Es war eine denkwürdige Sitzung, zu der Papst Franziskus
(78) am 3. Juli 2013 im Vatikan lud. Aufgeboten waren die höchsten Amtsträger
der kirchlichen Hierarchie. Was der knapp vier Monate zuvor gewählte Pontifex
in höchst vertraulicher Runde zu Protokoll gab, hatte man von einem Papst noch
nie in dieser Schärfe gehört.
Was Franziskus genau sagte, kann man im soeben erschienenen
Enthüllungsbuch des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi (46) nachlesen.
Dieser ist im Besitz einer Tonband-Aufnahme der Papstworte – ein unglaublicher
Vorgang.
Scharf
kritisiert Franziskus auf dem Mitschnitt die Misswirtschaft im Kirchenstaat.
Gleich der erste Satz sitzt: «Wir müssen Licht in die Finanzen des Vatikans
bringen», sagt er. Bei manchen Kosten lasse sich «nicht nachvollziehen, wie sie
zustande gekommen sind». Es müsse «Transparenz» her – ein Wort, das er mehrfach
betont. «Das macht man in der einfachsten Firma so, und das müssen wir auch
machen.» Die Kasse des Vatikans werde «nicht ordnungsgemäß geführt», es
fehle eine Verwaltungskultur.
Franziskus vergleicht den Lebensstil von einigen Geistlichen mit dem der Pharaonen und wirft ihnen Veruntreuung und maßlose Verschwendungssucht vor. Eine nicht ungefährliche Anklage, die manchen befürchten lässt, dass Franziskus mittlerweile in lebensgefahr ist..
15
Tage nach seiner Brandrede handelte Franziskus: Am 18. Juli 2013 setzte er die
Päpstliche Kommission zur Untersuchung der Wirtschafts- und Finanzorganisation
des Heiligen Stuhls ein – kurz Cosea-Kommission. Diese deckte in den folgenden
Monaten unglaubliche Fälle von Missmanagement und Günstlingswirtschaft auf,
wie Nuzzi in seinem Buch enthüllt: Jährlich gehen dem Vatikan Dutzende
Millionen Franken verloren, weil der Immobilienbesitz nicht richtig
bewirtschaftet wird. Manche Mieter würden massiv begünstigt – darunter auch
Kardinäle, die laut Nuzzi teilweise gratis wohnen. Läppische 6,2 Millionen Euro
nimmt der Vatikan an Mieten pro Jahr ein – möglich wäre gegen 200 Millionen.
der italienischen Journalist Gianluigi Nuzzi (46) |
Geld, das Katholiken aus aller Welt nach Rom schicken, versickert
im Kirchenstaat, statt dass es den Ärmsten zugutekommt. Der Autor dokumentiert
dies anhand des Peterspfennigs, Geld, das Gläubige rund um den Globus sammeln.
2012 waren es 53,3 Millionen Euro.
Die
detaillierte Verwaltung des Peterspfennigs sei ein Mysterium, schreibt Nuzzi:
«Von jedem Euro, der an die Heiligen Vater geht, fließen 20 Cent in
konkrete Hilfsprojekte für Bedürftige.» Grund ist die desaströse Finanzlage der
Kurie, die immer neue Geldspritzen braucht – und sich deshalb den Peterspfennig
praktisch einverleibt. Aus ihm wird auch ein Fonds gespeist, laut Nuzzi liegen
darin inzwischen rund 380 Millionen Euro. Der Fonds werfe aber nicht mal ein
Prozent Zinsertrag ab. «Warum nicht mehr, fragt man sich da», schreibt der
Autor. Und warum liegt das Geld überhaupt auf einer Bank, statt es für einen
guten Zweck auszugeben?
Wie
chaotisch die Buchführung teilweise sein muss, zeigen Geisterkonten von längst
Verstorbenen bei der Vatikanbank. Auf dem Konto von Johannes Paul I. (1912–1978)
liegen 110'000 Euro, auf jenem von Paul VI. (1897–1978) gar 400'000 Euro.
Dass
im Vatikan mafiöse Strukturen wuchern, wird in Nuzzis Buch spätestens auf Seite
179 klar: Dort schildert er den Einbruch ins Geheimarchiv der Cosea-Kommission
am 30. März 2014. Die Diebe knackten mehrere Tresore, ließen ein paar Hundert
Euros mitgehen – interessiert waren sie aber vor allem an vertraulichen Akten,
die sie einsteckten. Nuzzi glaubt, dass es sich dabei um eine Warnung im
Mafia-Stil handelt, um die Reformer zu stoppen – nach dem Motto: «Wir wissen,
wo ihr euer Archiv aufbewahrt. Wenn wir wollen, können wir es öffnen.»
Kann der Papst den Kampf gegen solche kriminelle
Seilschaften überhaupt gewinnen? Auf jeden Fall scheint er entschlossen, seinen
Weg weiterzugehen. Helfen soll im dabei der australische Kardinal George Pell
(74), der das neu geschaffene, mächtige Wirtschaftssekretariat leitet. Nuzzi
schließt aber nicht aus, dass Franziskus irgendwann zurücktritt, weil seine Kräfte
aufgebraucht sind – und weil er durch sein Aufräumen in Gefahr ist.
Unklar ist auch, ob alle Enthüllungen Nuzzis einer
kritischen Überprüfung standhalten. Sein Skandal-Buch ist inzwischen selbst in
einen Skandal verwickelt. Die Dokumente geliefert haben Nuzzi ausgerechnet
zwei Mitglieder der Cosea-Kommission: die italienische PR-Frau Francesca
Immacolata Chaouqui (33) und der spanische Priester Lucio Ángel Vallejo Balda
(54).
Francesca Immacolata Chaouqui (33) |
Beide wurden am Wochenende verhaftet, Chaouqui kam am
Montag wieder auf freien Fuß und streitet alles ab. Die Motive der beiden sind
undurchsichtig. Wollten sie sich rächen? Fakt ist: Das Duo fiel schon letztes
Jahr bei Franziskus in Ungnade, weil es anlässlich der Heiligsprechung zweier
Päpste zu einem aufwendigen Bankett lud. Das passt schlecht zu Leuten, die mit
protzigem Gebaren und Verschwendungssucht endlich aufräumen sollen.
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