Dienstag, 18. Juni 2013

Mafia-Prozess in Boston: "Ich schoss ihm ins Herz"

Zwei böse Greise vor Gericht: Der legendäre Gangsterboss James "Whitey" Bulger muss sich wegen 19 Morden verantworten. Johnny Martorano, der "Schlächter aus der Basin Street", sein einstiger Vollstrecker und jetziger Erzfeind, belastet ihn schwer. Ein filmreifes Spektakel.


Gangster Johnny Martorano (2008): "Der Schlächter aus der Basin Street"


Der Killer ist in die Jahre gekommen. Schnaufend durchquert Johnny Martorano den Gerichtssaal und sackt in den Zeugenstand. Seine Miene ist gequält, widerwillig, sein Blick nach unten gerichtet. "Morgen", brummt er, das "Guten" spart er sich. Das, was er hier zu erzählen hat, ist alles andere als gut.

Johnny Martorano, 72, ist auch noch unter anderen Namen bekannt. Etwa "Der Henker". Oder "Der Schlächter aus der Basin Street". 20 Morde hat er gestanden, eine beliebige Zahl, in Wahrheit waren es viel mehr. So viele, dass er am Ende selbst keinen Überblick mehr hatte.

 Es wird mucksmäuschenstill. Dies ist der Moment, auf den sie alle warten. Der Moment der Wahrheit. Zumindest der Wahrheit, wie ein eiskalter Killer wie Johnny Martorano sie sieht.
Der Kronzeuge meidet den Blick des Angeklagten. Sie waren mal beste Freunde. "Partners in crime", wie Martorano ohne jeden Anflug von Ironie sagt: Komplizen im Leben und im Geschäft. Dann kam ein Verrat, "es brach mir das Herz", seither sind sie Erzfeinde, und nun folgt die Stunde der Abrechnung.


Der Ex-Gangster und sein Ex-Vollstrecker

Der Angeklagte ist James "Whitey" Bulger, 83, Bostons legendärer Gangsterboss der siebziger und achtziger Jahre. Nach 16-jähriger Flucht ging er den Fahndern 2011 ins Netz, seit voriger Woche wird ihm der Prozess gemacht: Erpressung, Drogenhandel, Geldwäsche, Raub, illegaler Waffenbesitz und was sonst noch alles so dazugehört zum organisierten Verbrechen.

Und natürlich, nicht zu vergessen, 19 Morde.




Als erster Belastungszeuge der Anklage soll Martorano ihn nun ans Messer liefern. Ihm diese Morde anhängen wie einen Betonklotz, der ein Mafia-Opfer ins nasse Grab zieht. Im Gegenzug musste er selbst nur zwölf Jahre für die Morde absitzen.

Es ist ein filmreifes Bild: Der Ex-Gangster und sein Ex-Vollstrecker, vereint in Saal 11 des Bostoner US-Bezirksgerichts, im wohl letzten großen Prozess ihrer Branche. Beide sind zu Greisen reduziert, zu Schatten ihrer selbst.

Der gedrungene Bulger - die reale Vorlage für Jack Nicholsons Schurke im Kinothriller "Departed - Unter Feinden" (2006) - sitzt wie versteinert da. Martorano trägt eine dicke Brille und hört schlecht. "Wie bitte?", nuschelt er oft.


Schreckensherrschaft über Boston

Staatsanwalt Fred Wyshak steuert ihn mit Fragen durch eine Darstellung seiner blutigen Karriere. Martorano erfüllt die Pflicht als larmoyanter Buchhalter: Eine Hinrichtung nach der anderen lässt er Revue passieren - eine Schreckensherrschaft, die Boston bis heute bannt, ausgeführt mit der Mentalität von Berufskillern, in aller Banalität ausgebreitet

Sie waren unzertrennlich: Martorano, Bulger und Bulgers rechte Hand, Stephen "Rifleman" Flemmi, der später ebenfalls für die Anklage aussagen soll. Erst nach seiner Verhaftung 1995 erfuhr Martonaro, dass seine engsten Freunde nebenher FBI-Informanten waren.


Stephen "Rifleman" Flemmi

"Sie brachen jedes Vertrauen", erinnert er sich an seinen Schock damals. "Jede Loyalität." Und das besiegelte das Ende des Mörder-Trios.

Gemeinsam terrorisierten sie Boston, von Kneipen aus, die "Luigi's" hießen, "Sugar Shack" und "Basin Street Club". Mehrere Gangs stritten um die Herrschaft, es waren blutige Revierkämpfe, bis Bulgers "Winter Hill Gang" siegte. Wer im Weg stand, überlebte nicht. Das Motto, so Martorano: "Macht mit uns Geschäfte - oder macht gar keine Geschäfte."

Anfangs arbeitete Martorano auf eigene Faust. Assistiert von Staatsanwalt Wyshak, rezitiert er seine Opfer wie Stationen eines Lebenslaufs. Bobby Palladino: 15. November 1966. Johnny Jackson: 28. September 1966. Herbert Smith: 6. Januar 1968. Ronald Hicks: 19. März 1969.


"Er war der Falsche?"

Später mordete er, wie er behauptet, im Verbund mit Bulger. Zum Beispiel Al Notarangeli: Martorano beschreibt, wie er den Rivalen 1974 im Auftrag Bulgers in eine Falle gelockt und umgebracht habe: "Ich schoss ihm ins Herz." Bulger habe Flankenschutz geleistet.

Zuvor mussten aber noch zwei Unschuldige sterben, die Martorano fälschlicherweise für Notarangeli hielt. Darunter Barkeeper Michael Milano: "Er war der Falsche?", fragt Wyshak. "Der Falsche", murmelt Martorano ungerührt.



Auch da sei Bulger mit dabei gewesen - wie beim Mord an Notarangelis Bruder Joe: Den erschoss Martorano 1973. James O'Toole, einen weiteren Gegner, hätten sie auf offener Straße erledigt: "Er stand hinter einem Briefkasten, ich lehnte mich darüber und schoss."

So geht es weiter, einer nach dem anderen. Bulger habe die Entscheidung als Anführer stets abgesegnet und meist auch mitgemacht.

Am Ende reicht der Verhandlungstag nicht aus. An diesem Dienstag soll Martorano seine Aussage fortsetzen, auch im Kreuzverhör der Verteidigung, die ihn als unglaubwürdigen Verräter darstellen will. Als er den Gerichtssaal verlässt, würdigt Bulger ihn keines Blickes.

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