte Gehaltserhöhungen schon seit zwei Jahren
im Verzug, bis die Nachzahlungen kommen bedeutet das reale finanzielle Einbußen.
Für Überstunden gibt es
nochmal knapp 10 Euro abzüglich der Steuern, für eine ganze Nachtschicht
32 Euro brutto. Kein Wunder, dass Polizeibeamte für ein solch schmales
Gehalt nicht auch noch Kopf und Kragen riskieren wollen.
Stundenlang sämtliche
Pubs der Reihe nach abklappern, immer alkoholisierter und lauter bis in die
frühen Morgenstunden – das ist ein beliebtes und angesagtes Hobby im warmen
Süden Italiens. Das Ganze findet zum Leidwesen von Bewohnern und
Besuchern meist im Freien, in den Altstadtstraßen statt und das Einzige, was
hier fehlt ist die Polizei, ärgert sich Taxifahrer Paolo in Palermo:
"Ein einziges
Chaos, und man sieht auch keinen einzigen Polizisten, der da mal für Ordnung
sorgt. Eine Verwahrlosung und natürlich Kriminalität, Drogen. Kein Wunder dass
die Touristen Angst haben abends in die Altstadt zu gehen. Die bleiben inzwischen
lieber in ihren ruhigen Hotels."
Angst vor der Illegalität
Marco Ragusa, ein junger Anwalt war anfangs glücklich in einem lebendigen
Stadtviertel von Palermo zu wohnen, jetzt will er umziehen. Er hat Angst vor
der Illegalität, die in diesen Krisenzeiten um sich greift. Überall fließt
Alkohol in Strömen, aber alle kommen mit dem Auto in die Kneipe, weil es keine
Alkoholkontrollen gibt. Und die Parkgebühren bekommt nicht die Gemeinde, sondern
die Mafia.
"Unsere historische Piazza ist fest in
Händen der illegalen Parkwächter, und die Polizei sieht tatenlos zu. Einer von
den Wächtern hat jüngst eine Polizistin tätlich angegriffen, am nächsten Tag
kamen ihre Kollegen und schlossen Frieden mit den Parkwächtern . Was da unter
der Hand abläuft, davon haben wir Bürger keine Ahnung."
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Anti-Mafia Ermittlerin Teresa Principato |
Die schmucken Uniformen der Carabinieri und die hie und da sichtbaren
blauweiß lackierten schnittigen Sportlimousinen der “Polizia”
vermitteln nach außen hin das Gefühl, der Staat kümmere sich
ausreichend um die Sicherheit der Bürger. Doch dieser Eindruck täuscht. Der
neue Regierungschef Matteo Renzi hat neue drastische Sparmaßnahmen
beschlossen. Demnächst sollen etwa 300 Polizeireviere geschlossen oder
zusammengelegt und dadurch weitere 700 Millionen Euro eingespart werden. Dabei
kann die Polizei schon jetzt in vielen Landesteilen die Aufgaben nicht mehr
erfüllen, die von ihr erwartet werden.
Allein in Rom sind Dutzende von Streifenwagen im Einsatz, die viele Jahre
und Hunderttausende von Kilometern auf dem Buckel haben und andernorts nicht
mal mehr durch den TÜV kommen würden. In Turin stehen 40 Prozent der
Polizeiautos nach Unfällen und Motorschäden still. In Scampia und
Secondigliano, den berüchtigten Camorra –Vierteln der Metropole Neapel herrscht
praktisch Anarchie. Die Drogenmafia regiert mit ungenierter Gewalt zwischen
grauen Vorstadtwohnblocks, immer wieder brechen blutige Kriege unter den Clans
aus, die um Marktanteile im Rauschgiftgeschäft kämpfen. Die Folge sind brutale
Morde, manchmal Dutzende in einem Jahr. In Neapel kommt ein Polizist auf
750 Einwohner.
Kameras werden außer Gefecht gesetzt
Die Einführung von Überwachungskameras erwies sich vielerorts als teurer
Flop. Wo die organisierte Kriminalität das Sagen hat, werden die teuren Kameras
regelmäßig außer Gefecht gesetzt. Andernorts sind noch weniger Polizisten
im Einsatz . In der Hauptstadt Rom kommt ein Polizist auf 1400 Einwohner , in
Florenz fahren nur noch vier Streifenwagen, 15 sind in der Werkstatt und können
aus Geldmangel nicht repariert werden. In Palermo, wo 600.000 Menschen leben,
sind am Wochenende nur zwei Einsatzwagen der Polizei unterwegs. Zur Freude der
Mafia , aber auch der ganz normalen Diebe und Räuber, sagt Taxifahrer Paolo.
"Wenn sie wenigstens nachts mehr Streifenwagen
einsetzen würden, dann gäbe es weniger Straßenraub, Einbrüche und
Diebstähle."
Die Wirtschaftskrise hat zu einem dramatischen Anstieg der
Kriminalität im vergangenen Jahr geführt. In Mailand haben sich die Banküberfälle
verdoppelt, in Catania auf Sizilien sogar verdreifacht. Fast überall in Italien
haben Einbrüche und Überfälle in Privatwohnungen deutlich zugenommen. Und
die Zukunftsaussichten sind aufgrund der Sparpläne der Regierung düster,
bestätigt Italiens oberster Polizeichef Alessandro Pansa:
"Bei mir laufen ständig Anfragen aus
verschiedenen Städten ein, mehr Polizei einzusetzen, damit sich die
Bürger sicherer fühlen. Wir können nirgendwo mehr für Sicherheit sorgen,
sondern höchstens verhindern, dass sie allzu drastisch abnimmt. Natürlich ist
es undenkbar, dass wir mit 15.000 Polizisten weniger in diesem Jahr den
gleichen Sicherheitsstandard garantieren können wie in den vergangenen
Jahren."
