Donnerstag, 27. Juni 2013

"Zum Killer muss man geboren sein"

Die 'Ndrangheta deckt sich seit Jahrzehnten in Zürich mit Waffen ein. Ein Insider berichtet, wie das Geschäft läuft – und welche Rolle ein dubioser Honorarkonsul spielt

Giuseppe di Bella ist einer der wenigen Männer, der die kalabrische Mafiagruppe 'Ndrangheta lebend verlassen hat. Ein halbes Jahrzehnt lang hielt er der Verbrecherorganisation die Treue und arbeitete für den 'Ndrangheta-Boss Franco Coco Trovato.


Franco Coco Trovato
 
 
Der war der kalabresische Pate aus dem Süden, der den Norden Italiens von der Lombardei bis Veneto mit Blut kolonisierte: Durch Erpressungsgelder aus dem Süden, durch Korruption in der Polizei des Nordens und wenn es wirklich hart wurde, einfach durch Blei.
 
Mittlerweile kooperiert di Bella mit der italienischen Justiz. Und was er zu erzählen hat, zeigt, dass die Schweizerische Bundespolizei Fedpol 30 Jahre Rückstand aufzuholen hat, wenn sie – wie vor wenigen Tagen geschehen – verkündet, dass sie die Italo-Mafiosi in der Schweiz seit drei Jahren intensiv beobachte und nun auch Waffenhandel auf dem Schirm habe.


 
 
In ihrem Buch "Metastasi" halten der italienischen Journalist Gianluigi Nuzzi und der Autor Claudio M. Mancini die Lebensgeschichte Giuseppe di Bellas fest. Die darin veröffentlichten Geständnisse di Bellas werfen ein Licht auf die Rolle, welche die Schweiz und insbesondere Zürich in den blutigen Mafiafehden in Italien spielen: Denn in der Schweiz besteht ein Waffenmarkt, in dem sich die Mafiosi nicht einmal im Verborgenen bedienen müssen.
 

Liberaler Waffenhandel in der Schweiz


Die Schweiz ist im Bereich Waffenhandel eines der liberalsten Länder der Welt. Nicht von ungefähr findet man bei der Recherche zu Gewaltverbrechen immer wieder Spuren in die Schweiz. Der letzte spektakuläre Fall war die ostdeutsche Neonazi-Zelle NSU, die bundesweit gemordet haben soll. Die Erschossenen starben durch eine aus der Schweiz besorgten Pistole.
 
Was di Bella erzählt, macht deutlich, dass die Waffengeschäfte keineswegs Einzelfälle sind. Die 'Ndrangheta hat mit der Achse Schweiz-Italien ein feinmaschiges Netz aufgezogen, das Gelegenheit bietet, alle möglichen Arten krimineller Organisationen mit Waffen zu beliefern.
 
Bereits im März 1990 deckten italienische Behörden auf, dass in nur sechs Monaten über 200 Maschinengewehre und ebenso viele Maschinenpistolen illegal aus der Schweiz nach Italien eingeführt wurden. Die Waffen wurden später in Bandenkriegen, Überfällen auf Geldtransporter, Bank- oder Postfilialen verwendet.


Honorarkonsul von Honduras im Fadenkreuz


1991 gerät Friedrich Leopold Renfer-Kempf, Honorarkonsul von Honduras in der Schweiz, ins Visier der Schweizer Ermittler. Ursprünglich wegen eines Uran-Deals, als versucht wurde, 30 Kilogramm Uran in ein Balkanland zu transportieren.
 
Die beiden italienischen Journalisten schreiben in ihrem Buch: "Zwei Jahre später, im Sommer 1993, fällt sein Name erneut, als ein Kronzeuge über die Geldgeschäfte der Brüder Salvatore, zwei herausragende Mitglieder der Cosa Nostra, auspackt. Renfer wäscht für die Brüder offensichtlich Geld und handelt im Auftag der Familie mit Waffen und Uran.
 
Er arbeitet nicht exklusiv für eine Familie. Von seinem Konsularbüro in Zürich aus wäscht er jahrelang das Geld der mächtigsten 'Ndrangheta-Clans der Lombardei." Die Mafia gab es ja laut offizieller Verlautbarung damals nur im Süden Italiens.
 
Renfer-Kempf ist der klassische Geschäftsmann, der Beziehungen zu afrikanischen Diktatoren ebenso unterhält wie zu ehemaligen Sowjet-Generälen. Er kauft bei ihnen Waffen, leitet sie auf den Schwarzmarkt um und speist sie gleichzeitig einen Teil in legale Kanäle ein, um dem ganzen Geschäft einen offiziellen Anstrich zu geben. "Waffen, die dann über 'Vertrauenspersonen' unter den Waffenhändlern an die 'Ndrangheta verscherbelt werden", so die Autoren von "Metastasi".


1979 zum ersten Mal in Zürich auf Einkaufstour


Giuseppe die Bella berichtet: "Zum Killer muss man geboren sein, und das bin ich nicht. Waffen organisieren und verkaufen, das ja. Mir war gleich klar, dass dieser Job mir liegt, als ich 1979 zum ersten Mal in die Schweiz fuhr. Bis dahin hatte ich mir meinen Lebensunterhalt mit Geldeintreiben und ein paar Gelegenheitsjobs für den Clan verdient.
 
Anfang Sommer 1979 fahren wir mit zwei Autos nach Zürich. Wir fahren zu einem großen Waffengeschäft am südlichen Stadtrand von Zürich. Dort wartet der Besitzer auf uns. Er ist italienischstämmig und hat, wie man sagt, Beziehungen zu einigen Geldverleihern vom Spielkasino in Campione und zu Schweizer Kleinbanken. Offensichtlich auch zu Coco Trovato.
 
Wir haben einen kleinen Koffer mit 15 Millionen Lire dabei. Für diesen Betrag bekommen wir vom Waffenhändler 40 Pistolen: Beretta 70, Kaliber 7,65, und ein paar Revolver Kaliber 38 Special. Wir laden sie in den Kofferraum eines einzigen Wagens, eines Alfetta. Es hat alles Platz, weil wir keine Munition kaufen.
 
Wir fahren sofort zurück zur Grenze bei Chiasso. Halten nur kurz zum Essen. Schließlich müssen wir noch bei Tageslicht den Zoll erreichen. Der Alfetta mit vier Personen an Bord biegt zehn Kilometer vor der Grenze nach Mendrisio ab. Ein kleines Sträßchen führt nach Stabio hoch. Dann endet der Weg. Zwei von uns steigen aus. Sie laden die Waffen auf den Rücken und überqueren den Grenzübergang auf dem Weg, den normalerweise die Schmuggler benutzen."


 
 
"Zwei Tage später liefern wir die 40 Pistolen an drei sizilianische Freunde und erhalten dafür 30 Millionen Lire. Unsere Freunde bringen die Waffen zuerst nach Reggio Calabria, dann nach Palermo. Wir teilen das Geld unter uns auf und kehren einen Monat später nach Zürich zurück. Im Monat darauf nochmals, insgesamt drei Mal. Das Ganze wird zur Routine. Der Schweizer Waffenhändler meldet nach unseren Treffen einen Waffendiebstahl bei der Polizei und erhält so auch noch Geld von der Versicherung. Ein narrensicheres System."
 
 
 

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