Montag, 9. November 2015

Anklage im "Goodfellas"-Prozess

Der spektakuläre Lufthansa-Raub im Jahr 1978 lieferte die Vorlage für den Scorcese-Film "Goodfellas". Jetzt steht in New York einer der mutmaßlichen Drahtzieher vor Gericht - ehemalige Kumpane haben ihn verpfiffen.



In einer der ersten Szenen des Mafia-Films „Goodfellas“ lässt Regisseur Martin Scorsese seinen Hauptdarsteller Robert de Niro zwei Leitsätze verbreiten, die ein langes Verbrecherleben garantieren sollen: „Verpfeife niemals deine Freunde. Und halte immer den Mund.“ Vincent Asaro hat sich daran gehalten. Auf den Unterarm ließ er sich das Mafia-Mantra „Death before Dishonor“ (etwa: „Lieber den Tod als die Schande“) tätowieren. Und bis zu seiner Festnahme Anfang 2014 hoffte Asaro wohl wirklich, dass auch seine Mafia-Kumpane ihre Schweigegelübde einhalten würden. Wie man sich irren kann.

Heute sitzt Asaro, ein in Altersarmut gefallener Gangster aus New York, auf der Anklagebank in Saal 8C des Bundesgerichts von Brooklyn, schweigt immer noch und starrt feindselig auf die Prozessbeobachter. Denn seine Kumpane haben ihn verpfiffen, sie zwitscherten wie Singvögel. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft auch die Hoffnung, einen der spektakulärsten Raubzüge in der Geschichte der USA wenigstens teilweise aufklären zu können – bald 40 Jahre nach der Tat.

Vincent Asaro ist das erste und vermutlich letzte Mitglied einer New Yorker Mafia-Familie, das sich wegen einer mutmaßlichen Beteiligung am sogenannten Lufthansa-Raub vor Gericht verantworten muss.

Das Verbrechen, bis heute einer der größten Bargeld-Raubzüge in der US-Geschichte, geschah in der Nacht zum 11. Dezember 1978. Bewaffneten Männern gelang es, in den Lufthansa-Frachtraum auf dem New Yorker Flughafen JFK einzudringen und 50 Kisten mit Bargeld und säckeweise Schmuck zu stehlen. Das Geld war aus West-Deutschland in die USA geflogen worden. Die Beute hatte einen Wert von damals mehr als sechs Millionen US-Dollar. Sie ist bis heute verschwunden.

Der Raubzug war die Vorlage für den Film „Goodfellas“. Darin beschreibt Regisseur Scorsese das Leben und die Verbrechen der New Yorker Mafiosi von den 50er bis in den 80er Jahre. Robert de Niro spielt „Jimmy the Gent“, der im Film der Drahtzieher des Lufthansa-Raubes ist. Im wahren Leben soll das Jimmy Burke gewesen sein, ein hochrangiger Mafioso aus dem Lucchese-Clan. Doch so genau weiß man das nicht, denn Burke ist 1996 im Gefängnis an Krebs gestorben, ohne dass er jemals des legendären Verbrechens überführt worden wäre.

In „Goodfellas“ kommt Vincent Asaro nicht vor. Die drei Staatsanwältinnen, die seit einigen Wochen Anklage gegen Asaro in Gerichtssaal 8C führen, sind sich aber sicher, dass der hagere Mann an dem Raub beteiligt war.

Sie stützen ihre Anklageschrift auf die Aussagen einiger Mafiosi aus dem Umfeld Asaros, die in den vergangenen Jahren zu Informanten der Polizei wurden. So einer etwa ist der 68 Jahre alte Gaspare Valenti, der Cousin des Angeklagten. Er wurde aus Geldmangel zum FBI-Spitzel und erhielt für Informationen 3000 Dollar im Monat. Die Beute aus dem Lufthansa-Frachtraum, sagt Valenti vom Zeugenstand herab in beiläufigem Ton, sei damals in seinem Haus ausgepackt worden.