Um die Bürger in Sicherheit zu wiegen sind vor über 5 Jahren von der
damaligen Berlusconi-Regierung gemischte Polizeistreifen eingeführt
worden. Etwa 4000 bewaffnete Sol-daten in Kampfanzügen begleiten Polizisten auf
ihren Rundgängen, ohne dass sie jedoch dafür speziell ausgebildet sind. Für die
Aktion "Strade Sicure – Sicherheit auf den Straßen" wurden im
vergangenen Jahr noch einmal 60 Millionen Euro bereitgestellt.
Die nach Meinung der Polizeigewerkschaften sinnvoller hätten ausgegeben
werden können. Zum Beispiel, um Schutzhelme der Polizei zu erneuern, die schon
25 Jahre lang in Gebrauch sind. Oder für die Anschaffung von 24 Millionen
Patronen für die dringend notwendigen Schießübungen. Und für den Ersatz von 12
000 veralteten kugelsicheren Westen. Ganz zu schweigen von den ausstehenden
Mietzahlungen in Höhe von 50 Millionen Euro für Polizeireviere, die sich
in angemieteten Räumen befinden.
Kugelsichere Luxuslimousinen mit
Blaulicht
Völlig unberührt von dieser drastischen Sparpolitik sind dagegen die
Lieblingsspielzeuge von italienischen Politikern und angeblich gefährdeten
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens: kugelsichere Luxuslimousinen mit
Blaulicht, Chauffeur und Leibwache, in denen man sich unbehelligt von
Verkehrsstaus und Geschwindigkeitsbegrenzungen fortbewegen kann. Während im
Nachbarstaat Österreich nur der Staatspräsident und der Kanzler über eine
Leibwache verfügen, lassen sich in Italien nicht nur sämtliche Spitzenpolitiker,
sondern auch ehemalige Parlamentspräsidenten, Parteichefs, ja sogar Showmaster
und jede Menge Journalisten bewachen, seit sie irgendwann einmal anonyme
Mafia-drohungen erhalten haben.
Es gibt Gerüchte, über rein erfundene Überfälle und Bedrohungen. Die
Eskorte ist in den meisten Fällen nur noch Statussymbol und wird in der Regel
zu einer unnützen und teuren Dauereinrichtung. 2000 oft nagelneue
Luxusfahr-zeuge - mit Vorliebe aus deutscher Produktion – mit 4000
Polizisten als Besatzung sind oft rund um die Uhr im Einsatz, begleiten
Politikergattinnen zum Einkaufen und Journalisten zu Galadiners und kosten den
italienischen Steuerzahler mehr als eine Viertelmilliarde Euro im Jahr. Nicola
Gratteri, Antimafia – Staatsanwalt in Reggio di Calabria ist darüber
empört.
"Mich widern diese teuren Staatskarossen an, mit
ihren acht und 12 Zylindern. Die sind unmoralisch und zu nichts nütze. Es
macht überhaupt keinen Sinn, diese Riesenschlitten anzuschaffen, wo wir
doch nicht mal das Benzingeld für Gefangenentransporte haben. Viele
Mafiaprozesse bei uns in Reggio Calabria können gar nicht oder nur mit
Verspätung stattfinden, weil wir nicht genügend Autos haben, um die Angeklagten
aus der Untersuchungshaft ins Gerichtsgebäude zu transportieren."
Nicola Gratteri war kurzzeitig im Gespräch als Justizminister der neuen
Regierung von Matteo Renzi. Seine Vorschläge zur radikalen Streichung
bestimmter Privilegien haben ihn wahrscheinlich das Amt gekostet. Die wirklich
bedrohten Staatsanwälte und Richter an der Mafiafront müssen sich oft mit arg
ramponierten Gebrauchtfahrzeugen aus dem kugelsicheren Fuhrpark der Politiker
begnügen. In Palermo haben ehrbare Bürger per Facebook eine Spendenaktion zur
Anschaffung eines so genannten “Jammers” gestartet.
Damit lässt sich die Fernzündung einer Autobombe verhindern, die die Cosa
Nostra der Anti-Mafia Ermittlerin Teresa Principato jüngst angedroht hat. Für
dieses Gerät hat der Staat kein Geld, während der vormalige sizilianische
Regionspräsident Raffaele Lombardo weiterhin Personenschutz bekommt, obwohl er
soeben für seine Verbindungen zur Mafia in erster Instanz zu mehreren Jahren
Haft verurteilt wurde. Solch schamlose Verletzungen des Gefühls für Recht und
Gerechtigkeit unterhöhlen nach Meinung von Staatsanwalt Nicola Gratteri
die Fundamente des Rechtsstaates:
"Bei den Bürgern macht sich die allgemeine
Auffassung breit, dass man in Italien alles irgendwie hinbiegen kann. Und
dass es keine endgültige Gerechtigkeit gibt. Nicht mal nach einem
Urteil, dass im Namen des Volkes gesprochen wurde. Das ist gravierend."
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