Sonntag, 31. Januar 2016

Mafia-Boss Don Aniello in Stuttgart vor dem Schwurgericht

Vor 20 Jahren hat die italienische Familie M. unter ihren Landsleuten mit Schutzgelderpressung für Angst und Schrecken gesorgt. Jetzt steht ein Clan-Mitglied, das damals geflüchtet war, vor dem Landgericht Stuttgart. Wird sein Bruder ihn entlasten?




Ein ehemaliger Mafioso, der zurzeit in Mailand im Gefängnis sitzt und der 1997 in Stuttgart zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, soll’s richten. Aniello M., älterer Bruder des vor der 16. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart angeklagten Enrico M., soll irgendwie als Zeuge vernommen werden – entweder in persona in Stuttgart oder wahrscheinlicher per Videoschaltung. Es geht um das ruchlose Treiben der Familie M. im Raum Stuttgart vor 20 Jahren.

Damals hatte der Clan, der aus dem Städtchen Quindici nahe Neapel stammt und das als Camorra-Hochburg galt, unter ihren Landsleuten Angst und Schrecken verbreitet. Der Clan hatte, nachdem es dem Oberhaupt Francesco M. in der Heimat zu heiß geworden war, ein Import-Export-Geschäft in Feuerbach gegründet. Schon nach kurzer Zeit wurde klar, dass diese Firma nur Fassade war. Das eigentliche Geschäft der Familie M. war Schutzgelderpressung, gesteuert von Francesco M., der in Italien unter anderem einen Bürgermeister erschossen haben soll, und organisiert und in die Tat umgesetzt von Sohn Aniello, der sich „Don Aniello“ nennen ließ.


Schüsse und Brandanschläge

Die Erpressungen eskalierten in Brandanschlägen auf Geschäfte zahlungsunwilliger Inhaber und eine versuchte Entführung. Drangsaliert wurden Reifenhändler, Pizzeriabetreiber, Lebensmittelhändler und Eiscafé-Inhaber. Diese mussten Schutzgeld zahlen, Ware gratis liefern, Bürgschaften über mehrere zehntausend D-Mark übernehmen. Stellten sich die Opfer quer, gingen Firmenwagen in Flammen auf, wurde der Besuch von Mafiakillern avisiert, flogen Molotowcocktails.

Der traurige und lebensgefährliche Höhepunkt: Im September 1995 schoss einer der Brüder der Familie M. von einem Motorrad aus sechsmal in ein Eiscafé in Markgröningen, in dem sich Gäste aufhielten. Niemand wurde verletzt.

Im aktuellen Prozess geht es darum, ob der 43-jährige Enrico M. in die kriminellen Machenschaften involviert war. Der Angeklagte hatte sich vergangenes Jahr den deutschen Behörden gestellt, um den noch bestehenden Haftbefehl aus der Welt zu schaffen. Familienpatriarch Francesco M., Sohn Aniello und weitere Komplizen waren im Juli 1997 vom Stuttgarter Landgericht verurteilt worden – Francesco M. zu dreieinhalb Jahren, Aniello zu zwölf Jahren Gefängnis.


Verurteilter Bruder will aussagen

 

Verteidiger Hans Bense will nun Aniello M. und einen weiteren Mann, der damals mit von der Camorra-Partie war, als Zeugen hören, um Enrico M. zu entlasten. „Mein Mandant hat in den letzten 20 Jahren ein straffreies Leben in Italien geführt“, so Bense. Aniello dagegen sei quasi permanent Kunde bei der Justiz. Aniello wolle aussagen, sagt Enrico M. Das habe er ihm bei der Beerdigung von Vater Francesco vor vier Jahren versprochen. „Sonst wäre ich nicht nach Deutschland gekommen“, so Enrico M.

Wie sehr die Familie M. im Raum Stuttgart gefürchtet war, hatte der damalige Prozess verdeutlicht. Zeugen traten kreidebleich vors Gericht, erlitten Schwächeanfälle und machten sich im Zeugenstand buchstäblich in die Hose.

Die Richter wollen jetzt ein Rechtshilfeersuchen nach Italien schicken. Der Prozess soll am 3. Februar fortgesetzt werden.
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