Dienstag, 15. Januar 2013

Roberto Scarpinato im Interview

Oberster Mafia-Jäger Roberto Scarpinato sprach in Wolfsburg über die Strukturen und Gefahren der "ehrenwerten Gesellschaft"

Er kommt. Roberto Scarpinato bewegt sich lautlos, geschmeidig. Sein Gang ist dennoch fest. Seine Augen kontrollieren dabei die Umgebung. Die Augen vieler hoch gewachsener, trainierter Männer sind derweil auf ihn gerichtet – und auf den gesamten Vorraum im Wolfsburger Gewerkschaftshaus. Sie sind Polizisten, deutsche.

Roberto Scarpinato ist der bestbewachte Mann Italiens. Auch hier in Deutschland. Er ist einer der erfolgreichsten Mafia-Jäger in Palermo auf Sizilien, war einer der Ankläger im spektakulären Andreotti-Prozess.


Generalstaatsanwalt Roberto Scarpinato umgeben von vier Bodyguards
Die Mafia ist erfahren darin, Menschen zu töten, die ihr im Weg stehen. 1992 traf es innerhalb kurzer Zeit die Staatsanwälte Paolo Borsellini und Giovanni Falcone, viele Richter und ranghohe Polizeioffiziere. Die Welt hielt den Atem an. Roberto Scarpinato auch. Er könnte der Nächste sein. Das weiß er. Damit lebt er. Wie, diese Frage beantwortet er nicht. In seine Augen treten unterdrückte Tränen, seinen Mund umspielt ein gefrorenes, entschlossenes Lächeln. Eine, vielleicht zwei Sekunden lang zeigt er Gefühle. "Ja", sagt er fast unhörbar flüsternd. Es sei zermürbend. Er hat sich daran gewöhnt, sich arrangiert.
Roberto Scarpinato ermittelt weiter. Tag für Tag, Stunde für Stunde, Minute für Minute entlarvt er mafiose Strukturen in den Behörden Italiens bis hinein in die Polizei, Verbindungen der Mafia zu Politikern, ihre Vernetzung in der bürgerlichen Gesellschaft, ihre illegalen Geschäfte, ihre brutalen Verbrechen und ihr ungeniertes Ausnutzen legaler Möglichkeiten zur Geldwäsche. Von jedem Euro illegal verdienten Geldes fließen 70 Cent in legale Märkte. "Das ist ein Geldstrom, der einen einst klaren See verschmutzt", sagt er. Gemeint ist Deutschland. "Der klare deutsche See gleicht mittlerweile einem vergifteten Brackwasser!"

Die Mafia nutzt dieses Land gnadenlos mit einer bis ins alte Preußen zurückreichenden Rechtsstaatlichkeit aus für ihre Ziele, sagt er zynisch. Die Deutschen stünden im Ruf, eine ziemlich unbestechliche Verwaltung zu haben. Aber deutsche Beamten haben gar nicht begriffen, dass die Mafia daran gar nicht interessiert ist. Das Geld fließe in Hotels, in die Gastronomie, in die Telekommunikation. Das sind geeignete Märkte, um Geld zu waschen. Sie kauft nahezu unbemerkt "saubere Unternehmen in Deutschland. Brutale oder auffällige Morden werden vermieden, solange es eine andere Wahl gibt. Die Mafia will in Deutschland "illegales Geld möglichst legal anlegen". Bestechungsskandale, Blut und Bomben störten da nur.


Scarpinato kann keinen Schritt ohne Bewacher machen und lebt wie ein Gefangener in seinem Haus.

Immer wieder blickt sich Roberto Scarpinato aufmerksam um, antwortet konzentriert, kontrolliert und kalkuliert. Er nutzt solche Vorträge wie am letzten Mittwochabend in Wolfsburg und solche Interviews. Sie sind Teil seines Kampfes gegen die Mafia: die Sensibilisierung der Bevölkerung in den europäischen Nachbarstaaten Italiens, die Offenlegung von Gefährdungen.

"Die europäischen Staaten müssen zusammenarbeiten", betont er, um der international agierenden organisierten Kriminalität wirksam entgegen treten zu können. Das erfordere eine gemeinsame Polizeistrategie und die Kontrolle der Finanzmärkte.

Der Mafia liegt daran, dass es in Deutschland still bleibt, um ungestört zu investieren. Sie erfreue sich aller Vorzüge eines Rechtsstaates. In Italien, erläutert Scarpinato, genüge der Verdacht auf Verbindungen zur Mafia, um das Telefon abzuhören. Lasche Gesetze in Deutschland erlauben der Mafia exorbitante Geschäfte, auch am Telefon. Sorgen um bürgerliche Freiheitsrechte widerlegt der Jurist sogleich, vor allem mit dem Argument: "Voraussetzung ist immer ein richterlicher Beschluss. Wir haben es nicht mit Idioten zu tun", betont er. "Die Führung der Mafia hat exzellente Berater, die genau wissen, ab wann es in Deutschland gefährlich wird."

Roberto Scarpinato wirkt keinen Moment lang müde, bleibt aufmerksam im Gespräch und wachsam gegenüber seiner Umgebung. Aber diese Frage versteht er, obgleich zweimal anders gestellt erst, als Stefano Jorio, der Leiter des gastgebenden Italienischen Kulturinstituts, übersetzt: Ob es neben dem illegalen Markt in Italien auch einen legalen Markt gebe, in den die Mafia investiere. "Nein," erklärt er klar. Italien profitiere wirtschaftlich nur insofern von der Mafia, als deren Bosse verschiedener Hierarchie-Ebenen ihr luxuriöses Leben mit Produkten des Landes finanzierten.

Die Gründe, so prangerte Scarpinato das deutsche Strafrecht letzten Monat im Bundestag an, liegen darin, dass Deutschland nicht über geeignete Instrumentarien zur Beschlagnahme von Vermögen verfüge wie zum Beispiel Italien. Der Staatsanwalt verwies auf einen Fall, in dem in Deutschland lagerndes Vermögen italienischer Mafiosi in Höhe von 700 Millionen Euro nicht beschlagnahmt werden konnte. Besonders intensiv zur Geldwäsche genutzt würden Spielhallen und Online-Spielbanken, Pizzerien, Edel-Restaurants aber auch Wettbüros, die die Mafia über Strohmänner aufkaufe. Die Herkunft von Mafia-Geldern werde auch durch viele Zwischenstationen verschleiert. So würden die Gelder zum Teil durch über 100 internationale Finanzinstitutionen geschleust, um die Rückverfolgung unmöglich zu machen.


Roberto Scarpinato spricht im deutschen Bundestag
 Ansonsten sei der Mafia daran gelegen, das Land auszusaugen, auszubluten und eine prosperierende Entwicklung im Süden Italiens zu unterlaufen. Die Mafia benötige ein Umfeld wirtschaftlicher Unsicherheit, möglichst sogar Not, um besser agieren zu können. So versickerten die Hilfsgelder aus Rom stets im sizilianischen Sand. Oder es gibt neue Gesetze. Da beschlagnahmt er allein in Palermo fast drei Milliarden Euro und dann macht ein Amnestie-Gesetz diesen Erfolg zu nichte.

Roberto Scarpinato verabschiedet sich mit herzlichem Händedruck. Er geht. Unerbittlich, unnachgiebig, hartnäckig und unermüdlich setzt er den Kampf fort.

Ich wünsche ihm guten Erfolg und ein langes Leben!

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