Von Thomas Hirschbiegel
Schutzgeld – ist das das Motiv des Mordes in der „Casa Alfredo“
am Hauptbahnhof? Immer mehr Indizien sprechen
dafür. So soll das spätere Opfer (49) zunächst Geld gefordert und demonstrativ
eine Waffe auf den Tisch gelegt haben. Die soll dann aber der Wirt (51)
ergriffen haben. Er erschoss den mutmaßlichen Erpresser. Schutzgeld: In den
vergangenen Jahrzehnten haben sich Hamburger Spezialermittler an diesem
geheimnisvollen Delikt die Zähne ausgebissen. Hier der große Report aus den
Akten der Hamburger Polizei.
In der „Casa Alfredo“ an der Kirchenallee fand die Polizei am Mittwoch eine Leiche im Fußboden. |
Alles begann – natürlich – mit Italo-Restaurants. Ende
der 70er Jahre wurden Restaurant-Besitzer genötigt, Pasta, Wein oder Olivenöl
nur bei einem ganz speziellen Händler zu kaufen. Der gehörte zur Mafia. Die
Preise waren ziemlich hoch. Als sich der Inhaber eines Eppendorfer
Edel-Italieners weigerte, brannte sein Lokal ab. 1981 soll auch der berühmte
Paolino an der Alster erpresst worden sein, es ging immerhin um 20.000 D-Mark
(10.000 Euro).
Die Mafia schlägt zu
Die Polizei ermittelte damals monatelang, doch viele
Zeugen litten unter „Gedächtnisverlust“. Trotzdem konnten einige Erpresser
verurteilt werden. Ebenfalls in den 80er Jahren begann die PKK kurdische
Landsleute in Hamburg zu erpressen. Sie mussten eine Art „Steuer“ an die
Terror-Organisation zahlen, um den „Freiheitskampf“ der Kurden zu unterstützen.
Es kam sogar zu Morden an zahlungswilligen Wirten oder Kaufleuten.
An der Grindelallee wurde noch 2003 der Chef eines
Döner-Ladens von Erpressern mit Spiritus übergossen und verprügelt.
Schanzen-Wirte erpresst
Bis 1983 terrorisierten die Hells Angels das
Schanzenviertel. Von dem Rocker-Lokal „Angels Place“ an der Schanzenstraße aus
„besuchten“ sie Lokale in der Nachbarschaft. So rasten sie mit ihren
Motorrädern mitten ins „Pickenpack“ am Schulterblatt und erbrachen sich dort
gezielt am Tresen, warfen mit Eiern und belästigten die Gäste. Die Folge: Der
Wirt zahlte ab diesem Tag jeden Monat mehrere 1000 Euro Schutzgeld an die
Rockerbande.
Chinamafia extrem brutal
1994 hieß es: 90 Prozent der 150 Hamburger Chinalokale
zahlen Schutzgeld an die „Triaden“ – das chinesische organisierte Verbrechen.
Schockierende Einzelheiten wurden bekannt: Wer sich weigerte zu zahlen, dem
wurden die Ohren oder Finger abgeschnitten. Trotz einer Mauer des Schweigens
kann eine SOKO 20 Verdächtige ermitteln.
Wirte in Angst
1998 hatte der Hamburger Gastgewerbeverband 1650
Betriebe angeschrieben. 379 antworteten. Jeder zehnte erklärte, er sei selbst
Opfer geworden oder er kenne jemanden, der erpresst wurde. Seitdem werden immer
wieder Fälle bekannt. So zertrümmerten Erpresser im Jahr 2000 einen gläsernen
Kerzenleuchter auf dem Kopf des Wirts einer Pöseldorfer In-Kneipe.
Festnahme eines mutmaßlichen Schutzgelderpressers 2006 in Allermöhe. Er soll den Inhaber eines Bistros erpresst haben. |
2001 wurde ein Türsteher zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Er hatte vom Wirt einer griechischen Kneipe an der Kieler Straße (Eidelstedt)
Schutzgeld kassiert.
2007 wurden zwei Männer (27/28) gefasst, die den
Besitzer eines Restposten-Markts an der Bahrenfelder Straße (Ottensen) erpresst
hatten. 2008 überwältigten Polizisten einen hünenhaften Albaner mit dem
Spitznamen „Hogan“, der den Wirt eines Italo-Restaurants am Eppendorfer Weg
verprügelt hatte.
Aktuell keine Fälle?
Zuletzt gab es 2013 Gerüchte, nach denen ein
italienisches Lokal auf St. Pauli „Besuch“ von Schutzgelderpressern bekommen
hatte. Laut Polizei gibt es aktuell keine Fälle. Was nicht heißt, dass
Schutzgelderpressung ausgestorben wäre. Es ist nur ein Verbrechen mit einer
hohen Dunkelziffer.
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