Bündelweise habe er die Scheine in Türrahmen versteckt. Asaro, so der Kernvorwurf Valentis, habe während des Raubzugs zusammen mit Burke in einem Auto außerhalb des Flughafengeländes Schmiere gestanden. Ähnliches erzählt Salvatore Vitale, der früher eine große Nummer im Bonanno-Clan war. Asaro soll nach dem Überfall einen Koffer voller Schmuck zum Mafiaboss Joseph Massino getragen haben.

Der Prozess gegen Asaro gibt einen tiefen Einblick in die Welt alternder Mafiosi, die an Einfluss verloren haben, das aber nicht wahrhaben wollen. Im Oktober 2010 nimmt Valenti ein Gespräch mit verstecktem Rekorder auf. Darin beklagt sich Asaro über seine Lebensumstände. Man lasse ihn gar nicht mehr in seinen Klub, in dem sich früher die Mitglieder der Gambino-Familie trafen. „Die Leute hassen mich dort, ich kann meine Mitgliedsgebühr nicht bezahlen“, sagt Asaro: „Gute Tage, schlechte Tage, was soll man schon machen? Ich werde alt.“

Er soll seinen Schmuck verpfändet haben. Auch heißt es, er habe seinen Anteil an der Beute aus dem Lufthansa-Coup, der ihm ohnehin als viel zu gering erschien, ganz und gar verzockt.


Asaro droht eine lebenslange Freiheitsstrafe

Er habe Sorge, dass er aus der Mafia geschmissen werde, sagt Asaro auf einer anderen Bandaufnahme aus dem Jahr 2011. Die Cousins Valenti und Asaro sprechen an einem Novembertag über den Mord an einem mutmaßlichen Mafioso in Kanada. Asaro sagt, er wisse nicht, „was in Kanada los ist“. Er wisse ja nicht einmal mehr, was in seiner Nachbarschaft Ozone Park passiere. Es klingt wie das Klagelied eines alten Mannes, der längst außen vor ist und sich ohnehin nicht mehr respektiert fühlt.

Asaro ist inzwischen 80 Jahre alt und sitzt in Untersuchungshaft. Er hat sein schütteres Haar nach hinten gekämmt, trägt eine randlose Brille. Mal starrt er regungslos auf die Geschworenenbank, mal kritzelt er Notizen auf Zettel und reicht sie seinen Anwältinnen. Ob die Vorwürfe gegen ihn stimmen, ist unklar. Es steht Aussage gegen Aussage. Die meisten Beteiligten an dem Lufthansa-Raub sind längst tot. Viele von ihnen sind schon in den ersten Jahren nach der Tat auf mysteriöse Weise verschwunden. Asaro hat sich für unschuldig erklärt.

Die Staatsanwältinnen nennen den Angeklagten einen „Verbrecher durch und durch“. Er sei in das Leben eines Mafioso hineingeboren und habe dieses Leben voll und ganz angenommen, sagt Anklägerin Alicyn Cooley. Schon Asaros Vater und Großvater waren ihrer Darstellung nach im organisierten Verbrechen tätig.


Asaros Verteidigung wird am heutigen Montag das Plädoyer in Saal 8C halten und versuchen, ihren Mandanten vor dem Schuldspruch zu bewahren. Asaro droht eine lebenslange Freiheitsstrafe. Schon zu Beginn des Prozesses hat seine Anwältin Diane Ferrone erhebliche Zweifel angemeldet, dass es genügend Beweise gibt: „Wenn Vincent Asaro wirklich der gefährliche, gewalttätige, mordende Mensch ist, als den ihn die Anklage darstellt, warum hat es dann so lange gedauert, ihn festzunehmen?“ Das lag wohl daran, dass sich Asaros Kumpane jahrelang an das alte Schweigegelübde aus „Goodfellas“ gehalten haben: „Verpfeife niemals einen Freund. Und halte immer den Mund.“
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