Das ländliche Idyll trügt. Im kalabrischen Dörfchen Fabrizia verstecken
sich ganz üble Burschen. Mit Kontakt in die Schweiz.
Der Weg führt durch
Kastanienwälder. Weg von der Küste in die einsame Natur der Serra. Die Straße
hat tiefe Narben. Wir fahren im Zickzack um die Schlaglöcher. Unser Ziel: das
Mafia-Nest im kalabrischen Fabrizia (I). Im 2314-Seelen-Ort des gebirgigen
Hinterlandes wurde die Frauenfelder Zelle der ’Ndrangheta organisiert, von hier
aus wurden die Fäden zur Spitze der kalabrischen Mafia gesponnen. Man schätzt,
dass etwa 80 Prozent der Einwohner zur Mafia-Familie gehören. Auch die zwei am
22. August in Italien verhafteten Thurgauer, Chauffeur Antonio N.* (65) und
Taxifahrer Raffaele A.* (74), stammen von hier.
Fabrizia scheint ein Ort wie jeder andere. Kirche, Schule,
Bäcker, Metzger, Kriegerdenkmal. Ein Café, in dem die Männer hocken, die
Hauptstraße im Blick. Die gefährliche Seite des Dorfes erkennen wir am
Ortsschild: «Willkommen in Fabrizia», steht auf Deutsch darauf. Daneben
Einschusslöcher und blutrote Farbtropfen. Vermutlich Überbleibsel der
Mafia-Fehde von 2003 bis 2005 im Ort. Bilanz damals: zwei tote Bosse. Ein
Cousin von Antonio N. entkam nur knapp einem Attentat.
Wir geben uns als Touristen aus. Nicht auffallen, keine
Interviews machen, hat uns der Polizeichef geraten. Die ’Ndrangheta sei sehr
aggressiv. Vor einer Woche sei in Kalabrien ein deutsches TV-Team bedroht,
zuvor ein italienischer Kollege mit Fußtritten aus der Kirche befördert worden.
Wir halten uns an den Rat.
Antworten gäbe es eh keine. Hier herrscht Omertà, die Schweigepflicht der
Mafia. Als wir bei einer Häuserzeile anhalten, kommt ein Mann auf uns zu.
«Nicht fotografieren! Wer seid ihr? Wo kommt ihr her? Ein weißer Fiat Panda
folgt uns. Er hält, als wir anhalten. «Sie kontrollieren jeden, der nicht aus
dem Dorf stammt», sagt der Journalist Francesco Ranieri (37), der schon bedroht
wurde.
In Fabrizia haben immer
mächtige Männer geherrscht. Erst Prinz Fabrizio im 16. Jahrhundert, welcher dem
Ort den Namen gab. Der letzte war Mafia-Boss Giuseppe Antonio Primerano (69).
Er wurde 2013 zu 13 Jahren Haft verurteilt. Der Schweizer Antonio N. rapportierte
direkt an ihn.
Die kalabrische Mafia wird hierarchisch geführt. Der Spitze, dem
Crimine, unterstehen drei Organisationen, die Mandamenti: Reggio Calabria,
Tirrenica, Ionica. Das Mafia-Nest Fabrizia zählt zur Tirrenica. Sie ist für den
Kokainhandel zuständig, auch international. Sollte Frauenfeld zum
Drogenumschlagplatz werden? Im von der Bundesanwaltschaft in Wängi TG
aufgenommenen Video spricht Antonio N. zu den Mitgliedern: «Arbeit ist da.
Erpressung, Kokain, Heroin. Zehn Kilo, 20 Kilo. Bring ich euch. Persönlich.»
Fabrizia – verborgen in kalabrischen Kastanienwäldern. Fremd und
fern. Und doch erschreckend nah zur Schweiz.
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