Donnerstag, 24. Juli 2014

Kirche und Mafia: Kniefall vor den Verbrechern

Papst Franziskus will die Mafia aus seiner Kirche jagen, doch so einfach ist das nicht. In Süditalien werden Mafiosi und ihre kirchlichen Helfer weiter öffentlich verehrt - wer darüber berichtet, riskiert sein Leben.




Don Nuccio Cannizzarro ist ein treuer Pfarrer, er steht nicht nur treu zu Gott, sondern offenbar auch zu irdischen Mächten. Er war angeklagt in Reggio Calabria, der Hauptstadt Kalabriens, weil er laut Anklage eng mit der Mafia kooperiert haben soll. Außerdem hat der Priester in einem abgehörten Telefongespräch zugegeben, vor Gericht zugunsten eines Mafiabosses gelogen zu haben. Dennoch wurde Don Nuccio vorige Woche von einem Richter freigesprochen: Die Kooperation mit der Mafia war nicht zu beweisen, die Falschaussage verjährt.

Don Nuccio Cannizzarro


Was dann folgte, kann als Verhöhnung der päpstlichen Ideale bezeichnet werden: Die Gemeinde feierte ihren Pfarrer nach dem Freispruch mit Feuerwerk und Autokorso.

Mitte Juni hatte Franziskus so deutlich Klartext gesprochen wie kein Papst vor ihm. Die Mafia sei "die Bewunderung des Bösen, die Missachtung des Gemeinwohls", sagte er in der Ebene von Sibari, in Kalabrien, der Heimat der 'Ndrangheta-Clans. Gegen die Mafia müsse "angekämpft werden". Damit nicht genug: Mafiosi, sprach das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, "sind exkommuniziert".


Obolus vom Mafiapaten

Schon zwei Wochen später zeigte sich in Oppido Mamertina, wie es um den päpstlichen Einfluss in dieser Sache bestellt ist: Nicht weit entfernt vom Schauplatz der päpstlichen Anti-Mafia-Rede hielt eine kirchliche Prozession samt mitgeführter Madonna genau vor dem Haus des lokalen 'Ndrangheta-Bosses Giuseppe Mazzagatti. Die Männer, die die riesige Statue trugen, neigten diese leicht nach vorne - ein "Kniefall" der Muttergottes zu Ehren des wegen Mordes verurteilten, aber aus Altersgründen zu Hausarrest begnadigten Clanchefs.

Der Carabinieri-Chef verließ unter Protest die Prozession, der Pfarrer und der halbe Gemeinderat blieben. Ein Journalist schrieb über das Ereignis, landesweite Aufregung war die Folge. War das denn nicht das Gegenteil dessen, was der Papst kurz zuvor von seiner Kirche gefordert hatte? Und der Priester scherte sich gar nicht darum?



Ein paar Tage später und ein paar Dörfer weiter, in San Procopio und Scido, immer noch Kalabrien, eine andere Prozession, ein anderer 'Ndrangheta-Boss - ansonsten das gleiche Bild: Die Prozession stoppt zu Ehren des 70-jährigen Nicola Alvaro vor dessen Haus. Die Gattin des Mafia-Paten kommt heraus, berichtet die Lokalzeitung "Quotidiano della Calabria", entrichtet ihren Obolus, und die kirchliche Karawane zieht zufrieden weiter.


Kirche und Mafia - eine alte Liebe

Und der Papst? Lässt er sich das alles gefallen? Er mag sich grämen. Aber so einfach, wie er vielleicht dachte, wird es nicht sein, die Mafia aus der Kirche zu vertreiben. In vielen süditalienischen Gemeinden kontrollieren die Gangster-Clans alles, auch die Kirche. Und viele Priester finden das völlig okay. Denn die meisten Mafiosi sind treue Söhne von "Mutter Kirche".



Am Sonntag gehen sie brav zur Messe, sitzen ganz vorne, beten und spenden reichlich, wie es sich für gute Christenmenschen gehört. Und so sehen sich die meisten Mitglieder der Mafia auch, ob aus der sizilianischen Cosa Nostra oder der 'Ndrangheta in Kalabrien: als brave, gute Katholiken. "Wir sind Christen", sagte einst der Mafiaboss Leonardo Messina, "deshalb töten wir nicht am Freitag."

Die Mafia, so der kalabrische Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho, sei gesellschaftlich überall präsent und bestimme "jegliche Aktivitäten in ihrem Gebiet, auch die religiösen". Sie leitete somit natürlich auch "mehr oder weniger direkt kirchliche Prozessionen und Feste".

Das zeigt sich an vielen Orten. In Vibo Valentia, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in Kalabrien, haben die für Sicherheit und Ordnung zuständigen Behörden jetzt die geplante Prozession der Heiligen Madonna del Carmine abgesagt. Ein anderes Mittel sahen sie nicht, um zu verhindern, dass auch diese Muttergottes-Figur vor dem Haus des örtlichen Mafia-Chefs ihren "Kniefall" leisten muss. Denn zumindest ein Teil der Madonna-Träger gehört zur 'Nrangheta.




Und in Oppido Mamertina, dort wo der Madonnen-Missbrauch zugunsten des Clanchefs Mazzagatti landesweit für Aufsehen sorgte, hat der Bischof jetzt alle weiteren Prozessionen in seiner Diözese gestrichen. Lieber absagen, was nicht zu steuern ist, so die Devise. Tatsächlich ist es eine Kapitulation, ein Kniefall vor der Mafia.


Neue Papst-Reise ins Mafia-Gebiet

Dass die 'Ndrangheta nun ihrerseits drastisch reagieren will, erfuhr die Anti-Mafia-Einheit der italienischen Polizei in einem abgehörten Telefongespräch zweier Clanmitglieder. Die sprachen über Michele Albanese, den Reporter der Regionalzeitung "Quotidiano del Sud", der als Augenzeuge über den Marien-Kniefall in Oppido Mamertina berichtet hatte. Was die Polizisten dabei hörten, ließ keinen Zweifel offen: Die Gangster planten einen Anschlag auf den Journalisten. Seitdem steht er unter Polizeischutz, darf das Haus nur verlassen, wenn ein gepanzertes Fahrzeug vor der Tür auf ihn wartet.


Und der Papst? Der reist Ende dieser Woche gleich zweimal in ein anderes berüchtigtes süditalienisches Mafia-Gebiet, nach Caserta, in Kampanien. Dort regiert die Camorra, und sie ist nicht weniger zimperlich als die kriminellen Gesinnungsgenossen der Cosa Nostra und der 'Ndrangheta. Am Donnerstag will Franziskus dort zum Gedenktag der Heiligen Anna eine Messe lesen, zwei Tage später den protestantischen Pastor Giovanni Traettino besuchen. Gute Gelegenheiten, um zu erklären, wie er sich den weiteren Kampf gegen die Mafia-Infiltration in seiner Kirche vorstellt.

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